Innovator am Skagerrak

Büro- und Geschäftshaus, Kristiansand/NO

Lumber ist das norwegische Wort für „Holz“ und im Falle des Projekts Lumber 4 im norwegischen Kristiansand Reminiszenz und Markenzeichen zugleich. Denn das Büro- und Gewerbehaus steht bezeichnenderweise in Lumber, einem auf der südwestlichen Seite des Naturhafens von Kristiansand liegenden Stadtteil. Holz war hier einst eines der wichtigsten Exportgüter, als Kristiansand noch ein bedeutender Handelshafen war, und zudem ein populäres, lokales Baumate­rial. Nicht immer zum Vorteil der Substanz, da die Stadt im 18. und 19. Jahrhundert durch mehrere Brände immer wieder in weiten Teilen zerstört wurde. Doch von Vorbehalten ­gegenüber dem Baumaterial Holz kann keine Rede sein.

Das Lumber 4 vom Osloer Architektur- und Ingenieurbüro Oslotre AS steht in einem Gewerbegebiet und ist ein Büro- und Gewerbehaus mit sechs Geschossen. Das weitestgehend frei von Stützen und Einbauten ausgeführte Erdgeschoss bildet durch die eingerückte Fassade einen Sockel aus und beherbergt heute ein Möbelgeschäft. Darüber folgen fünf Geschosse zur klassischen Büronutzung, wobei zu bemerken ist, dass in den Obergeschossen zwei und drei ein zentraler Luftraum angelegt ist, der beide Geschosse zu einer Einheit zusammenfügt. Insgesamt ergeben sich so fünf Mieteinheiten. Die Hybridkonstruktion wird durch ein Bestandstreppenhaus aus Beton erschlossen und ausgesteift und steht zudem auf einer Tiefgarage aus diesem Material. Abgesehen davon und den Holz-Beton-Verbunddecken handelt es sich sonst um eine reine Holzkonstruktion. Weiter besteht die Fassade abwechselnd aus vorgefertigten konkaven, grünen Holzelementen oder raumhohen Fenstern, die über die Höhe des Gebäudes eine Art Schachbrettoptik ausbilden. Und das war es dann eigentlich auch schon fast, möchte man meinen, würde man nur einen flüchtigen architektonischen Blick auf das Gebäude werfen. Doch das Lumber 4 ist ein Pionier im besten Sinne.

Mit gutem Vorbild voran

Ziel des Auftrags von Skeie Eiendom an Oslotre war es, ein Gebäude zu entwerfen, das in Holzbauweise denselben Standard – TEK 17 – und Preisrahmen einhält wie eine konventionelle Konstruktion aus Beton und Stahl. Dabei ging es der Bauherrschaft, die mit dem Lumber 4 ihr erstes und auch selbstgenutztes Holzhaus in Auftrag gab, um eine Zeichensetzung im Sinne der EU-Taxonomie. Nach einem Vergleich des Entwurfs in entweder Beton und Stahl oder in Holz durch Skeie Eiendom stellte sich heraus: Es gibt keinen Preisunterschied zwischen den Konstruktionsweisen. Gebaut wurde also ein Gebäude aus Holz für 74,5 Mio. NOK exkl. Freiraum und Bestand, was ca. 6,2 Mio. € entspricht. Tatsächlich wird im Rahmen der übergreifenden Gebietsentwicklung inzwischen bereits ein weiteres, doppelt so großes Haus namens Lumber 5 in derselben Bauweise von Oslotre geplant.

Die Sache mit dem Plattenbau aus Holz

Ein seit Jahren verwendetes, auch beim Lumber 4 eingesetztes und immer weiter entwickeltes Baumaterial unserer nordischen Nachbarschaft ist Cross Laminated Timber (CLT oder XLAM), im deutschsprachigen Raum auch gehandelt unter Brettsperrholz (BSH). Ähnlich wie Furniersperrholz, das im Bereich Möbel- und Innenausbau gängig ist, handelt es sich um ein aus mehreren Schichten zusammengesetztes Plattenmaterial aus Holz, bei dem die stets ungerade Zahl der Materialschichten jeweils in zueinander wechselnder Wuchsrichtung verleimt wird. Entsprechend dem immer ausgeprägteren Wunsch nach Alternativen zu Verbundwerkstoffen, die auf Klebstoffen beruhen, werden heute auch BSH angeboten, die verdübelt oder vernagelt sind. Wobei hier das Manko im Raum steht, dass die nicht flächige, sondern punktuelle Verbindung des Materials die Gewährleistung der statischen Belastbarkeit einschränkt, wenn man die vorgefertigten Platten aufschneidet. Für auf präzise Vorfertigung beruhende Konstruktionen freut sich BSH jedoch wachsender Beliebtheit.

