Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet

Das Kurator:innenteam des diesjährigen deutschen Beitrags zur Internationalen Architekturbiennale Venedig lud zur Pressekonferenz. Nach Berlin, ins eigene Haus

Alle Jahre wieder: Architekturbiennale in Venedig. Immer eine Augenweide, meist Architekt:innenarbeiten vom Feinsten. Aber darf, ja kann das so weitergehen? Die Kurator:innen des deutschen Beitrags sehen ähnlich und stellen in ihrem Beitrag Fragen, die dabei soweit reichen, dass sie ihre Arbeit beinahe schon selbst infrage stellen.

Als dann fast alles gesagt war – und wegen üblichem Paukenschlageffekt dann doch noch nicht alles – gab es dann doch noch diesen Satz: „Es wird noch eine Überraschung geben!“ Welcher Art die sein wird, das zu offenbaren hätte eben den Paukenschlag zu einem Pianissimo verdünnt und so blieb die Parlamentarische Staatssekretärin des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Cansel Kiziltepe, auch auf Nachfrage standhaft und lächelte nur. Dabei wäre es ja schön gewesen, über all das längst gewusste (aktueller politischer Diskurs) hinaus noch etwas zu erhaschen, das vielleicht all die vorhergegangenen deutschen, aber auch europäischen Beiträge zur Architekturbiennale gleichsam im Zeitenwende-Rausch in den Schatten stellte: Wir zeigen all die Bauten, die in den letzten zehn Jahren abgerissen worden sind. Soetwas. Statt dessen – auf der Pressekonferenz in den Verlagsräumen von ARCH+, Teil des Kurator:innenteams 2023 – solche Sätze: „Transformation und Nachhaltigkeit in einem umfassenden Sinn sind Themen von höchster Aktualität, insbesondere auch im Bauwesen. Diese Dringlichkeit zeigt sich an der dazu intensiv geführten Kooperation zahlreicher Aussteller-Länder miteinander und mit lokalen Initiativen in Venedig. Ich freue mich, dass der Deutsche Pavillon 2023 spannende Lösungsansätze zu den komplexen Fragestellungen des klima- und ressourcenschonenden und des sozial verantwortungsvollen Planens und Bauens für die globalen Gesellschaften präsentieren wird." Das hatten man schon einmal gehört in den letzten Jahren, immerhin: Man wolle mit den Nachbarn in den Giardini kooperieren.

Überhaupt scheint in der Politik angekommen zu sein, dass die klassische Leistungsschau – im fairen Wettkampf der Nationen(pavillons) – endgültig vorbei ist. Die anstehenden Probleme haben längst nationale Befindlichkeiten überwunden, wer nicht global denkt und lokal, regional, national, international handel, der wird Zuschauer sein und gezwungenermaßen Einkäufer all der dann sehr teuren Dinge, des dann sehr teuren Knowhows, die heute schon nötig sind, um Hitze, Stürme und Überschwemmungen zu meistern, gar, ihre Wirkungen zu mindern. Nicht mehr das höher, eleganter, neuartiger, noch neuartiger wird die Marktführerschaft haben, sondern die intelligente Resilienz, ressourcenschonendes Kreislaufwirtschaften und überhaupt, der Verzicht auf immer mehr von irgendwas, Hauptsache, die Maschinen laufen und die Beschäftigtenzahlen sind derart, dass man Wahlen gewinnen kann. Nein, diese Biennale-Zeiten sind – erstmal – vorbei. Aber sind damit auch der Spaß, das Vergnügen, das subtile Ausbalancieren zwischen Raum und Material, privat und öffentlich, Kubatur und Ort, zwischen Mensch und Haus zuende? Dürfen wir gar nicht mehr – oder nur hinter vorgehaltener Hand – über das Bauen fantasieren?

Das Kurator:innenteam bei ARCH+s: Florian Summa, Juliane Greb, Petter Krag, Anh-Linh Ngo, Franziska Gödicke, Christian Hiller, Anne Femmer, Melissa Makele
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Kurator:innenteam bei ARCH+s: Florian Summa, Juliane Greb, Petter Krag, Anh-Linh Ngo, Franziska Gödicke, Christian Hiller, Anne Femmer, Melissa Makele
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Werden wir denn auch Architektur sehen?

