Im Gespräch mit Gerald Kühn-von Kaehne, Gerald Kühn-von Kaehne und Eberhard Lange, Potsdam

Baufehler bewahren? Durchaus!

Der Einsteinturm von Erich Mendelsohn ist eine Architekturikone der klassischen Moderne. Auf dem Telegrafenberg in Potsdam dient er bis heute astrophysikalischen Experimenten. Seine für die 1920er-Jahre weltweit einmalige Form birgt allerdings grundlegende Baumängelgefahren, die immer wieder Reparaturen und umfassende Sanierungen erforderten. Die letzte wurde aktuell abgeschlossen. Wir sprachen dazu mit dem verantwortlichen Architekten.

Interview: Benedikt Kraft/ DBZ

Gerald Kühn-von Kaehne,
Potsdam
www.kvkul.de
Foto: Benedikt Kraft/ DBZ

Gerald Kühn-von Kaehne,
Potsdam
www.kvkul.de
Foto: Benedikt Kraft/ DBZ

Lieber Herr Kühn-von Kaehne, nun ist es hier am Einsteinturm ruhig geworden, nach all der Feierstimmung mit Grußworten aus Politik und Kultur … Wie kommt man zu einem solch wunderbaren Projekt wie dem Turm, vor dem wir beide hier stehen?

Wir, mein Partner und das ganze Potsdamer Büroteam, arbeiten seit über 30 Jahren u. a. mit dem Schwerpunkt auf denkmalgeschützten Bauten. In all den Jahren durften wir sehr viel Erfahrung sammeln, die uns für dieses Projekt qualifiziert. Über eine Empfehlung ist die Wüstenrot Stiftung auf uns aufmerksam geworden.

Natürlich haben wir uns mit Helge Pitz getroffen. Er hat mit großer Expertise die vorherige Restaurierung geleitet und auf seiner damaligen Arbeit konnten wir aufbauen. Für eine möglichst gute Planungsrundlage haben wir uns intensiv mit der gesamten Restaurierungsgeschichte auseinandergesetzt.

Als Potsdamer kennen Sie den Turm. Wie haben Sie die Architekturikone erlebt?

Ich war immer fasziniert von diesem architektonischen Juwel und bin dankbar, an seinem Erhalt mitgewirkt zu haben. Die letzte Sanierung 1999 habe ich aus der Ferne wahrgenommen, denn unser Büro hat sich zu der Zeit zusammen mit dem Landesamt für Denkmalpflege um die Hutfabrik in Luckenwalde gekümmert, ein weiteres bedeutendes Bauvorhaben von Erich Mendelsohn.

Mit welchen Fachplanern sind Sie in das Projekt gestartet?

Uns lagen mit der Dokumentation der vergangenen und wohl umfangreichsten Sanierung profunde Erkenntnisse vor. Die restauratorischen Untersuchungen, baukonstruktiven Analysen, Putz- und Mörteluntersuchungen sind bis heute grundlegend und wegweisend. Daher bedurfte es keiner weiteren Fachplaner, sondern eher einer Sanierungskonzeption, die mit allen beteiligten Experten detailliert abgestimmt wurde.

Es ist jetzt gerade mal 24 Jahre her, dass die Wüstenrot Stiftung einen ersten Aufschlag gemacht hat. Nun wieder Baugerüste und Handwerker … Hätte eine kontinuierliche Pflege eine Sanierung nicht hinausschieben oder sogar verhindern können?

Sie haben jetzt vermutlich den Pflegeplan im Sinn, den die Stiftung nach einer solchen Sanierung erstellen lässt. In der hier vorliegenden bauphysikalischen Gemengelage reicht ein Pflegeplan allein nicht aus. Der Einsteinturm hat grundsätzliche bauliche und bauphysikalische Probleme, die zuerst winzige Schäden verursachen, im Laufe der Jahre aber stetig größer werden. Zum Beispiel gab es Rostsprengungen bei Stahlträgern, die sich nicht so ohne weiteres verhindern lassen, oder Dächer, die per se nur eine bestimmte Lebensdauer haben. Nun haben wir mit der neuen Dacheindeckung eine gute Grundlage geschaffen um frühere Sanierungsintervalle, die anfangs bei zehn Jahren lagen und zuletzt 24 Jahre betrugen, im Sinne einer finanziellen wie ökologischen Nachhaltigkeit weiter zu strecken.