Vom Entrepreneur zum Ingenieur

Diesen Trend erkannte Jørgen Tycho, einer der Gründer von Oslotre, bereits früh und berichtet, dass er schon 2009 Teil eines Start-ups namens Massiv Lust AS für die Produktion von und Konstruktion mit CLT war. „Das war noch eine frühe Phase der Entwicklung von CLT, bei der es noch recht handwerklich zuging“, erzählt Tycho. Und weiter, dass die Verwendung von CLT in Norwegen damals noch relativ teurer war. „Ungefähr 20 % teurer als Konstruktionen aus Stahl oder Beton“, so Tycho. Um das Geschäft ertragreich zu gestalten, wurden die Tätigkeitsfelder Produktion und Konstruktion mit der Planung im Sinne von Architektur und Ingenieurbau zusammengelegt. „So konnten wir von beiden Seiten profitieren, was zu einer steilen Lernkurve im Umgang mit dem Material für uns führte.“ Das ging bis 2015 so „dann kam die nächste Generation von CLT-Elementen aus Europa, die größer dimensioniert waren. Danach konzentrierten wir uns auf die Planung und Montage.“ Dem Innovationsdrang von Oslotre in Sachen Holzplattenbau hat die wechselnde Marktlage jedoch nicht geschadet. Bis heute pflegt das Büro Kontakte zu Universitäten und der Holz­industrie. Dementsprechend erbrachten Oslotre im Falle von Lumber 4 auch die Holzbau-Ingenieurleistungen. Die seit Beginn gepflegten Kontakte und Kooperationen waren dabei nicht unbedeutend. So berichtet Tycho, dass bereits 2016 im Rahmen einer Zusammenarbeit mit Universitäten aus Norwegen, Deutschland, Italien und Portugal, respektive deren PhD-Kandidaten, der Materialaufbau für eine Deckenkonstruktion entwickelt wurde, der auch beim Projekt Lumber 4 zum Einsatz kam.

Norwegens Primus

Für eben diese Deckenkonstruktion wurde auf ein Timber Concrete Composite (TCC) zurückgegriffen. Dabei handelt es sich um eine Kompositkonstruktion, bei der CLT und Beton zusammengefügt werden, um beiden Materialeien die jeweiligen konstruktiven Stärken abzuringen – dem Beton die Druck-, dem Holz die Zugfestigkeit. Die Verbindung der beiden Materialien erfolgt dabei in der Regel mit Schrauben, die im Holz nicht versenkt werden und so eine Verbindung zur Armierung einer Betonüberdeckung ermöglichen. Das kann im Bestand als Ertüchtigung einer Holzdecke funktionieren oder im Neubau in Form von vorgefertigten Elementen oder mit einem in situ eingebrachten Beton. Im Falle des Lumber 4 beruht die Konstruktion auf CLT-Decken, die neben den verbindenden Schrauben zudem in Längsrichtung der äußeren Holzlage genutet sind. Durch diese Nuten werden Holz und Beton so miteinander verzahnt, dass die Zugkräfte weiter in das Plattenmaterial übertragen werden. Für Lumber 4 konnten Oslotre dabei Spannweiten von 7,0 bis 7,5 m erzielen, greifen aber bereits auf Erfahrungen mit der Konstruktion zurück, bei der bis zu 10 m gebaut werden konnten. Das Bürohaus Valle Wood in Helsfyr/NO, das von Oslotre zwischen 2016 und 2018 geplant und gebaut wurde, ist ein Primus für großmaßstäbliche Konstruktionen mit TCC in Norwegen.

Ein weiterer Vorteil einer Konstruktion mit TCC ist der durch den Beton bereits gewährleistete Brand- und Schallschutz. Im Falle des Lumber 4 wurde auf einem Deckenaufbau von 14 cm CLT und 9 cm Beton lediglich 5 mm Teppich aufgebracht, womit das Deckenpaket mit knapp unter 24 cm zwar nicht unbedingt wesentlich schlanker als ein Stahlbeton-Pedant daherkommt, aber eine deutliche Betonersparnis erlaubt. Dass dies auch eine CO2-Ersparnis einbringt, liegt auf der Hand.

