Abriss. Warum? Warum nicht

Wo Stuttgart-Vaihingen, ein im Südosten der Schwabenmetropole gelegener Stadtbezirk, sich dem Wald in Richtung Sindelfingen nähert, kreuzen sich zwei Autobahnen. Direkt am Stuttgarter Kreuz, über das täglich rund 220 000 Fahrzeuge fahren, liegt ein parkähnliches Gelände, das, wohleinzäunt, allerdings Einblicke zulässt. Einblicke auf die so genannten Pavillonbauten der ehemaligen IBM Zentrale Deutschland, für die Egon Eiermann Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger des vergangenen Jahrhunderts das Layout und einen Großteil ihres Interiors schuf. Das Ensemble, das bis 2009 rund 2 500 Mitarbeitern – in Hochzeiten bis zu 3 000 – einen Arbeitsplatz bot, steht seitdem leer. Und, auch weil unter Denkmalschutz, in einer unregelmäßig auf- und abflauenden Diskussion.

Man hatte es schon verkauft, allerdings nur filetiert und wie man heute weiß an wenig finanzkräftige Investoren zu einem zudem überhöhten Preis. Diese Eigentümer, sechs an der Zahl für jeweils einen der vier Pavillons, die Kantine sowie die Parkanlage, sind insolvent. Die Gläubiger, ein Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank AG drohten im vergangenen Jahr, keinen Cent mehr für Bewachung und Instandhaltung freizugeben, die Immobilie aus dem Insolvenzbeschlag zu lösen.

Ebenfalls im vergangenen Jahr gab es einen Workshop, initiiert von der Landeshauptstadt, die sich weitere Imageschäden nicht leisten wollte. Ergebnis: Hybridnutzungen bei wesentlicher Erhaltung des Bestandes. Wohnen war unter anderem eine Nutzung, schwer vorstellbar bei 220 000 Fahrzeugimmissionen tagtäglich, Tendenz steigend. Da nutzt es dann nichts, wenn sich auf dem Gelände ein Geruch von wilder Parklandschaft einstellt, zumal die Zubauten auf den riesigen Parkflächen ringsum das Gefühl von weiter Kulturlandschaft auf knapp 20 ha schnell reduzieren würden.

Der Bautenschutz und die Instandhaltung wurden Ende März 2014 endgültig eingestellt, Grund seien die monatlichen 180 000 €, die diese Maßnahmen den Insolvenzverwalter, die Banken also, kosten. Jetzt überlegen die Stadt und mögliche neue Investoren, wie mit dem Areal umgegangen werden könnte, welche Zukunft es hat. Denkmalschutz, das haben schon andere Aufhebungen oder Aufhebungsverfahren gezeigt, hat auch in Vaihingen keinerlei Wirkung. Und warum auch nicht dem Denkmal zu Leibe rücken, wie es in Teilen bereits geschehen ist, hier wurden die Pavillonbauten für Investoren zur Anschauung hergerichtet, damit sich diese ein Bild vom Möglichen machen können. Aber noch glänzen die Fassadenraster mit Filigranwerk, die mehrgeschossigen Brückenräume mit Transparenz, das fast schon gelblich verfärbte Teakholz über dem gelblichen Ziegel und den leicht vergilbten Sonnensegeln erzeugt ein Flirren, das im hellen Sonnenlicht schon unerträglich werden kann und bei bedecktem Himmel zu einer zweiten Schicht vor der eigentlichen und wie wir jetzt immer wieder lesen viel zu dünnen Fassadenhaut wird.

40 000 m² Bürofläche in drei Eiermann-Pavillons plus den 1983-84 von Kammerer und Belz nach Eiermann-Plänen realisierten Pavillon Nr. 4, dazu der im Südwesten liegende, flache Kantinenbau. Den gerade schon angesprochenen baulichen Veränderungen, hier in Pavillon Nr. 3, hätte Eiermann sicher zugestimmt hätte, war ihm doch die Stahlkonstruktion, kombiniert mit Glas das „aristokratische Material“, das überhaupt erst Wandlung und Anpassung ermöglichte. Eiermann sprach damals von „Wegnehmbarkeit“ und der „Möglichkeit zum Widerruf“. Aber meinte er damit auch den Abriss?

In Sachen Kollegen-Architekturen war der heute Kult-Architekt weniger zimperlich, auch, wenn es um Bauten ging, die unter Denkmalschutz standen. Oder große Beschützer hatten wie Mies van der Rohe, Richard J. Neutra, Walter Gropius, Pieter Oud, Alvar Aalto, Max Bill u. a. Damals ging es um das Kaufhaus Schocken in Stuttgart von Erich Mendelsohn. Es sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Vom Architekten Egon Eiermann. In der Diskussion 1959, ein Jahr vor dem dann vollzogenen Abriss, argumentierte Eiermann mit der mangelhaften Funktionalität des Mendelsohn-Baus, der im Weltkrieg 1939-45 teilzerstört und in den Nachkriegsjahren wieder aufgebaut worden war. Hier, in dieser Diskussion, unterstellte Eiermann den Gegner des Abrisses, dass sie allein einen Mendelsohn verteidigten, nicht aber das Gebäude selbst.

Nun sind wir wohl wieder da, wo um einen Namen gestritten wird. Denn das scheint klar: Die in kleinen Studien ermittelte mögliche Erweiterung/Ergänzung des Ensembles (im Gespräch sind Zusatzflächen von rund 150 000 m²) ist nicht befriedigend weil nicht konsequent. Entweder, die Stadt Stuttgart findet für den Komplex ein großes Unternehmen, das sich hier ansiedelt (und zahlt die geschätzten 100 Mio. € Sanierungskosten), oder sie gibt das für Wohnen beispielsweise zu wenig zentrale und von zwei Autobahnen gefasste Gelände für eine Tabula rasa frei. Das, was auf alten Zechengeländen im Ruhrgebiet funktioniert, sollte doch in der beinahe schuldenfreien Landeshauptstadt eines Technologielandes möglich sein! Und: Eiermann hat es vorgemacht: Man muss nicht immer alles gleich auf einmal machen, es geht auch schrittweise, auch noch in den folgenden Generationen. Be. K.

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