Wir wollen etwas Neues haben!

Oder wie die Bundesarchitektenkammer ein Sommerloch zu füllen sucht

Von wegen, Sommerloch füllen! Der Mann meint es ernst. Dabei ist man geneigt zu glauben, die per email versandte Pressemitteilung (PM 05/10: Ein neuer moderner Pavillon für Venedig) sei ein deutlich verspäteter April-Scherz! War sie nicht, Prof. Arno Sighart Schmid, Präsident der Bundesarchitektenkammer, schlägt unumwunden den Abriss des deutschen Pavillons auf dem Biennale-Gelände in Venedig vor. Mit einem Architektenwettbewerb soll dann, so die Meldung,  „ein neues, modernes Gebäude entstehen, mit dem das heutige Deutschland sich zeitgemäß präsentieren kann.“ Und weiter: „2014 – zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls und der friedlichen Revolution in Deutschland – wäre ein würdiger Termin zur Eröffnung des neuen Pavillons.“

Aber vorher geht es unwürdig zur Sache: Abriss, weil der Bau „so ganz und gar nicht mehr unserem demokratischen Staatsverständnis“ entspricht. Ungeachtet der Frage, wie denn dieses Staatsverständnis zu betrachten ist – Chesterton nennt das eigentliche Zeitalter der Demokratie das neunzehnte Jahrhundert (aber hatte Chesterton eine Wahl, Herr Mosebach?) –, der Aufruf zum Abriss eines Hauses, das in fremden Hoheitsgewässern seinen Ursprung hat, erscheint dreist. Dreist ganz sicher: „Auch wenn das Haus unter italienischen Denkmalschutz steht,  sollte das keine unüberwindliche Hürde sein.“ Man stelle sich das einmal vor: Eine befreundete Nation kommt über die Grenze geeilt in ein Ensemble historisch gewachsener Architekturen und nimmt „seinen“ Teil einfach so heraus; weil „der historische Wert dieses Pavillons … nicht seinen Erhalt [rechtfertigt].

Schwer bespielbar sei das Haus, das jedenfalls sagen, so Schmid, die Kuratoren. Deren Namen wir allerdings nicht erfahren. Doch das ist ihm alles nicht das ganz Zentrale seiner eben doch Sommerloch-Ansprache, ihm geht es in erster Linie um einen anderen Mangel: den einer Fensteröffnung zur Lagune! Man stelle sich mit Herrn Schmid vor: Der Pavillon nutzt „seine einmalige Lage direkt am Ufer der Lagune nicht“. „In vielen Metropolen der Welt gilt eine Lage am Wasser immer als ein besonders attraktiver Standort, hier gibt es nicht einmal eine Fensteröffnung zur Lagune."

Frage: Was wollen Sie, sehr geehrter Herr Schmid, denn von einem solchen Fenster aus machen? Etwa hinausschauen?! Das geht hervorragend vom Ufer aus, der Blick ist weit und unverstellt. Sicher, man sollte sich einen Stuhl mitbringen, die Getränke in einer Kühlbox, die sanfte Musik auf dem Walkman/Diskman/iphone, und gegen das rege Treiben entlang der Lagune die Gelassenheit, die einem der Blick auf die vielleicht wunderbarste Stadtsilhouette verleiht, egal ob Gourmet, Kenner der Szene oder Präsident der Bundesarchitektenkammer.

Nein, wir brauchen keinen neuen Pavillon, wir brauchen kluge, mitreißende Ausstellungsmacher, die uns in keiner Sekunde unseres Dort im Pavillon Seins an das Wunder draußen denken lassen. Wenn sie das allerdings nicht schaffen: einfach draußen bleiben.

Der Ruf nach dem Ersatz von irgendwie unliebsamer Architektur hat einen unschönen Beigeschmack. In Deutschland wird er – wie überall sonst auch in der Welt – tagtäglich praktiziert, die Sterbelisten sind lang. Hier sollte sich der Repräsentant einer Architektenvereinigung vor die Türen und Tore ketten, hier sollte Widerstand mobilisiert werden oder Widerstand mehr als nur mit frommen Worten unterstützt werden. Die Bundesarchitektenkammer hat sich mit ihrem Abriss-Vorstoß keinen Gefallen getan, und bislang hat er noch keinem Architekten gefallen. Was sagen eigentlich die älteren Hausherren, die Künstler zum Vorpreschen des Präsidenten? Nobles Schweigen ringsum. Gut so. Be. K.

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