Forschen für die Autoindustrie

ARENA2036,
Universität Stuttgart

Stuttgart ist Sitz zweier automobiler Weltkonzerne.

Logisch, dass in dieser Stadt am Thema auch geforscht wird. HENN realisiert hierfür einen Industriebau, der die Zukunftsfähigkeit der Automobil­industrie sicher­stellt und das Thema„Industrie 4.0“verkörpert.

Wer nach dem markantesten Kennzeichen unserer Gesellschaft fragt, erhält wahrscheinlich als Antwort: die grenzenlose, weltverbindende Kommunikation über das Internet und der damit einhergehende Umbau unserer Arbeitswelten und unserer Kommunikationsformen. Das ist aber zu kurz gedacht. Seit vielen Generationen prägen die Auswirkungen der Mobilität unsere Zivilisation am stärksten. Für die Entwicklung unserer Kultur und unseres wirtschaftlichen Erfolgs ist Mobilität immer ein wesentlicher Faktor geblieben.

Unternehmen, deren direkter oder indirekter Geschäftszweck auf Mobilität fußt, sei es die Autoindustrie oder die Ölindustrie, gehören zu den größten Konzernen der Welt. Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr. Die Innovationsbereitschaft der Automobilindustrie ist gewaltig angesichts der absehbaren technischen Herausforderungen, vor denen dieser Industriezweig steht. In der Autofahrerstadt Stuttgart mit Sitz zweier automobiler Weltkonzerne baut HENN auf dem Campus der Universität Stuttgart Vaihingen ein Forschungsgebäude mit dem Namen ARENA2036, das die Zukunftsfähigkeit der deutschen Autoindustrie sicher stellen soll. Der Name „ARENA“ deutet zwar auf eine Wettkampfstätte hin, ist allerdings das Kürzel für „Active Research Environment for the Next Generation of Automobiles“. Dahinter verbirgt sich ein Forschungsprojekt, das sich mit dem Thema „Wandlungsfähige Produktion für Leichtbau“ und der Entwicklung neuer Produktionstechnologien im Automobilbau auseinandersetzt. Die (Jahres-)Zahl 2036 steht für den 150. Geburtstag des Automobils.

Am Anfang stand ein Wettbewerb

Die ARENA2036 ist nicht nur ein Gebäude, sondern auch eine öffentlich-private Partnerschaft, bei der namhafte Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft in einem 10 000 m2 großen Hightech-Zentrum an der Universität Stuttgart gemeinsam die neuen Automobilproduktionen und die Fahrzeuge der Zukunft entwickeln. Wenn sich die süddeutsche Industrie- und Forschungselite versammelt, um gemeinsam eine Forschungsstätte zu betreiben, darf man davon ausgehen, dass man den richtigen Planer in einem gut organisierten und mit einer kompetenten Jury besetzten Wettbewerb ermittelt. Die Planer von HENN traten gegen mehrere Mitbewerber an und gewannen das Verfahren. Die Bauaufgabe konnte aus der Ausschreibung vollumfänglich übernommen werden. Sie war so klar und kompetent formuliert, dass sich bis zur Ausführung keine wesentlichen Änderungen ergaben. Der Siegerentwurf besteht aus einer stützenfreien Halle, die von einer Kranbahn überspannt ist. Mit Hilfe dieser zwei grundlegenden Raumparamter können alle Prozesse an jeder Stelle im Raum stattfinden. Hinzu kommen Werkstätten, technische Laborräume und Büros für Ingenieure, Forscher und die Verwaltung.

