Paul Bonatz, ein Moderner?
Im DAM versucht Kurator Wolfgang Voigt einen neuen Blick auf den Architekten; die „Welt“ sieht den gebürtigen Lothringer rehabilitiert, der Autor hier nicht 22.01.2018In einem Interview mit Eric van Egeraat vor einigen Jahren, schimpfte der im Wettbewerb um den Neubau/Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs Unterlege auf all diejenigen, die den Bestandsbau von Paul Bonatz für schützenswert weil einmalig hielten. Der Bau sei ideologisch kritisch zu betrachten, sein Monumentalismus Ausdruck des damals praktizierten Heroismus und schlicht ein Vorläufer dessen, was die deutschen Nationalsozialisten für ihr Bauen als deutsch und epoachal einforderten.
Das ist Jahre her, mittlerweile gab es Abrisse in Stuttgart, um den Entwurf von Christoph Ingenhoven in die Welt zu setzen. Und es gab Proteste gegen die Amputierungen, eine heterogene Bürgerbewegung sagte Nein zum großen und mehr als nur einen Bahnhof umfassenden Verkehrsprojekt „Stuttgart 21“.
Mit dem Widerstand gegen das milliardenschwere Verkehrsprojekt wurde immer auch wieder um Bonatz als Architekt gestritten, insbesondere kam immer wieder der Vorwurf hoch – den Eric van Egeraat implizit schon vor mehr als zehn Jahren äußerte –, Paul Bonatz sei wenigstens ein Mitläufer gewesen, seine Bauten und seine Ämter im nationalsozialistischen Deutschland ließen Rückschlüsse auf eine Gesinnung zu, die dem Kopf der konservativen und modernefeindlichen „Stuttgarter Schule" bis gestern jeden Kranz verweigerten. Bis gestern, da erschien in der konservativen „Welt“ (online) ein Artikel, in welchem sein Autor – fast schon beglückt – nachwies, dass die aktuell laufende Bonatz-Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum DAM, Frankfurt a. M., zeige, „dass der Architekt des Stuttgarter Hauptbahnhofs Anregungen im Orient fand. Der wegen seiner Bautätigkeit für die Nazis umstrittene Paul Bonatz übernahm seine monumentalen Bögen aus der Sultan-Hassan-Moschee in Kairo.“
Nicht bloß die Retrospektive auf Bonatz Gesamtwerk sei „aufwühlend“, der Autor selbst schien so zu sein: aufgewühlt ob der Erkenntnis, dass die „Geschichte der viel zu einseitig durch die Brillengläser der Bauhaus- und Weißenhof-Avantgarde gesehenen Zwischenkriegsarchitektur […] nach dieser Ausstellung umgeschrieben werden [muss].“ Und macht das tatsächlich daran fest, dass „als Vorbild der Schalterhallen des Stuttgarter Bahnhofs [der] Iwan der Sultan-Hassan-Moschee in Kairo, die gewaltige Bogenöffnung [ist], „ein dezidiertes Motiv der islamischen Baukunst“. Und wer hat das herausgefunden? Der DAM Kurator Wolfgang Voigt (mit Roland May), der vor einigen Jahren schon dem Paul Schmitthenner die angeschmuddelte Architektenweste gewaschen hat.
Die Ausstellung, so der Autor, „trumpft auf mit Originalzeugnissen, unbekannten Tagebuchblättern und Skizzen von Bonatz“; was neues in den Tagebuchblättern steht und wie die Skizzen des Mannes ihn zum Modernen machen, wie der Autor jubelt, erklärt er in seinem Text nicht. Dass der über jeden Verdacht erhabene Julius Posener sagte, Bonatz „sei ihm immer als ‚derjenige unter den deutschen Architekten (erschienen), der am festesten auf seinen Füßen steht’“, erklärt nichts, auch ein Paul Schultze-Naumburg stand wie eine Burg auf den Irrtürmern seines eingeschränkten (beschränkten?) Denkens. Und um es vollendes absurd zu machen, zitiert der Autor den jüdischen Architekten Mendelsohn. Sogar dieser („selbst ein Erich Mendelsohn“) bescheinigte Bonatz „weltmännische Art“! Sicher, die meisten Nazi-Größen verkörperten alles andere als das, doch „Weltmänner“ gab und gibt es in jedem Winkel sämtlicher diktatorischer Regime.
Die Planung der Bonatz-Ausstellung geht bis 2003 zurück, hier war die Diskussion um Paul Bonatz noch eine, die nach innen geführt wurde. Mit den medienwirksamen und damit äußerst präsenten Auseinandersetzungen in Stuttgart um das Großprojekt insgesamt, hat sich der Architektenname ein wenig aus dem Schattendasein gelöst, das ihm als rein historische Figur durchaus auch angemessen ist. Die Ausstellung in Frankfurt muss von der Kontrovers um Bonatz profitieren, allerdings darf man davon ausgehen, dass die Besucher zum überwiegenden Teil Architekten sind, die sich die Bonatz-Welt anschauen können, wie sie bisher und in solchem Umfang noch nicht zuvor zu sehen war. Zu welchen Schlüssen man dabei kommt, entscheiden Vorbildung und Wissen; und nicht zuletzt auch der gesunde Menschenverstand. Be. K.
„Paul Bonatz 1877–1956. Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus“
Bis 20. März. Der Katalog kostet 35 Euro
Die Ausstellung wird vom 26. März bis zum 29. Mai 2011 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen sein.
Kuratorenführung mit Wolfgang Voigt am 26. Januar und 16. März 2011, jeweils 18 Uhr