Ob denn auch Architektur zu sehen sein wird, fragten wir die Architekt:innen im Kuratorenteam, Anne Femmer, Florian Summa, Juliane (mit Petter Krag). „Ja, wieso nicht?!“ war die Antwort der drei, die überrascht waren, man könnte vermuten, in Venedig würde keine Architektur gezeigt (s. Interview im Video hier im Beitrag). Man werde aber anders als sonst tatsächlich keine gebauten Häuser in den Mittelpunkt des Pavillons stellen, vielmehr die nötige Ausstellungsarchitektur, die das Thema in vordergründiger wie übertragener Weise trage/transportiere. So werde nicht – wie häuftiger in der Vergangenheit – die Auseinandersetzung mit dem Pavillon(Bestand) gesucht, sondern mit der Übernahme des vorgefundenen Zustands. Und der zeigt immer noch die Spuren der Grabungsarbeit „Relocating a Structure“ der Künstlerin Maria Eichhorn, oder Teilen davon. Maria Eichhorns Arbeit war der deutsche Beitrag zur Kunst-Biennale 2022, man könnte sagen, der vorläufige Abschluss in der langen Reihe von Dekonstruktions- und Angriffsarbeiten auf die Substanz des ungeliebt/geliebten Ausstellungsortes, einer jahrzehntelangen Reihe, die mit Hans Haackes Bodenplattenzersplitterung im Jahr 1993 unübersehbar gestartet wurde. Und der nicht nur die Künstler:innen nachgingen, auch zahlreiche Architekt:innenbeiträge stellten die Frage nach dem, was denn der Pavillon sei – und ob man ihn nicht überhaupt komplett abzureissen habe (so allen Ernstes und mit Argumenten 2010 der damalige Präsident der Bundesarchitektenkammer, Arno Sighart Schmid).

Deutscher Pavillion in den Giardini, hier zur Ausstellung 2014 mit dem Bundeskanzler-Mercedes auf der imaginären Vorfahrt
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Deutscher Pavillion in den Giardini, hier zur Ausstellung 2014 mit dem Bundeskanzler-Mercedes auf der imaginären Vorfahrt
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Über einen „Akt der Instand(be)setzung“ werde die archäologische Arbeit Maria Eichhorns aktiv in die Gesamtgestaltung des Ortes miteinbezogen, ganz im Sinne einer „diskursiven, materiellen und ökonomischen Nachhaltigkeit“. Damit werden – so auf der Pressekonferenz – Kunst- und Architekturbiennale erstmals räumlich und programmatisch miteinander verwoben. Im deutschen Pavillon. Der Ausstellungsbeitrag wird – so wie es schon die Arbeit des Architekturbiennale Kuratoren Alejandro Aravena 2016 im zentralen Pavillon vormachte – mit gebrauchtem Material der Kunstbiennale realisiert. Weiteres Baumaterial kommt von anderen Länderpavillons, die ihr Abbruchmaterial ihrer Ausstellungsarchitekturen zur Verfügung stellen. Die Integration von „Spolien“ der vorangegangenen Biennale als Teil neuer Materialassemblagen soll „überraschende Bedeutungszusammenhänge“ offenbaren und den materiellen Hinterlassenschaften der vorangegangenen Biennale einen besonderen gestalterischen und kulturellen Wert verleihen.

Das Bauen mit gebrauchtem Kunstbiennale-Material ist nicht neues in Venedig: Alejandro Aravenas Beitrag 2016 im Auftaktsaal des Arsenale arbeitete mit Gipskartonplatten und Trockenbaukonstruktionselementen aus Aluminium
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Bauen mit gebrauchtem Kunstbiennale-Material ist nicht neues in Venedig: Alejandro Aravenas Beitrag 2016 im Auftaktsaal des Arsenale arbeitete mit Gipskartonplatten und Trockenbaukonstruktionselementen aus Aluminium
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Wie überhaupt die Kurator:innen auf der Pressekonferenz festhalten, dass jede Nachhaltigkeitsdebatte auf der Biennale in Venedig schon durch den massenhaften Ressourceneinsatz konterkariert werde, jährlich würden auf den Ausstellungsfläche in der Lagunenstadt hunderte Tonnen an Abfall zurückgelassen. Der nun also geübte praxisnahe Ansatz – Materialverwertung, die sich auf das Vorhandene fokussiert – solle „lustvoll Handlungsoptionen und Handlungsfelder aufzeigen, die alternative Gestaltungsmöglichkeiten für die Architektur eröffnen und damit auch zu ihrer sozialen Erneuerung beitragen können.“

