Baugeschichte als Avantgarde

Egon Eiermann gehört zum Kanon der deutschen Architekturgeschichte der Nachkriegszeit. Wie kaum ein zweiter hat er, als Lehrer wie als Architekt zahlreicher öffentlicher oder doch öffentlich wahrgenommener Bauten, den Gestaltungsdiskurs der jungen Republik bis heute geprägt. Dass seine Möbelentwürfe immer noch gefragte Sammlerobjekte sind, zeigen die Kataloge relevanter Auktionshäuser. Dass der mit 65 Jahren früh Verstorbene sein Architekturverständnis – „wir sind keine Maler, wir sind keine Bildhauer, wir sind Architekten“ – sehr konzentriert im Wohnungsbau – allerdings meist im Villenbau – entwickelte, zeigt die hier vorliegende Dokumentation seines eigenen Wohnhauses in Baden-Baden.

In den letzten Jahrzehnten mehrfach verkauft und mehrfach saniert, hat das „einfache“ Haus, wie der Architekt seinen Entwurf mit 400 m² Wohn-/Arbeitsfläche für drei Menschen nannte, dennoch bis heute seinen Charakter erhalten können, was für die Qualität der Räume und all ihrer Details zu sprechen scheint. Der Autor ist Kunsthistoriker und war einige Jahre u. a. zuständig für das Werk­archiv Eiermanns am saai. Er schreibt einerseits detailliert fachlich über den Entwurfsprozess und die Ausführung, andererseits bringt er Biografisches mit, Anekdoten. Und immer wieder öffnet sein gut lesbarer Text den Fokus auf die Werkentwicklung Eiermanns insgesamt, sodass man versteht, dass das Haus-Eiermann eine Art Essenz seines Schaffens darstellt, die Kulmination verschiedener, aus den Jahren entwickelter Ansätze, ein Haus zu gestalten. Dass er selbst nur wenig dort wohnte – weil viel unterwegs – zeigt zudem, dass der Entwurf, das Bauen das erste Ziel war, nicht das Wohnen darin später.

Wie in den Opus-Reihen bei Axel Menges üblich und erwartbar, ist die Darstellung der Einzelarbeit umfassend, Text- und Abbildungsteil zueinander ausgewogen, man kann die reich mit Entwurfsvarianten, Studien und Ausführungsplänen gut gefüllte Arbeit in wenigen Stunden näher rücken lassen und sie auch dann noch erinnern, wenn längst weitere Lesearbeiten den Eiermann überholt haben. Was auch an der Architektur liegt. Besonders hervorzuheben ist der mit „Entwicklung bis heute“ übertitelte Schlussabsatz, in dem auch das Scheitern einzelner baulicher und gestalterischer Aspekte des Hauses genannt wird, was immer wieder zeigt, dass Architekturikonen des 20. Jahrhunderts auch Experimentalarbeiten waren, die über den sicheren Standard hinausgingen und dabei auch einmal riskierten, eine Bauschadensammlung zu werden.

Dennoch – und wir könnten ja draus lernen! – ist das Wohnhaus Egon und Brigitte Eiermanns bis heute von der Relevanz, Baugeschichte als Avantgarde anschaulich werden zu lassen. Dass wir ausser drei aktuellen Außenaufnamen – die zudem der Autor anfertigte – nur die allerdings ebenfalls Standards setzende sw-Fotografie des „Eiermann-Fotografen“ Horstheinz Neuendorf erleben, das wäre vielleicht das einzige Manko dieser Publikation aus einer einmaligen Reihe, die doch immer auf Vollständigkeit zielt. Ob hier ein Erbe in Reinform geschützt werden soll, das wäre zu vermuten. Wir werden also auf aktuelle Innenraumbilder weiter warten müssen! Be. K.

Egon Eiermann, Haus Eiermann,
Baden-Baden. Mit einem Text von ­Gerhard Kabierske (=Opus87), dt./engl. Edition Axel Menges, Stuttgart 2023, 72 S. mit 90 Abb.36 €, ISBN 978-3-932565-87-8
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