Ich frage jetzt einmal provokant: Ist es nicht Unsinn, ein Baudenkmal einschließlich seiner Baufehler zu bewahren? Macht das Sinn?

Durchaus macht das Sinn! Nur dadurch können Form und Aussehen erhalten bleiben. 1915 notierte Erich Mendelsohn, dass „alle künstlerische Arbeit nur das Ziel [habe], Zweckform und Kunstform zur absoluten Vereinigung zu bringen.“ Das hat er hier mit dieser wohl weltweit einmaligen Kunstform geschafft. Hier baukonstruktiv einzugreifen hieße, etwas Einmaliges zu fälschen. Es käme einer Zerstörung eines Gesamtkunstwerks gleich. Dazu kommt die zeithistorische Dimen­sion. Der Architekt hat in seiner Zeit versucht, seinen künstlerischen Entwurf mit einer ganz eigenen und originellen Formensprache mit den damaligen Kenntnissen über Materialien und Bauphysik umzusetzen. Diese Leistung verdient bis heute Demut und Respekt. Der Einsteinturm ist nicht umsonst so bekannt!

Apropos Fälschung: Tatsächlich hat Mendelsohn mit der Mischbauweise etwas vorgetäuscht, was man damals noch nicht homogen bauen konnte. Der Stahlbetonkörper besteht eben aus Beton und Ziegeln, was ein wesentliches Problem für das Gebäude heute ist.

Ja, durch die unterschiedlichen, miteinander verbundenen Materialien haben wir gegeneinander arbeitende Längendehnungen bei Temperaturänderungen. Es kommt zur Rissbildung mit den schon genannten Folgen.

Dagegen ist kein Kraut, also kein spezieller Putz gewachsen? Was sagt die Materialforschung? Carbonfasermatten, elastische Putze … Oder wäre das schon wieder zu weit weg vom Original?

Der Einsteinturm bildet von seiner Errichtung bis heute in den verschiedenen Restaurierungsphasen und Restaurierungsmaßnahmen eine Geschichte der Restaurierung ab. Es ist ein wesentliches Anliegen der Denkmalpflege, genau diese Restaurierungsgeschichte zu bewahren.

Die vorhandenen Putze sind nur an wenigen Stellen ergänzt worden. Somit haben auch wir die Restaurierungsgeschichte fortgeschrieben. Wer den Einsteinturm im Streiflicht anschaut kann diese Geschichtsspuren ablesen. Darum geht es: Das Bauwerk in genau dieser Authentizität und Würde des Alters zu belassen.

Nur in den Zonen mit besonderer Rissanfälligkeit, wo wir Horizontalrisse zwischen Beton und Mauerwerk haben, wurden spezielle Lösungen für die Überbrückung gefunden. Eine sichtbare Dehnfuge wäre ein zu großer optischer Eingriff gewesen.

Welche wesentlichen Maßnahmen bestimmen Ihre Arbeit an dem Gebäude?

Da sind einige zu nennen: Alle Dächer wurden umfassend bearbeitet. Die Eingangsterrasse, die sozusagen auch ein Dach ist und auf der wir gerade stehen, hat eine Oberfläche aus einen mikrobewehrten fugenfreien Estrich erhalten. Außerdem wurde die gesamte Fassade restauriert und innen sind Anstriche ausgebessert worden. Zusammen mit dem AIP als Eigentümer haben wir uns Gedanken darüber gemacht, welche Ausstattung im Turm erhalten bleiben soll. Was ist überflüssig und entspricht nicht mehr unseren heutigen Sehgewohnheiten? Die Antwort darauf ist ein neu hergerichteter Raum mit interaktiv nutzbarem Monitor. Mit dieser zeitgemäßen, professionellen Darstellung werden sowohl die wissenschaftliche Nutzung und die Funktionsweise des Sonnenteleskops als auch Bau- und Sanierungsgeschichte angemessen präsentiert. Im Hinblick auf eine immer internationaler werdende Gesellschaft ist das ein großer und, wie ich finde, sehr gelungener Schritt in die Zukunft. Da der Einsteinturm nach wie vor in Nutzung ist, kann der Bau nur mit Führung in definierten Zeitfens­tern besichtigt werden. Eine im Außenbereich plazierte Stele mit QR-Code ermöglicht zudem eine interaktive Besichtigung zu allen Tageszeiten.