Pressekonferenz, 11.00, bei ARCH+ im Frizz23, Berlin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Pressekonferenz, 11.00, bei ARCH+ im Frizz23, Berlin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Im Zentrum des Pavillons: eine Werkstatt

Die Praxis – trotz aller theoretischer Folien, die seitens des ARCH+ Teams natürlich mitgeliefert werden – zeigt sich, anknüpfend an den Biennale-Titel „The Laboratory of the Future“ der diesjährigen Chef-Kuratorin Lesley Lokko, vor allem auch in einer lauten, Staub und Form produzierenden Werkstatt im eigentlichen Sinn. Nach dem Motto „From Exhibition to Habitation“ des venezianischen Stadtaktivisten Marco Baravalle macht dieser als Teil des größeren Teams aus dem Ort nationaler Repräsentation einen Ort der gemeinschaftlichen Alltagspraxis. Hier in der Werkstatt sollen Dinge ge- und bearbeitet werden, die einem konkreten lokalen Bedarf zugeführt werden. Der deutsche Pavillon soll sich in eine produktive Infrastruktur verwandeln, die die Prinzipien des zirkulären Bauens ebenso wie die soziale Verantwortung der Architektur befördert. Der Pavillon wird zum Schaulager, er dient dem Sammeln, Katalogisieren, Bereitstellen und Verarbeiten gebrauchter Materialien der Biennale. Die Werkstatt wird die Basis für verschiedene venezianische und internationale Initiativen und Hochschulen sein, sich mittels 1:1-Interventionen für die Maintenance sozialräumlicher Strukturen vor Ort einsetzt.

Wie wird der deutsche Beitrag abschneiden?

Und als wäre das nicht alles, beschäftigt sich das Projekt (die „Ausstellung“ ist es eben nicht) über die Ressourcenfrage hinaus mit Fragen der gesellschaftlichen und räumlichen Inklusion in Venedig. Tatsächlich ist die Stadt längst leergezogen und macht ihrem Anspruch, Kulisse zu sein für zig Millionen Touristen im Jahr, quartiersweise alle (Un)Ehre. Städtische Gelder fließen in den Erhalt der wertvollen Kulissen und der diese umgebenden Infrastrukturen, hunderte Häuser stehen leer und verfallen.

Eine Stadt wie ein Traum: Kulissenstadt Venedig mit gigantischem Wohnungsleerstand
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Eine Stadt wie ein Traum: Kulissenstadt Venedig mit gigantischem Wohnungsleerstand
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Venedig, eine internationale Touristendestination und eine ausgebeutete dazu
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Venedig, eine internationale Touristendestination und eine ausgebeutete dazu
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Mit der Kommerzialisierung des städtischen Raums auch durch die internationalen Biennalen und eine auf Bilderlebnisse zielenden Unterhaltungsindustrie zieht sich das Altagsleben in die hinterletzten Gassen zurück. Gleichzeit bilden sich immer noch aufgrund dieser Entwicklung eine Vielzahl an Initiativen, die sich der Zerstörung der Lagunenstadt entgegenstellen. Diesen möchte „Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet“ eine Plattform bieten: Während der gesamten Laufzeit der Architekturbiennale 2023 (Mai bis November 2023) können sie sich mit internationalen Partner:innen im Rahmen einer Workshop-Serie anhand von Interventionen im Pavillon und im städtischen Raum kritisch mit den Biennalen als Format und der Architektur als Disziplin auseinandersetzen. Wie dabei der deutsche Beitrag abschneidet, wird vielleicht nicht uns allein interessieren. Auch die Sponsor:innen werden genau schauen, wie das Publikum reagiert. Der Hauptsponsor – neben dem Bund – ist der Automobilhersteller Volkswagen, dem das Wort „Maintenance“ bis heute ein Fremdwort ist. Aber vielleicht lernt VW von der Bauindustrie, obwohl das sogar von dieser immer genau andersherum gesehen wird. Auf nach Venedig!

www.archplus.net, www.labiennale.org

Zum Thema Weiteres hier auf DBZ.de.

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