The Natural Pavilion, Almere/NL
Das DP6 architectuurstudio entwickelte und realisierte
innerhalb eines Jahres den niederländischen Pavillon für die Floriade EXPO 2022. Unter den speziellen Bedingungen einer Gartenbauausstellung und mit dem erforderlichen Pragmatismus entstanden einfache Lösungen, die auch über den Sonderbau hinaus weiterentwickelt werden können.
Text: Natalie Scholder/ DBZ
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Nach dem Ende der Floriade Expo 2022 in Almere wurden die meisten Pavillons der Länder wieder abgebaut, es verblieben leere Baufelder im quadratischen Raster. Die kontrovers diskutierte Gartenbauausstellung präsentierte sich zwischen April und Oktober als „Growing Green City“: Zunächst war unklar, ob die Floriade angesichts der Pandemie überhaupt eröffnet werden konnte. Dann sorgten Preissteigerungen und ausbleibende Besucher:innen dafür, dass sie mit 100 Mio. Euro gut zehnmal so teuer war und unterfinanziert blieb. Der Masterplan von MVRDV entwickelte nicht nur die temporäre Gartenbauausstellung, sondern auch die weitere Verwandlung des Areals zu einem nachhaltigen Wohnquartier, das hier in den nächsten Jahren am südlichen Ufer des „Weerwaters“ entstehen soll. Gegenüber, auf der Nordseite des künstlich angelegten Sees, liegt das Zentrum von Almere. Die Gemeinde in der Provinz Flevoland wurde erst in den 1970er-Jahren auf einem trockengelegten Gebiet rund 25 Kilometer östlich von Amsterdam gegründet und erhielt in den 2000er-Jahren ein von OMA gestaltetes Zentrum. In der rasant wachsenden Region entstehen seither immer mehr Wohngebiete, so nun auch auf dem Areal der Ausstellung. Erst kürzlich bezog das Team, das die Nachnutzung des Geländes planen soll, den „Natural Pavilion“ der Niederlande.
Das großzügige Atrium diente während der Floriade als Veranstaltungsraum. In den seitlichen Räumen waren Wände und Objekte aus biobasierten Materialien ausgestellt
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Im Mai 2021 ging aus dem Regierungswettbewerb für diesen Pavillon der Entwurf des DP6 architectuurstudio aus Delft als Sieger hervor. An das Projekt waren eine ganze Reihe von Anforderungen gestellt. Der Pavillon sollte innovativ, nachhaltig und kreislauffähig sein. Darüberhinaus sollte er Lösungsansätze für die Aufgaben liefern, die das Land aktuell zu stemmen hat: Die dringende Energie- und Rohstoffwende, die Beseitigung des Wohnungsmangels, die nötige Neuausrichtung der Landwirtschaft aufgrund der Umweltbelastungen durch Stickstoff, das Bekämpfung des Artensterbens und des Klimawandels. Viel diskutiert wird im Land vor allem die sogenannte „Stickstoffkrise“: Die Stickstoffbelastung des Bodens ist in den Niederlanden besonders hoch, da das Exportland zu viele Lebensmittel auf kleiner Fläche produziert. Vor allem das in der Viehzucht anfallende Ammoniak zerstört die biologische Vielfalt. Die Regierung plant daher eine drastische Verringerung des Viehbestandes, um anderen Wirtschaftssektoren Emissionsrechte einräumen zu können. Bislang verhindern strikte Bauobergrenzen jedoch auch den Bau neuer Wohnungen.