Nun saniert die Wüstenrot Stiftung keine Denkmale, die nicht in der Weiternutzung sind. Wurde der Turm, der vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam genutzt wird, auf die Fortschritte angepasst, die die Wissenschaft doch hoffentlich in den vergangenen 25 Jahren gemacht hat? Wurden neue Geräte eingebaut, größere Querschnitte für Elektro oder Lüftung gemacht? Oder ist der Turm im Wesentlichen immer noch auf dem technischen Stand von 1924?

Außer neuer Computertechnik, die ja transportabel ist, sehen Sie den Turm weitgehend so, wie er 1924 eröffnet wurde, also mit fast allen optischen Geräten, den Spiegelumlenkungen, der von Hand zu öffnenden Kuppel, dem Großteil der Möblierung. Vieles ist nahezu im Originalzustand, was den ganzen Turm eben sehr authentisch macht.

Stichwort von Hand zu öffnen: Findet man noch Firmen, die Handarbeit können? Zimmerleute, Putzer, Maler …

Ja, die Arbeiten, die am Einsteinturm ausgeführt werden mussten, waren sehr speziell. Zum Glück haben wir hier vor Ort genau die qualifizierten Handwerker, die es braucht und mit denen unser Büro schon über viele Jahre zusammenarbeitet.

Vom Handwerk zum Handwerken: Es wird in Kürze einen Pflegeplan geben. Diesen in Anwendung zu bringen, wurde gerade eben noch auch offiziell von Bauherrnseite fest zugesagt! Inwieweit sind Sie da involviert? Wird es Veränderungen zum ersten Plan geben, eine Fortschreibung in der Sanierungsgeschichte?

Sie haben es gesagt, der Pflegeplan ist noch nicht ganz fertiggestellt. Das Besondere ist, dass wir das Konzept jetzt zusammen mit einer der ausführenden Firmen erstellen, also mit Menschen, die hier vor Ort tätig waren. Der Pflegeplan wird ganz einfache Anweisungen enthalten, was in welchen Intervallen wo getan werden muss.

Welche Arbeiten, glauben Sie, werden in der nächsten Sanierung 2045, 2050 gemacht werden müssen? Werden wieder Risse saniert? Die Dächer sind ja grundlegend gemacht worden. Was also kommt auf den Turm zu?

Die Dächer sind dauerhaft hergestellt, unter der neuen Blechabdeckung gibt es jetzt zusätzlich eine weitere Abdichtung. Das soll eine doppelte Sicherheit schaffen. Dies ist notwendig, weil wir eine innenliegende Entwässerung haben. Das sollte bei entsprechender Pflege länger als 50 Jahre halten. Bei der Fassade ist eine jährliche Pflege nötig, zumindest eine genaue Untersuchung, um dort schnell einzugreifen, wo erste Risse und Abplatzungen entstehen. Schauen Sie, der Einsteinturm steht ja quasi im Wald. Im Zuge der Baumaßnahme haben wir dafür plädiert, diesen Wald vom Einsteinturm etwas abzurücken. Damit ist gemeint, Bäume zurückzuschneiden und wo nötig bzw. möglich auch zu fällen. Putzflächen, die bis in die Waagerechte hineingehen, sind für Stauwasser nicht geeignet. Zu große Verschattung durch Bäume lässt die Feuchtigkeit nicht schnell genug abtrocknen. Wir wissen um die Schwierigkeit, alte Bäume zu fällen. Deshalb wurden an anderer Stelle bereits neue Bäume nachgepflanzt.

