20 Jahre: Erfolgsmodell „Sargfabrik“, Wien/AT

Dass Baugruppenprojekte spät aber doch zur Normalität in Wien geworden sind, dass Wohnbauträger mittlerweile Gemeinschaftsküchen planen, Waschküchen im verglasten Erd- statt im Untergeschoss situieren und gelegentlich sogar Schwimmbäder errichten, hat einen gemeinsamen Ursprung: die „Sargfabrik“. Ende der 1980er-Jahre schlossen sich rund 40 Wohnungssuchende zu einem Verein zusammen, um auf dem Gelände der einst größten Sargtischlerei der Donaumonarchie einen Lebensraum nach eigenen Vorstellungen zu schaffen – mit sozialem, kulturellem und gesellschaftspolitischem Anspruch. Am 1. November 1996 konnte das Partizipationsprojekt, verwirklicht vom Bau-Künstler-Kollektiv „BKK“, trotz vieler Widerstände schließlich eröffnet werden (s. a. DBZ 1 | 2003, S. 56ff.).

Ein Trick zu Beginn

Die multifunktionale Anlage, deren Neubauten die Kubaturen der his-torischen Werkshallen aufgriffen, umfasst neben 73 Wohnungen unter anderem auch ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, einen Seminarraum, die hauseigene Verwaltung, einen Montessori-Kindergarten, Arztpraxen oder einen Waschsalon als informellen Treffpunkt. Vieles davon wäre von der Wohnbauförderung freilich nicht subventioniert worden und damit unfinanzierbar gewesen.

So entschloss sich der Verein, das Projekt als Wohnheim zu definieren, was die öffentliche Förderung aller Einrichtungen ermöglichte. Dafür musste das Café-Restaurant allerdings als Heimküche und Speisesaal für die Heimbewohner tituliert werden – und das Schwimmbad pro forma als gemeinschaftlicher Waschraum. Dass dadurch kein klassisches Wohnungseigentum möglich war, war durchaus im Sinne der Bewohner, die als Mitglieder des Trägervereins Teileigentümer an der ganzen Sargfabrik sind – und somit auch als mehrheitlich dieselben Nutzer bis heute für die gesamte Anlage Verantwortung und Engagement zeigen.

Die Erweiterung des Erfolgsmodells

Als Vorteil erwies sich die Definition als Wohnheim auch in Hinblick auf manch kostentreibende Wohnbaustandards der Bauordnung. So konnte man nur bei einem Heim auf die obligaten Vorräume verzichten – zu Gunsten individueller Lösungen für die Bewohner. Viel Geld ersparte vor allem der Verzicht auf eine Tiefgarage. Das Wiener Garagengesetz hätte einen Stellplatz für jede klassische Wohnung vorgeschrieben, forderte bei einem Heim aber nur einen Platz pro zehn Wohneinheiten. Und selbst diese Fläche, die formal in einem der Innenhöfe ausgewiesen wurde, dient der durchweg autolosen Bewohnerschaft als begrünter Spiel- und Sportplatz. Zu welchem ein üppig begrünter Dachgarten mit Obst und Gemüse hinzu kommt.

Aufgrund des großen Erfolgs kam es vier Jahre später zur Erweiterung der Anlage. Im Baublock vis-a-vis entstand auf nur 850 m² die „Miss Sargfabrik“ mit 30 kostengünstigen Kleinwohnungen – orientiert auf einen Grünhof, der zugleich Erschließungs- und Aufenthaltsbereich ist. Die Laubengänge mit Breiten bis zu 3 m werden von den Mietern als Terrassen genutzt. Weil ein beträchtlicher Teil der Wohnungen kleiner als 50 m² ist, wurde all das, was nicht unterzubringen war, in den Gemeinschaftsbereich ausgelagert: neben dem obligaten Waschsalon statt der eigenen Waschmaschine auch eine gemeinsame Bibliothek statt der eigenen Bücherwand, eine Gemeinschaftsküche mit Platz für 20 Personen statt eines privaten Esszimmers oder eine kleine Gästewohnung statt des wohnungseigenen Gästezimmers.

Zivilgesellschaft ist gefragt

Derartige Einrichtungen sieht man neuerdings auch in herkömmlichen Häusern von Wiener Wohnbauträgern, was zweifellos eine Verbesserung gegenüber den üblichen Gemeinschaftsräumen bedeutet. Auch die Erfahrung, dass Menschen ohne Vorraum und in kleinen Wohnungen gut zurechtkommen, wurde übernommen – freilich ohne die Großzügigkeit und Qualität in den Allgemeinbereichen. Der augenfälligste Unterschied offenbart sich jedoch in den Freiräumen, die im Fall der Sargfabrik Oasen, sonst oft nur Restflächen sind.

Laut Robert Korab, einem Mitbegründer der Sargfabrik, ist es aber auch nicht möglich, die Qualitäten eines Partizipationsprojekts mit herkömmlichen bauwirtschaftlichen Methoden zu reproduzieren: „Dafür braucht es Menschen, die sich gemeinsam auf etwas Neues einlassen, es braucht Eigeninitiative – eine starke Zivilgesellschaft also, die sich in Wien allerdings erst langsam entwickelt.“ So bleibt es fürs erste einer Handvoll jüngerer Baugruppenprojekte vorbehalten, das Modell Sargfabrik weiterzuentwickeln – wenn auch bislang keiner der Epigonen an das Original herangekommen ist. Reinhard Seiß

In dem Film „Häuser für Menschen“ portraitiert Reinhard Seiß u.a. Sargfabrik und Miss Sargfabrik (www.muerysalzmann.at) Rezension auf DBZ.de

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