Weiße Stützen

Getragen werden die Decken von einem Holzständerwerk, das im Erdgeschoss auf Grund der herben Witterung am Skagerrak weiß lasiert wurde, um die helle Farbe des Holzes zu erhalten. Die Abwinkelung der Stützen im EG über die Ecken ergab sich aus dem Verlauf einer unterirdischen Fernwärme-Leitung, von der man die Lasten fernhalten wollte, wobei die Scherkräfte durch eine Verankerung auf der massiven Tiefgarage abgetragen werden. Im Inneren bleiben die Stützen und Unterzüge unbehandelt und unverkleidet. Auf die deutschen Bedenken in Sachen Brandschutz bei Holz angesprochen, verweist Tycho auf das selbstverständlich auch in Norwegen nötige Brandschutzgutachten. Die Dicke der Stützen wurde entsprechend der maximalen Oberflächenverkohlung im Brandfall berechnet, so dass das stehenbleibende Material statisch ausreicht. Die beiden Treppenhäuser, jenes aus Beton vom benachbarten Bestand und das zusätzliche, außenliegende Spindeltreppenhaus, sichern die Fluchtwege. Anleitern kann man nicht, da die Fenster festverglast sind.

Grüne Fassade

Die grünen, hölzernen Fassadenelemente des Lumber 4 wurden vorgefertigt und auch hier ergaben sich Form und Farbigkeit nicht zufällig. Das bereits erwähnte Bewusstsein um die witterungsbedingte Patinierung von Holzoberflächen wird als Gestaltungsmerkmal aufgegriffen. Einerseits ist der Wunsch, dass die konkave Form der Holzelemente im Zusammenspiel mit den gerade verlaufenden, äußeren Fensterbänken einen Schattenwurf erzeugt, der mit der Zeit die Einfärbung des Holzes prägt und damit die Plastizität der Fassade. Andererseits sorgt die Tiefe der konkaven Form für eine großzügige Hinterlüftung, die dem baukonstruktiven Umgang mit der feuchten Seeluft entgegenkommt, da die Feuchtigkeit hinter der Holzfassade besser abgetragen wird. Die markante grüne Farbe wiederum ist nicht nur optisch stilbildend, sondern besorgt auch den nötigen Brandschutz. „Sonst hätte man einen Brandüberschlag konstruktiv verhindern müssen, was wesentlich teurer geworden wäre“, bemerkt Tycho hierzu. Die Farbe ist somit Holz- und Brandschutz zugleich und zudem schlicht eine günstige Alternative.

Beton gehört in den Boden

Um noch sparsamer mit Material und Konstruktion umzugehen, wird das bereits zur potenziellen Flächenerweiterung des Nachbarn geplante außenliegende Bestandstreppenhaus für das Lumber 4 nutzbar gemacht. Der Neubau dockt an dieses Bestandsbauteil an, nutzt es als aussteifendes Element und stellt so zudem die vertikale Erschließung sicher. Wenn auch als weiteres Bauteil sicher nicht ganz unerheblich in seiner Dimension, war die Tiefgarage neben der Betonschicht der Deckenkonstruktion das einzige, das im Falle des Lumber 4 aus Beton neu gebaut wurde. „Beton funktioniert gut im Tiefbau, denn das Material kommt letztlich aus dem Boden“, stellt Tycho fest. „Aber Holz wächst über der Erde nach.“ Der Vorstellung, dass Holz als Rohstoff unverfügbar werden könnte, wenn man es fortan flächendeckend auf dem Bau einsetzen würde, widerspricht er und verweist auf ein lineares Denken aus dem fossilen Zeitalter, dem dieser Gedanke entspringt. „Ich denke nicht, dass wir darüber diskutieren sollten, ob es genug Holz auf dem Planeten gibt. Wir wissen auch, dass es nicht genug Sand für die Herstellung von Beton gibt“, stellt Tycho fest und gibt zu bedenken: „Beton ist nach Wasser das am häufigsten auftretende Verbrauchsmaterial auf dem Planeten. Ungefähr 30 % der Masse, die wir dem Planeten entnehmen, geht in die Produktion von Beton.“ Man könnte nun anmerken, dass die Betonindustrie sich redlich um die Zirkularität ihres Produktes bemüht, aber nachwachsen kann er nicht, der Beton. „Die Menge an Bäumen, die heute in Norwegen und Schweden wachsen, ist dreimal so groß wie vor 100 Jahren“, rechnet Tycho in diesem Sinne vor und verweist auf staatliche Bemühungen, die diese Entwicklung seit den 1950ern und 60ern forcieren.

