Merck Modulares Gebäude in Darmstadt
Als Teil des Masterplans für die Firma Merck in Darmstadt hat das Architekturbüro HENN einen Protoypen in Modulbauweise realisiert, der zunächst Arbeitsbereiche für Forschungsteams bietet und später – nach Fertigstellung des großen Innovation Centers – als Tagungsgebäude und Besucherzentrum dienen soll.
„Agil“ zeitgeistert durch viele Unternehmen. Agil, also wendig, sollen Projekte und Mitarbeiter auf Veränderungen im Markt reagieren. Sie sollen Entwicklungen laufend korrigieren, Produktionen nach Bedarf verändern und Arbeitsweisen flexibel umstellen − alles für eine zunehmende Individualisierung der Kundenwünsche. Die Automatisierung in Fabriken macht das heute möglich: Waren lassen sich individuell und sehr schnell bestellen, fertigen und liefern. Dieser agile Produktionsprozess erfordert eine gleichzeitige Zusammenarbeit zwischen allen Zulieferern, Entwicklern, Vermarktern und Kunden. Die Fabrik wird zum Ort der Kommunikation. Das Büro HENN, das u. a. viel für deutsche Autohersteller baut, schreibt über die „Fabrik der Zukunft“: „Architektur hat die Aufgabe, diesen Wandel durch neue Raumkonzepte zu ermöglichen.“
Urbanität im Unternehmen
Genau das ist das Ziel des 12 400 m² großen Innovation Centers der Firma Merck, das HENN derzeit in Darmstadt baut. Hier sollen kleine Projektteams jeweils für ein Jahr und interdisziplinär zusammenfinden, um an unterschiedlichen Forschungen und Entwicklungen zu arbeiten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht seit 2015 ein kleiner Prototyp, ein zweigeschossiges Gebäude aus Stahlmodulen. Es bietet erste Arbeitsflächen, bis es nach Fertigstellung des Hauptgebäudes als Tagungsgebäude dienen wird. Georg Pichler, verantwortlicher Partner bei HENN sagt: „Es gab eine große Nachfrage nach diesen ersten Flächen im Modulgebäude. Die Teams konnten sich mit ihren Projekten bewerben und einige wurden dann ausgewählt.“ Verbunden werden beide Gebäude über einen Platz, der ebenfalls noch im Bau ist. Der Masterplan für das Areal, die Freiraumplanung und die Planungen beider Gebäude stammen vom Architekturbüro HENN. Ebenso die Idee, dass die Fabrik der Zukunft urbane Aufenthaltsorte brauche. Das bedeutet zum Einen, dass die Vielfalt der städtischen Raumqualitäten und der damit verbundenen, unterschiedlichen Begegnungsorte Vorbild ist für die architektonische Gestaltung. Zum Anderen bedeutet es, dass sich Unternehmen räumlich mit der Stadtumgebung verbinden, um Synergien aus heterogenen Standorten zu nutzen. So auch bei Merck: Der geplante Platz wird den kilometerlangen Zaun um die Hauptgebäude durchbrechen, sich über die Frankfurter Straße legen und
beide Firmenareale entlang der Straße miteinander verbinden, mit Pflanzinseln und vielen Sitzgelegenheiten – vor allem aber frei zugänglich. Offenheit und Transparenz zumindest stadträumlich, im Kern bleiben Forschungsfelder von Merck streng vertraulich.
Die Stadt in klein
Architektonisch bezieht sich Urbanität vor allem auf die Ausgestaltung der Grundrisse: die Stadt, klein gedacht und als Gebäude organisiert. Im großen Innovation Center bilden ein Atrium und Arbeitsgalerien unterschiedlich kommunikative, flexibel nutzbare Arbeitsräume. Anders im Prototypen: Das zunächst als Provisorium geplante Modulgebäude besteht aus zwei L-förmigen Gebäudeteilen, einem Tagungsgebäude und einem temporären Innovationszentrum mit Projektflächen. Sie umschließen einen Eingangshof als kommunikative Mitte, zumindest an warmen, sonnigen Tagen.
