Beliebige Farblosigkeit

Text: Lydia Kotzan
Alles andere als farblos ist der feuerwehrrote Wohnriegel LOK45 von Robertneun Architekten in Berlin. Bei der Gestaltung der Fassade differenzierten die Architekt:innen zwischen verschiedenen Rottönen
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ
Alles andere als farblos ist der feuerwehrrote Wohnriegel LOK45 von Robertneun Architekten in Berlin. Bei der Gestaltung der Fassade differenzierten die Architekt:innen zwischen verschiedenen Rottönen
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ
Gehören Farbe und Architektur zusammen? Zu wenige zeitgenössische Beispiele fallen mir ein, die sich aus den Pastelltönen der Stadt hervorheben. Etwa der Rooftop-Walk, ein orangefarbener Teppich über Rotterdams Dächern von MVRDV, die 36.000 gedämpft farbigen Keramikstäbe des Museum Brandhorst von Sauerbruch und Hutton in München sowie der feuerwehrrote Wohnriegel LOK45 von Robertneun Architekten in Berlin − und da­rüber hinaus? …tüncht sich die Stadt im beliebigen Betongrau, Weiß, Gelb und Ocker. Es hält sich beständig; Weiß und Grau können zumindest keine falsche Entscheidung sein, scheint es.
Woran liegt das? Warum ist unsere Architektur so farblos?
Schauen wir auf die Produkte in den Supermarktregalen, auf unsere Mode oder die Werbeplakate unserer Straßen, werden wir von Farben erschlagen. Alles ringt um unsere Aufmerksamkeit. Aber die Häuserfassaden bleiben eintönig, dabei kann Farbe Identifikation stiften, Atmosphäre und Orien­tierung geben. Sie kann einen Raum größer, gemütlicher, gedrungener, wärmer und offener wirken lassen. Bunt gilt jedoch als wenig elegant, Weiß als wahr, sachlich und klar.
In der Architektur wird Farbe selten mit entworfen – ich hatte keine Farbenlehre in meiner universitären Ausbildung. Im Entwurfsprojekt stand das Konzept, der Raum und die Form im Vordergrund. Der Entwurf war schon ohne den Gedanken an Farbe vollkommen. So blieb sie unbestimmt oder die Wahl fiel zu guter Letzt einfach auf Weiß.
Materialität hingegen war wichtig und zwar in ihrer wahren Gestalt, ohne künstliches Einfärben oder Verkleiden. So prägt nicht selten die Verfügbarkeit von Materialien die Farbigkeit von Orten. In den Niederlanden finden sich rote Backsteinfassaden, in Norditalien gelber Travertin, in Bergregionen Holz und in Thüringen schwarzer Schiefer. Prägend können auch Farben sein: Bekannt ist das typische Falunrot schwedischer Häuser - das rote Pigment entsteht als Nebenprodukt beim Kupferabbau und sollte den Holzhäusern die Anmutung von Backsteinbauten geben. In den meisten Städten Mittel­europas bestimmt die über Jahrhunderte lang verbreitete Kalkfarbe das Bild. Die Möglichkeiten der Industrie formen unsere Städte weiter: Stahlbetonbauten und Glasfassaden ab der Mitte des 20. Jahrhunderts. Es ist spannend anhand von Materialien und Farben den Ort und die Zeitgeschichte ablesen zu können. Viel zu sehr entwickeln sich unsere Städte in eine Gleichförmigkeit, in der Gebäude gänzlich ortsunbezogen global existieren können.
Farbe verrät uns auch etwas über die Baugeschichte, es gab immer wieder Bewegungen und Stilrichtungen, die Farbe gewagt haben: das Neue Bauen, De Stijl und die Postmoderne. Ihre expressiven Farbgestaltungen versiegten jedoch immer wieder in einer darauffolgenden Periode farblicher Zurückhaltung. Erst in jüngster Zeit wird Farbe wieder provokanter und monochromer eingesetzt und der Versuch unternommen, Farbe, Raum und Fläche zusammenzuführen und ganzheitlich zu denken.
Farbe darf nicht mehr nur Anstrich sein, etwas was dazu kommt, sondern sollte von Anfang an mit konzipiert werden. Sie muss Teil des Entwurfes werden, Teil der Lehre an ­Universitäten. Dann ist Farbe nicht mehr nur beliebig, sondern kann selbstbewusst und bestimmt eingesetzt werden. Wie oft? Das ist eine Frage von Individualität und Integrität.
Ich möchte beim Spaziergang durch die Stadt nicht an die bunten Supermarktregale erinnert werden, aber hier und da ein Bekenntnis f­arbiger Architektur entdecken, das sich entschieden und mutig hervorhebt, weil es städtebaulich und entwerferisch plausibel ist.
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