Ansonsten gilt es, den normalen Verschleiß kontinuierlich zu reparieren, um größere Bauschäden nicht entstehen zu lassen.

Eine besondere Herausforderung stellen die Außenanlagen mit ihren steilen Grasflächen über dem herausragenden Untergeschoss dar. Diese erfordern einen speziellen Schnitt und eine intelligente Bewässerung, um nicht durch Austrocknung zu errodieren.

Meine letzte Frage: Was nimmt ein Büro, das auf Denkmalsanierung spezialisiert ist, aus einem derart speziellen Projekt für andere Arbeiten mit?

Spezielle Bauwerke erfordern kreative und spezielle Lösungen. Das zeigt nicht nur die Restaurierungsgeschichte des Einsteinturms. Wir durften im Umgang mit einer schwierigen Bausubstanz eine ganze Menge dazulernen.

Das ist mir jetzt ein wenig zu allgemein. Können Sie mir ein Beispiel nennen?

Ja. Wir haben beispielsweise beim Einsteinturm viele waagerechte oder leicht schräge Putzflächen. Diese sind jetzt so behandelt, dass sie den witterungsbedingten wie ästhetischen Anforderungen hoffentlich dauerhafter standhalten. Genau weiß man es ja immer erst hinterher! Damit Sie verstehen, was ich meine: Wir haben auf den gekrümmten Sohlbänken eine hauchdünne Beschichtung aufgebracht, die mit feinen Matten verstärkt wurden und mit einem besandeten Anstrich überzogen wurden. Damit wurde die Feinsinnigkeit der Formensprache „gerettet“, denn Blechabdeckungen hätten den Formfluss mit Kanten und Überständen empfindlich gestört. Gleichzeitig entsteht ein Schutz vor eindringender Feuchtigkeit.

Mit jeder neuen Lösung lernt man nicht nur dazu, sondern man begreift auch, in neuen Zusammenhängen zu denken. Es liegt auf der Hand, dass dieses Wissen weiteren Projekten zugutekommt. Der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und die klimatischen Veränderungen verlangen uns Architekten in den nächsten Jahren noch viele krea­tive Lösungen und damit einhergehende Weiterbildung ab. Ich nenne es mal „nach rechts und links zu schauen“, im Team zu arbeiten mit jung und alt, um mit der Expertise von möglichst vielen gemeinsam um die beste Lösung zu ringen. Das macht unseren Beruf so spannend, egal ob wir es mit Altbau oder Neubau zu tun haben.

Wenn alles gut geht, werden Sie die nächste Sanierung nicht mehr machen. Was wünschen Sie dem Turm? Wie verabschieden Sie sich vom Telegrafenberg?

Nach der langen und sehr intensiven Zeit hier vor Ort verabschiede ich mich mit einem dankbaren und hoffnungsfrohen Lächeln. Mein Respekt, mein Verständnis, ja meine Hochachtung für das Ringen von Erich Mendelsohn um die Balance zwischen Kunst- und Zweckform sind gewachsen. Ich fühle eine große Verbundenheit mit ihm, aber auch mit vielen anderen Berufskollegen. Letztendlich arbeiten wir alle – zusammen mit den Handwerkern – jeden Tag von Neuem an der Harmonie von Schönem und Sinnvollem.

Was ich dem Turm wünsche? Mir ist es sehr wichtig, dass wir es mit allen daran Beteiligten schaffen, ein so lösungsorientiertes Erhaltungskonzept zu erstellen, dass die Pflege des Mendelsohnturms von Anfang an gewissenhaft durchgeführt wird, dass sie gelingen kann. Meine größte Freude wäre, das bisherige Sanierungsintervall so weit als möglich zu übertreffen. Und meine heimliche Hoffnung: Vielleicht gelingt hier auf dem Telegrafenberg noch die Entdeckung einer astrophysikalischen Sensation?!

Mit Gerald Kühn-von Kaehne unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am Fuß des Einsteinturms anlässlich seiner feierlichen Neueröffnung am 26. September 2023 am Telefgrafenberg in Potsdam.

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