Wiederbelebung

„Es wurde hier ein Standard vorausgesetzt, der aus der Durchschnittsbildung empirischer Daten oder vager Annahmen über eine natürliche Form der Normalität abgeleitet werde“. Sätze dieser Art muss man lesen wollen, denn von solchen wimmelt es in der vorliegenden, einer Dissertation abgezweigten Publikation. Überhaupt darf man keine Angst haben, das mehr als 500 Seiten umfassende Werk – hier ist „Werk“ angemessen – in die Hände zu nehmen; also die physischen wie die geistigen Hände zugleich.

Man muss lesen wollen, selten ganz allein gelassen im Buchstaben-/Wörtersee auf einer Doppelseite, meist begleiten die Leser:innen kleine Abbildungen, Grafiken, Fotografien oder Scans zeitgenössischer Publikationen: Flugblätter, Broschüren, Bücher etc.

Die Reise geht durch Themenfelder, die heute nur noch ein Raunen sind oder teils auch eine Art von Umdeutung erlebt haben und noch erleben, die mit den ursprünglichen Diskursen nichts oder nur noch wenig zu tun haben: Systemtheorie, Methodologie, Wissenschaftsgeschichte, Kybernetik, Operations Research, Verhaltensforschung oder Entwurfsmethodik. Insbesondere letztes Thema ist ein zentrales in der hier gestellten Frage nach dem Zusammenhang zwischen Gestaltungsansätzen der Partizipation, der Politisierung des Architekturdiskurses und einem wissenschaftlich determinierten Zugriff auf das Entwerfen.

Der Autor, bekennender Printmediennarr, hat sich also auf das Gedruckte geworfen und es ana­lysiert. Hat die Protagonisten (Hochschulen, Hochschullehrer:innen) des Design Methods Movement ausfindig gemacht und auf ihre Diskussionen, ihre Zusammenarbeit und Konflikte geschaut, vom Anfang der 1960er-Jahre bis in die 1970er-Jahre hinein, und damit dem Rezensenten bestätigt, dass diese beiden Jahrzehnte die fruchtbarsten Jahre des internationalen, sogar auch des deutschen politischen Diskurses in Sachen Gestaltung waren, der längst noch nicht zu Ende analysiert ist.

Stichworte aus dem Inhalt: „Machtkampf um die Rolle der Wissenschaft“, „Kaltes Wissen gegen heißes Engagement“, „Der Umgang mit bösartigen Problemen“, „Die saubere Theorie zur Entstehung von Formen“, „Informationstechnologischer Imperativ“, „Selbstkritik, Humanismus mit Maschinen“ … Für jeden etwas dabei?! So einfach ist es nicht, hier wird ja kein bunter Blumenstrauß gebunden, aus dem sich jeder – so wie heute eben gerne geschehen – das ihm passende herauspickt. Jesko Fezer hält den roten Faden straff gespannt, man kann ihm bis zur letzten Seite folgen, bis zur „Letzten Methode“, zum „Situierten Wissen“ und dem „Nicht normal“. Dass dem Autoren diese Tour de Force derart nüchtern elegant nachdrücklich von der Hand ging, dafür den größten Respekt. Dass wir mit dieser Arbeit die Möglichkeit erhalten, einen Resetknopf im (natürlich nur scheinbar!) entpolitisierten Diskurs zu drücken, dafür allen Dank (wie Dank auch dafür, dass der Leerraum auf den sorgfältig gesetzten Seiten Platz lässt für das Schreiben eigener Kommentare). Pflichtlektüre für alle Erstsemester, Pflichtthema für jede erste Hauptseminarsarbeit, Lesespaß für die langen Lesetage, die jetzt kommen sollten. Mit detailliertem Personen- und Gruppenregister. Be. K.

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