Die Größe der Module (ca. 15,70 x 3 x 4,25 m) und der daraus resultierenden Gebäudeteile ermöglichen im Inneren flexibel nutzbare Flächen: offene Arbeitsflächen, kleinere Konferenzbereiche, Vortragsräume und ein Restaurant mit Küche. Die Architekten betonen den Zweck des Modulgebäudes als Ideenschmiede. Die Raumwirkung liegt zwischen Werkstatt und Loft: hell und weit, farblich reduziert, mit industriell anmutenden Details, wie die offen gezeigte Deckenkonstruktion mit sichtbaren Lüftungskanälen und Pendelleuchten, die dicht an dicht gehängt den Raum nach oben begrenzen. Die Fensterflächen belegen jeweils fast die ganze Modulbreite und erinnern mit einem quadratischen Format an die Fenster alter Werkshallen. Das Baumaterial Stahl ist allgegenwärtig: Stahltreppen, -türen, -fensterrahmen und -radiatoren. Gerne hätten die Architekten auch die Konstruktion gezeigt, wie Georg Pichler sagt: „Leider mussten wir die Stahlstützen der Module verkleiden, um den Brandschutz zu gewährleisten.“ Wie bei allen Großraumflächen sorgt erst die Möblierung für unterschiedliche Raumqualitäten. Mit der Intention, vielfältige Arbeitszonen zu schaffen, planen die Architekten Arbeitsbänke für die Projektteams, verschiedene Besprechungsbereiche; hier Stehtische, da bunte Sofas, Regaltrenner und fest eingebaute Telefonräume. Das Restaurant zonieren sie u. a. mit einer großen Theke, mit Down-Lights und mit halbtransparentem Stoff bespannten Rahmen, die sich flexibel an Deckenschienen hängen lassen und den Raum unterteilen.
Letztlich sind es aber die Nutzer, die sich Räume aneignen sollen. Und so leben die Mitarbeiter auf den Büroetagen ihr eigenes Raumkonzept: etwas chaotisch, aber flexibel und undogmatisch; geeignet für agiles Arbeiten.
Agile Architektur
Architektur bietet nicht nur den Raum für agiles Arbeiten. Sie erfordert zunehmend selbst einen agilen Entwicklungsprozess mit einer individuellen Vorfertigung und einer Gleichzeitigkeit der Planungs- und Bauphasen. Das Büro HENN setzt daher auf eine Hybrid-Modulbauweise: Die Grundmodule aus Stahlfachwerk lassen sich in beliebigen Flächen- und Höhenmaßen, Geometrien und Ausbaustandards nach Kundenwunsch vorfertigen. Einzig beschränkendes Maß ist das der LKW-Ladeflächen, auf denen die Module zur Baustelle kommen. Georg Pichler sagt: „Wir haben bei diesem Gebäude eine Vorfertigung von etwa 50 %.“ Während die Architekten die Baufläche planieren und Fundamente gießen ließen, entstanden in den Werkshallen der Modulhersteller alle Module samt Einbauten, Decken- und Bodenaufbauten, Wandverkleidungen und Installationen. Auf der Baustelle wurden dann die Module gestapelt, verbunden und mit Fassadenelementen aus Stahl und Glas geschlossen.
Dem Modulbau haftet immer noch ein Billig-Bauen-Image an, denn es fehlt an hochwertiger Modularchitektur. Dem Büro HENN aber gelingt dies: Es macht sogar den modularen Aufbau zum Gestaltungselement und stapelt die Module zweilagig und geschossweise versetzt zueinander. Den Betonsockel darunter rücken die Planer ein. So entstehen Sprünge in der Kubatur und der Eindruck
gestapelter Kisten. Diese betonen die Architekten, indem sie die Fensterformate und -aufteilungen auf jedem Baukörper variieren. Sie setzen Fenster, Rahmenverkleidungen und Sonnenschutz auf verschiedene Ebenen,
layern die Fassaden und erzeugen so eine Halbtransparenz in der Hülle. Nicht nur auf den Hüllflächen, sondern auch im Innenraum sind PM (Performance Materials) Materialien eingesetzt (wie z. B. Pigmente, LED-Phosphore, OLED Beleuchtung). Hier präsentiert und erforscht der Bauherr einige seiner Technologien: Sonnenschutzgläser, die sich nach Lichteinfall individuell und stufenlos verdunkeln lassen, Sonnenschutzelemente mit Farbstoffsolarzellen und spezielle Pulverlackbeschichtungen mit Effektpigmenten für die Alubleche. Der Prototyp selbst wird Forschungsgegenstand des Bauherrn. Am Ende erfüllt seine Architektur den Anspruch agilen Arbeitens, gleichzeitig und gleich dreifach: von ihrer Entwicklung und Herstellung, ihrer Nutzung und ihrem Betrieb. Rosa Grewe, Darmstadt
Standort: Darmstadt
Typologie: Büro, Schulung/Seminar, Konferenzbereich, Restaurant
Bauherr u. Nutzer: Merck KGaA, Darmstadt; www.merck.de
Architekt: Henn GmbH, München/Berlin; www.henn.com
Bauzeit: August 2014 – März 2015
TGA-Planer: ZWP Ingenieure; Köln, www.zwp.de
Fassadenplaner: Kucharzak Fassaden Engineering, Berlin; www.kfe-online.de
Lichtplaner: Lumen³, München; www.lumen3.de
Akustikplaner:
Müller-BBM, Planegg; www.muellerbbm.de
Landschaftsarchitekt: Topotek 1, Berlin; www.topotek1.de
Catering Facilities: IGW Ingenieurgruppe Walter, Stuttgart; www.ingenieurgruppe-walter.de
www.schueco.com
WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de