Gefilterte Masse

Das Gebäude reagiert auf die Proportion des Grundstücks am Stuttgarter Pfaffenwaldring mit einem langen Baukörper, der durch seine markante Sheddachform und die fein gezeichnete Fassade eine skulpturale Erscheinung erhält. Der Entwurf folgt den städtebaulichen Entwicklungszielen, die im Masterplan der Universität Stuttgart festgeschrieben sind. Aufgabe war es, das Gebäude trotz seiner Größe gut in den städtebaulichen Kontext einzubinden. So wurden die alten Eichen an der Ostseite, dem späteren Haupteingang, erhalten. Die gewaltige Kubatur wird durch den Baumbestand „gefiltert“ wahrgenommen. Außerdem ist die Fassade im Erdgeschoss für Fußgänger und Autofahrer komplett transparent, der Blick in das Gebäude ungehindert möglich. Die prismenartige, leicht reflektierende Fassade aus einem Verbundbaustoff mit Aluminiumoberfläche spiegelt die umgebenden Häuser und den Baumbestand. Die kombinierten Materialien sind leicht und biegesteif als Analogie zu den Forschungsinhalten der ARENA. Die Wirkung der Spiegelung vor Ort ist verblüffend, die Masse dieser gewaltigen Halle wirkt nicht aufdringlich und ist durch die seitlich wahrnehmbaren, das Volumen rhythmisierenden Sheddächer gut proportioniert.

Kunst am Bau

Zudem wird der Blick von großformatigen Lettern an den beiden Längsseiten abgelenkt. Die Buchstaben „MEHR“ auf der einen Seite und „LICHT“ auf der anderen Seite beziehen sich auf die mutmaßlich letzten Worte von Johann Wolfgang von Goethe. Diese Fassadenbeschriftung ist ein Kunstwerk von Stefan Rohrer und sein Appell an die Forschung, unsere Gesellschaft mit mehr Wissen anzureichern. Der Stuttgarter Künstler wurde für seine Idee zusätzlich vom Entwurf der Planer inspiriert, denn der überaus gute, natürliche Lichteintrag in das Gebäude zeichnet die Architektur zusätzlich aus.

Die Stirnseiten des Forschungsgebäudes, im Osten und Westen gelegen, sind jeweils als Anlieferung und als Eingangsfassade ausgebildet. Am Haupteingang ist das Erdgeschoss zurückgenommen, so dass die darüber auskragenden Geschosse ein Vordach bilden. Vertikale Lamellen ergeben einen feststehenden Sonnenschutz. Ein leichtes Textilgewebe ist in Rahmen gespannt und verschattet die Büros an der östlichen Schmalseite. Die Segel sind bezüglich der Sicht von innen nach außen von hoher Transparenz, verhindern aber den Einblick von außen. Sie wurden so angeordnet, dass man an ihnen vorbei in die Landschaft schauen kann und vermeiden einen außenliegenden Sonnenschutz. Zugleich verweisen die Segel auf den Einsatz innovativer Materialien – einem der erwähnten zentralen Forschungsinhalte in der ARENA. Die Anforderungen an die Logistik sind in die Westfassade integriert. Ein zentrales, großes Industrietor wird dezent angedeutet. Durch einen Einschnitt in die Fassade wird der großformatige Durchlass für die Anlieferung in ein Verhältnis zur Gesamtfläche der Fassade gestellt. Laut HENN ist der Einschnitt eine Reminiszenz an den Automobilbau, in dem es keine geraden Flächen gibt.

Die Präzision der Fassade setzt sich auch im Innenraum fort. Die zentrale Halle ist vollständig stützenfrei und ermöglicht somit maximale Flexibilität. Die Kranbahn erreicht jeden Punkt der Halle und dient auch dazu, bei Bedarf Bürocontainer frei zu platzieren. An der Nordseite der Halle liegen im Obergeschoss Flächen, die durch ihre raumhohen Verglasungen einen Blick auf das Geschehen in der Halle bieten. Auf farbige Flächen hat man verzichtet. Der an der Fassade unverkennbare Gestaltungswille der Planer wurde im Innenraum dezent fortgesetzt.

