Bruther im Kunstverein Bielefeld
Natürlich wird niemand ernsthaft behaupten können, dass die Fotografie beispielsweise, die doch für einen direkten Zugang zum fotografierten Objekt steht, dass Fotos also Architektur dokumentieren, handhabbar, also begreiflich werden lassen können. Können sie nicht. Ihre Zweidimensionalität ist für eine Darstellung von Raum – in dem wir sind – nicht hinreichend. Fotografie bildet ab, wir stehen – oder sitzen – Abbildern gegenüber. Und dann gibt es noch das Prozessuale des Bauens, das sich meist auch nur den Eingeweihten, die tatsächlich vis-a-vis stehen offenbart: kleine Unstimmigkeiten, besondere Details, Volumenveränderungen oder das Fehlen eines letzten Schritts zur Perfektion. Alles das liegt im Fortgang des Bauprozesses begründet, der nicht ausstellbar ist. Selbst die großartige Polystyrolschlacht eines Rem Koolhaas in der Neuen Nationalgalerie („Content“ 2003-2004) hat es nicht geschafft, Architektur auch als Prozess darzustellen.
Im Kunstverein Bielefeld hat man nun das Unmögliche wieder probiert. Kurator Andreas Wannenmacher ist es gelungen, das Pariser Architekturbüro Bruther nach Ostwestfalen einzuladen; und war so umsichtig/vorsichtig, den beiden Köpfen und Büronamensgebern – Stéphanie Bru und Alexandre Theriot – die Ausarbeitung des Ausstellungskonzepts im Waldhof zu überlassen. Der ehemalige Adelshof im Stil der Weserrenaissance hat schon häufiger Architekt:innen und Kurator:innen herausgefordert, auf drei Ebenen und in vier Räumen mit Durchgangsräumen Kunst oder eben Architektur zu diskutieren. Bei Bruther nun scheint sich das räumliche Geflecht kreativ auf die Ausstellungskonzeption ausgewirkt zu haben, wie auch budgetäre Zwänge die Präsentation von Modellen oder Plänen verhinderten. Ausgehend von der Behauptung, dass jedes Projekt eine langwierige Suche darstelle, die von den Franzosen über die Wahl der Materialien und das Arbeiten am Arbeitsmodell vorangetrieben wird, luden Stéphanie und Alexandre den ihnen bis dahin unbekannten Fotografen Johannes Schwartz in ihr Büro ein.
Der fotografierte die Materialsammlung des Büros und eine ganze Reihe von Modellen. Letztere in Schwarzweiß und Farbe, die Musterstücke, Materialfunde und sonstigen Artefakte in Farbe (Fotos in einer leider nur sehr knapp textlich ausgestatteten, aber mit ihrem seitenfüllenden Format sehr präsenten Publikation „Shelf. Bruther“ bei Spector Books, Leipzig). Diese Abbilder klebten die Architekt:innen auf die Wände, teils wandfüllend. Material verbindet sich mit Material und überhaupt: Der (neo-)rationale Ansatz von Bruther, deutlich beeinflusst von dem „as found“ der Smithsons, kann mit diesem reduzierten, effizienten und (natürlich) nachhaltig gedachten Ansatz perfekt vermittelt werden. Das scheinbar Ärmliche, die aber eher sparsame, genauer: reduzierte Wahl der Mittel ist einer der Grundsätze, nach dem Bruther Architektur entwickelt.
Ausgehend von dieser Basis (Materialien, Modelle), geht es auf eine folgende (nicht zwangsläufig höhere!) Ebene, auf der die eindimensionalen Abbilder und kongenialen Nachschöpfungen der Arbeits- und Präsentationsmodelle durch Videoaufnahmen von und aus den fertiggestellten Projekten fortgeschrieben werden.
Dann, gleichsam ganz am Ende des ungeschriebenen Ausstellungsrundgangs – hier eben eher ein linearer, aber durchaus gewundener – überrascht ein kleiner Turm aus drei Monitoren. Dort werden, ebenfalls in Endlosschleife, Filmausschnitte aus bekannten oder doch wenigstens Cineasten bekannten Spielfilmen gezeigt: Jacques Tati ist mit dabei, aber auch Dustin Hoffman, der in einem Film mitspielt, der irgendetwas mit Architektur zu tun hat. Mit den über die drei Monitore laufenden Filmschnipseln verweisen die Architekten auf ihre kulturelle Herkunft, ihre Assoziationsräume und nicht zuletzt auch auf ihre Echokammern, die möglicherweise die unseren sind und möglicherweise auch nicht.
Die Ausstellung, die sehr konzeptionell daher kommt, schafft einen anderen Zugang zu Entwurf und Realisierung, zu diskursiven Versatzstücken, die sich in allem Gebauten wiederfinden, bei Bruther auf den als Metabildern präsentierten Bildern, bei anderen Architekt:innen auf ganz anderen. Dass wir dieser Schau gegenüber erklärungslos bleiben, macht sie stark und zugleich schwach. Wer nur schauen möchte, wird wenig sehen; wer sehen will, muss sich vorbereiten. Konkrete Antworten geben die Architekt:innen zur Finissage Anfang Juli, am 11. Juni. Bereits ab 17 Uhr führt der Kurator Andreas Wannenmacher alle Interessierten durch die Schau. Be. K.
Die Ausstellung „Construire libre“ ist Teil der Ausstellungsreihe Baukunst und findet in Kooperation mit dem Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA statt. Sie wird kuratiert von Andreas Wannenmacher. Dauer: 29. April bis 2. Juli 2023