Fazit

Die wenigen weißen Holzhäuser, die nach den Flächenbränden in Kristiansands Altstadt Kvadraturen, benannt nach dem streng orthogonalen, quadratischen Stadtgrundriss, erhalten blieben, sind heute eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt. Jørgen Tycho erzählt zudem von einer langen Tradition Norwegens im Holzbau, auch an der Küste. Das der Büroname Oslotre das Wort „tre“ in sich trägt, was auf norwegisch „Baum“ bedeutet, unterstreicht nur noch ausdrücklicher die tiefe kulturelle Verbundenheit zum Holzbau in Norwegen. Damit reiht sich das Lumber 4 in gewisser Weise in diese Tradition ein und erweitert dank der Ingenieurleistungen in Form von Deckenkonstruktion und bewussten Umgang mit Material das traditionelle Wissen – auch zu Gunsten eines wünschenswerten Umgangs mit unseren planetaren Ressourcen, die endlich sind.

Weitestgehend in Holz realisiert zeigt dieser Bau, wie sich mit einfachen, aber präzisen Konstruktions- und Fassadenlösungen der Maßstabstransfer zwischen modularer Systematik und gestalterischer Qualität bewältigen lässt. Der Baustoff wird in seiner Funktionalität und Ästhetik vielschichtig erfahrbar – als raumbildende Struktur mit robuster Innenfläche und bewitterter Hülle.«
DBZ-Heftpartner Schöne Neue Welt Ingenieure, Berlin

Projektdaten

Objekt: Lumber bygg 4

Standort: Kristiansand/NO

Typologie: Büro

Architektur: Oslotre AS, Oslo/NO, www.oslotre.no

Team: Jørgen Tycho, Christoffer Imislund, Katrin Wilde Sampaio, Kristine Karklina, Amanda Skadeberg

Generalunternehmung: VEF entreprenør AS, Vennesla/NO, www.vef.no

Besitzer: Lumber Teknopark AS, Kristiansand/NO, www.lumber.no

Bauzeit: 4/2022 – 3/2023

Zertifizierungen: BREAAM very good (Energy Rating A for office section, B for commercial space)

Grundstücksgröße: 210 m²

Nutzfläche gesamt: 4 065 m2 exkl. / 4 530 m2 inkl. Bestandstreppenkern

Baukosten: 74,5 Mio. NOK exkl. Freiraum und Bestand

Fachplanung

Tragwerksplanung (Holz): Oslotre AS, Oslo/NO

Tragwerksplanung (Beton): Multiconsult AS, Kristiansand/NO, www.multiconsult.no

TGA-Planung: Rambøll, Kristiansand/NO,

www.ramboll.com

Innenarchitektur: Oslotre AS, Oslo/NO

Akustik: Sweco AS, Oslo/NO, www.sweco.no

Landschaftsarchitektur: Asplan Viak, Kristiansand/NO, www.asplanviak.no

Energieplanung: Rambøll, Kristiansand/NO

Elektroplanung: Bravida AS, Kristiansand/NO,

www.bravida.no

Brandschutz: Sweco AS, Oslo/NO

Lüftungstechnik: Rivco AS, Kristiansand/NO,

www.rivco.no

Elektroplanung: Bravida AS, Kristiansand/NO

Umwelttechnik: Rambøll, Kristiansand/NO

Wasserbauingeneur: Vianova, Kristiansand/NO, www.vianova.no

Breeam Planung: Rambøll, Kristiansand/NO

Energie

Primärenergiebedarf: 92,4kWh/m2a kWh/m²a

Energiekonzept: Fernwärmeanschluss

U-Werte Gebäudehülle:

Außenwand: 0,21 W/(m²K)

Fenster: 0,08 W/(m²K)

Bodenplatte: 0,11 W/(m²K)

Dach: 0,12 W/(m²K)

CO2-Emmission: 341/m2 - 5,7/m2a

Herstellerfirmen

Dach: Isola Mestertek kombi, www.isola.no

Fassade: Bare3 - Cladding, www.bare3.as

Innenausbau: Troldtekt wood wool cement, www.troldtekt.com

Möbel: Senab Eikeland, www.senabeikeland.no

Bodenbeläge: Tarkett, www.tarkett.no

Türen/Tore: Swedoor, www.swedoor.no , Alvindus, www.alvindus.com

Beleuchtung: Qlight, www.qlight.no

Fenster: Nordan, www.nordan.no

Sanitär: Geberit, www.geberit.com ,

Oras, www.oras.com

Decken: Splitkon, www.splitkon.no

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