Konfliktfrei planen und bauen

So makellos wie das Gebäude auf den Betrachter wirkt, waren nach Aussage von HENN auch die Planung und Ausführung. HENN Projektleiter Nicolas Neumann arbeitete mit dem Universitätsbauamt als Bauherrnvertreter und den Fachplanern in einer betont guten Atmosphäre zusammen. Alle Beteiligten, insbesondere die in der ARENA-Partnerschaft beteiligten Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft sorgten durch eine genaue und präzise Ausschreibung für ein zielorientiertes gemeinsames Arbeiten. Dazu kam, dass man bei der Bauausführung im Termin blieb und auch keine Kostenüberschreitungen stattfanden. Betreiber, Bauherr, Planer und der Generalunternehmer arbeiteten Hand in Hand.

Angesichts anderer Großbaustellen, die nicht aus den negativen Schlagzeilen kommen, reibt man sich die Augen, wie gut Planen und Bauen sein kann, wenn alle Planungsbeteiligten zu ihrer Verantwortung stehen. Rolf Mauer, Stuttgart

Baudaten

Objekt: ARENA2036

Standort: Stuttgart Vaihingen

Typologie: Forschungsgebäude

Bauherr: Universitätsbauamt Stuttgart und Hohenheim, Stuttgart;
www.uba-stuttgart-hohenheim.de

Nutzer: ARENA2036 e.V., Stuttgart; www.arena2036.de

Architekt: HENN, München, Beijing, Berlin, Shanghai, Dubai;www.henn.com/de

Mitarbeiter (Team): Partner, Christian Bechtle; Projektleitung, Nicolas Neumann; Team, Galla Otero, Marta Galdys, Ana Pia Ranz, Julian Hildebrand

Bauleitung: HENN GmbH in Kooperation mit ERNST² ARCHITEKTEN AG, Stuttgart; www.ernst2-architekten.de

Generalunternehmer: Baresel GmbH, Leinfelden-Echterdingen; www.baresel.de

Bauzeit: April 2015 – Dezember 2016

Fachplaner

Tragwerksplaner: Pfefferkorn Ingenieure VBI, Stuttgart; www.pfefferkorn-ingenieure.de

TGA-Planer: Planungsgruppe M+M AG, Böblingen, www.pgmm.com

Fassadentechniker: iPb Ingenieurbüro Planung Blei, Gundelfingen an der Donau; www.ipbplanung.de 

Lichtplaner: Planungsgruppe M+M AG, Böblingen, www.pgmm.com

Innenarchitekt: HENN

Akustikplaner: HENN

Landschaftsarchitekt: Koeber Landschaftsarchitekten, Stuttgart;
www.koeber-la.de

Energieplaner und -berater: Bauphysik5 GbR, Überlingen; www.bauphysik5.de

Brandschutzplaner: Gruner GmbH, Stuttgart; www.gruner.ch/de

Projektdaten

Nutzfläche gesamt: 6 922 m²

Nutzfläche: 6 672 m²

Technikfläche: 1 159 m²

Verkehrsfläche: 1 034 m²

Brutto-Grundfläche: 9 884 m²

Brutto-Rauminhalt: 88 844 m³

Baukosten

KG 200 – 600: 23 Mio. €

Hersteller

Dach: Kalzip GmbH, www.kalzip.com

Fenster / RWA-Anlage: REICO - Fens-ter- und Türenbau GmbH

Fassade: ALUCOBOND von 3A Composites GmbH, www.alucobond.com

Decke: Ecophon Deutschland,
www.ecophon.com

Boden: Sika AG, deu.sika.com

Sonnenschutz (PTFE Folie): VERSEIDAG-INDUTEX GmbH, www.verseidag.de

Blendschutz: Warema Renkhoff SE, www.warema.de

Türen: Hörmann KG, www.hoermann.de

Tore: Jansen Tore GmbH & Co. KG, www.jansentore.com

Brandschutz- und Fluchtwegkonzept: Gruner AG, www.gruner-brandschutz.de

Beleuchtung: XAL GmbH, www.xal.com

Tische: VARIO BüroEinrichtungen GmbH & Co. KG, www.vario.com und Thonet GmbH, www.thonet.de

CAD / Software: Vectorworks, Inc., www.vectorworks.net und Revit von Autodesk GmbH, www.autodesk.de

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