Die Treppen sind
mit Stahlseilen von der
Deckenkonstruktion
abgehängt
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Rückbaubare Konstruktion
Die Architekt:innen sahen sich vor der Herausforderung, auf diese Themen mit innovativen Ideen zu reagieren und gleichzeitig Räume mit Qualität und Charakter zu erschaffen. Sie verfolgten die Strategie der Reduktion: „Wir haben die Struktur so schlicht wie möglich gehalten. Der Raum erhält seine Qualität über die Einfachheit der Konstruktion“, erzählen Dick de Gunst und Richelle de Jong, Partner im DP6 architectuurstudio. Innerhalb der Planungs- und Bauzeit von einem Jahr entwickelten sie ein Konzept für würfelförmige Holzmodule, die einen schnellen und energieeffizienten Aufbau ermöglichen. Die 3,50 x 3,50 x 3,50 m großen Einheiten wurden aus heimischem Douglasienholz weitgehend vorgefertigt und vor Ort „trocken“ verbunden. Als Verbindungselemente dienen Knoten aus recyceltem Stahl, die DP6 eigens für dieses Projekt entwickelte. Die Kreuzbleche legen sich wie Kappen um die Ecken der Würfel, bis zu acht Module lassen sich so mit einem einzigen Knoten verbinden. „Die gesamte Komplexität des Entwurfs liegt in den Knoten“, sagt Richelle de Jong. Ihre universelle Einsetzbarkeit vereinfache eben auch den Rückbau sowie die Neuerrichtung an anderen Standorten in der Zukunft.
Der aktuelle Pavillon besteht aus drei Modulen in der Höhe, sechs in der Breite und sieben in der Länge. Einzelne Aussparungen von Verbindungselementen oder Außenwänden ergeben die unterschiedlichen Fassadenansichten. Die Konstruktion steht auf einer Gründung aus Holzpfählen, die an ihrem oberen Ende in Verlängerungen aus recyceltem Beton oder recycelten Kunststoff münden. Diese dienen dem Verrottungsschutz, da das Holz sonst der Feuchtigkeit des schwankenden Grundwassers ausgesetzt wäre. Anhand beider Varianten wird die Lebensdauer dieses kombinierten Fundaments erforscht.
Von den hängenden Gängen aus bieten sich Aus- und Durchblicke
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Für die Durchfensterung der Fassade wurden Glasscheiben verwendet, die bei der Sanierung eines Regierungsgebäudes aus den 1960er-Jahren in Den Haag gerettet wurden. Die Scheiben sind unterschiedlich groß und wurden daher durch individuelle Rahmen aus recyceltem Holz eingefasst. Vor den Fenstern schirmen Holzlamellen die direkte Sonnenstrahlung von Süden ab. Nicht alle Module sind geschlossen, einige schaffen als offene Holzgerüste einen Übergang zwischen dem Innen- und dem Außenraum. Einige sind vielfältig bepflanzt oder beherbergen Nistkästen. Das Dach ist als Sheddach konzipiert, um Licht und Luft durch das Gebäude zu leiten.
Freiheit im Innenraum
Im Inneren befindet sich ein Atrium, das sich über die gesamte Gebäudehöhe erstreckt. Die skulpturalen Holztreppen sind an der Deckenkonstruktion aufgehängt. Sie führen zu den beiden Galerien, die um das Atrium herumführen. Sie erschließen auch die Räume in den nach außen orientierten Modulen. Es bieten sich Durch- und Ausblicke in alle Richtungen. Insgesamt wirkt der Pavillon von innen transparenter, als es von außen scheint. Der offene Raum lädt zu zahlreichen Nutzungen ein. Für die Architektin ist an diesem Entwurf besonders, dass er sich auch zur Entwicklung eines Wohnhauses oder eines Bürogebäudes eignet. „Das gemeinsame Atrium würde für jede Nutzung einen Ort der Kommunikation bieten.“ Am liebsten würde sie selbst mit ihrem Büro hier einziehen.
Allerdings wurden die Installationen im Pavillon auf ein Minimum begrenzt, der Ausbau erfolgte fast ausschließlich mit biobasierten Materialien. An den Innenwänden und Böden kamen Reststoffe wie Stroh, Flachs, Paprikapflanzenstängel oder Spinatsamen zum Einsatz. Für die Landwirtschaft bietet diese Nutzung von Produktionsabfällen die Chance, ihre Betriebe neu und im Sinne des Klimaschutzes auszurichten.
