Dem Nationalen fehlt ein Stück zum Glück

Dass die Deutschen für ein Schloss nicht spenden wollen, könnte ein gutes Zeichen sein; in Frankreich sieht das anders aus

Das Jahr 1871 war kein schönes für Frankreich, damals noch Erbfeind des benachbarten, ebenfalls monarchisch gelenkten Preußen-Deutschland: Es verlor einen Krieg und damit sein Gesicht; so jedenfalls dachte man damals, fühlte so und ließ es sich gerne einreden. Revanchismus war die Folge, und bis heute noch begegnen manche Franzosen dem deutschen Touristen in zumindest unfreundlicher Stimmlage.

1871 brannte im belagerten Paris auch ein Palast ab, mit dessen Namen nicht nur die (deutschen) Touristen heute lediglich den Park zwischen Louvre und der Place de la Concorde assozieren: das Palais des Tuileries. Ein „Comitée national pour la reconstruction des Tuileries” möchte diesen verlorengegangenen Bau nun wiederaufbauen … was einem (Deutschen) irgendwie bekannt vorkommt. Aber von vorne.

Das Palais, den Palast gab es tatsächlich, ein gut 200 m langer Querriegel westlich des Louvres. 1564 liess Katharina von Medici den Grundstein für ihn legen, in den folgenden Jahrzehnten, ja Jahrhunderten mühten sich die Herrscher und ihre Hofarchitekten um den von Anbeginn geplanten Anschluss des Riegels über zwei Seitenflügel an den Louvre, der erst unter dem dritten Napoléon zur Gänze fertiggestellt wird. Immer wieder für Jahre und Jahrzehnte leer stehend, diente der Bau vom Ende des 18. Jahrhunderts an bis zu seiner Zerstörung 1871 allen französischen Regierenden und Regierungen als Wohn- oder auch Regierungssitz. Am Abend des 23. Mai steckten die Mitglieder der „La Commune de Paris“, des revolutionären Pariser Stadtrats, eine knappe Woche vor dessen blutiger Auflösung, den mit Brennmaterial vollgestopften Palast als Symbol ungerechter und nichtlegitimer Herrschaft in Brand. Der Bau brannte zwei volle Tage lang; doch es dauerte noch zwölf Jahre, bis nach langem Hin und Her das langsam verrottende Gemäuer 1883 auf Beschluss des Parlaments abgerissen wurde.

Fundamente im Boden und Mauerreste finden sich heute noch überall, insbesondere das reich skulptierte Dekor der Fassaden. Einige Relikte gingen in der Provinz verloren, andere gingen über in die Gartenausstattungen von Operndirektoren, Autoren oder – wie kann es in Frankreich anders sein – in die Hände der Haute-Couture (Charles Worth). Die dichteste Reliquiensammlung stellt jedoch das Château de la Punta bei Ajaccio/Korsika dar, das kleine, malerisch in die Landschaft platzierte Schloss besteht zum überwiegenden Teil aus Palastspolien.

Diese könnte man transferieren nach Paris, zurückholen ins Gravitationszentrum des Nationalen (Enteignung wegen unrechtmäßiger Aneignung); und dem Château-Inhaber eine pflegeleichte Nachbildung seines Sommersitzes bauen, eventuell im zeitgenössischen Stil. Herr Chipperfield wäre hier der richtige Ansprechpartner, vom architektonischen Standpunkt betrachtet; aber kann man mit dem überhaupt französisch sprechen?! Man müsste diese Totaltransplantation vornehmen, wollte man den Ansprüchen des selbsternannten „Comitée national pour la reconstruction des Tuileries” gerecht werden, den Neubau "identisch" wiederherzustellen. Das Kommitée muss als eine Versammlung rechtskonservativer Denker und Einflusshaber um Philippe de Gaulle, Sohn des großen de Gaulle, angesehen werden, sowie Mitglieder des Institut de France. Sie wollen, vordergründig, mit dieser Resurrektion eines Etiketts der Größe einer längst nicht mehr Großen Nation das Nationale in Zeiten nationaler Schwäche stärken; und dem Louvre, dem sie damit eine Aussicht verbauen, zusätzliche aber nie verlangte Ausstellungsflächen schenken. Finanziert werden soll der Riesenneubau ausschließlich durch private Spenden. Womit das Nationale zu dem zurück kommt, was es eigentlich immer schon war: eine Sache der Plutokraten. Wilhelm von Boddien ist da ein Stückchen weiter, er möchte nur die Fassade seines Schlosses privatisieren; dass das nicht so recht voran kommt lässt hoffen für eine geglückte Überwindung des Nationalen in einem modernen Deutschland. Die Wunschfantasien Palais und Stadtschloss sollen übrigens exakt das Gleiche kosten: 550 Millionen Euro. Be. K.

Am 15. September erscheint eine ausführliche Studie von Guillaume Fonkenell: Le Palais des Tuileries. Cit´e de l’architecture et du patrimoine / Editions Honor´e Clair, Paris/Arles 2010, 224 S., 49 €,

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