Das intelligente Regenwassersystem reagiert auf die Wetterbedingungen und versorgt die begrünten Flächen auch in trockenen Perioden
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Temporäre Umnutzung
Unmittelbar nach dem Ende der Floriade wurde der Pavillon für die Büronutzung angepasst. Dabei zeigt sich einerseits, wie stimmig die Räume in der neuen Funktion wirken, andererseits aber, wie schwierig sich in dem Pavillon eine angenehme Temperatur und Atmosphäre zum Arbeiten erreichen lässt. Denn während der Floriade war das Klima, bedingt durch die Offenheit der Architektur, innen wie außen gleich. Das musste sich für den Bezug des Planungsteams ändern, allerdings waren die Architekt:innen bei diesen jüngsten Anpassungen nicht involviert. Richelle de Jong begutachtet die Veränderungen während unserer Besichtigung: Die Glaslamellen, die während der Sommermonate der natürlichen Belüftung dienten, wurden schlicht durch eine weitere Glasscheibe verschlossen. Teppichfliesen liegen nun über dem Linoleum, weitere Räume wurden geschaffen. In den Büroräumen hängen Heizelemente über den Tischen, gleichzeitig zieht kalte Luft durch die Schlitze hinein. Die Architektin hätte einige Ideen, wie eine konsequente Umsetzung gelingen könnte. Es musste hier schnell gehen, sagt sie. In seiner jetzigen Konfiguration, ohne isolierende Maßnahmen, eignet sich das Bauwerk de facto nicht für die Umnutzung, die es gerade erfährt.
Das DP6 architectuurstudio entwickelt unterdessen das Konzept weiter und plant auch größere Projekte in dieser Holzmodulbauweise. Der Naturpavillon dient dabei als ein Versuchsobjekt, von dem Erkenntnisse für weitere kreislauffähige Projekte abgeleitet werden können.
Es war eine ästhetische Entscheidung der Architekt:innen, die Knoten breiter als die Holzbalken auszuführen. Als filigrane Kreuze stehen sie zwischen den Modulen hervor und machen die Konstruktionsweise ablesbar
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Die Module wurden vorgefertigt und vor Ort zusammengesetzt. Das ermöglichte die schnelle und energieeffiziente Bauweise.
DP6 architectuurstudio
Die offen belassenen Holzmodule sind begrünt und schaffen einen fließenden Übergang zwischen dem Innen- und Außenraum
Foto: Daria Scagliola, Stijn Brakkee
Perspektivischer Schnitt, o. M.
Ursprünglich sollte ein runder
Pavillon im Atrium Platz finden,
dieser blieb unrealisiert. Dafür
bietet der offene Raum nun
viele Nutzungsmöglichkeiten
Detail, M 1:20
1 Fensterrahmen aus Holz, ausgestattet mit wiederverwendetem Sicherheitsglas
2 Trockendichtung
3 biobasiertes Dichtungsprofil
4 Holzfensterrahmen ausgestattet mit aufklappbarem Glaslamellen im Aluminiumrahmen (Gewächshausbausystem)
5 Konstruktion des Bodens:
- Fußbodenbelag
- CLT-Platte 180mm
Projektdaten
Objekt: The Natural Pavilion
Standort: FlevoCampus, Almere/ NL
Typologie: Ausstellungspavillon
Bauherrin: Noordereng Groep
www.noorderenggroep.eu
Nutzerin: Floriade Expo
Architektur: DP6 architectuurstudio
www.dp6.nl
Bauzeit: 09.2021- 04.2022
Brutto-Geschossfläche: 987 m²
Fachplanung
Konstruktion, Bauphysik und Akustik: Oosterhoff – ABT,
www.oosterhoffgroup.eu
Holzbauingenieur:in: Oosterhoff - Adviesbureau Lüning,
Projektmanagement: Hupperts Architectural Engineering
Baukostenmanagement und
-überwachung: Oosterhoff – bbn adviseurs
Installationen: Oosterhoff – HE adviseurs
Nachhaltigkeit: Hedgehog Company, www.hhc.earth, De Groene Jongens, www.degroenejongens.nl
Landschaftsarchitektur: Studio Nico Wissing, www.nicowissing.com
Innenarchitektur: Next Nature Network in Kooperation mit Studio Harm Rensink, www.nextnature.net, www.harmrensink.nl
Hersteller (Auswahl)
Holzfertigung: Heko Spanten,
www.hekospanten.nl
Holzlieferant:in: Staatsbosbeheer, www.hollands-hout.com
Stahlknoten: Ferross Staalbouw, www.ferross-staalbouw.nl
Sheddächer/ Fensterrahmen:
HB OSS, www.hboss.nl
Intelligente Wasserspeicherung: Lomans Totaalinstallateur,
www.lomans.nl