Arbeitszeit nach Maß
Arbeitszeit ist Lebenszeit! Die längste durchgehende Phase des Tages verbringen wir in der Regel am Arbeitsplatz. Die Frage, wie diese acht, neun, zehn Stunden ausgestaltet werden, ist also eine ganz grundlegende für unser Leben und unsere Lebensqualität. Attraktive Arbeitszeitmodelle gewinnen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zunehmend an Bedeutung, wenn es darum geht, neue Fachkräfte zu gewinnen und bewährte Mitarbeiter dauerhaft zu binden.
Auch in Architektur- und Planungsbüros legen sowohl Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch Mitarbeitende immer mehr Wert auf eine ausgewogene „Work-Life-Balance“, die Frauen und Männern in gleicher Weise etwa Zeit für Kinder und Familie bietet. In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass konzentriertes und erfolgreiches Arbeiten jenseits des typischen Büroarbeitsplatzes möglich sein kann – auf unterschiedlichen Wegen, an verschiedenen Orten und zu wechselnden Zeiten. Aber: kreative Prozesse im Team; Projektarbeit, die oft unter Zeitdruck stattfindet; Terminarbeit, auch mit Partnern auf Baustellen – passen die Arbeit in Architektur und Planung und flexible Arbeitsmodelle überhaupt zusammen?
„Unser Berufsfeld ist traditionell von Phasen extremer Belastung gekennzeichnet. Abgabetermine in Architekturbüros, Bauzeiten, die es einzuhalten gilt, Antragsstau und personelle Unterbesetzung in Verwaltungen verleiten immer wieder dazu, viele Überstunden anzuhäufen“, weiß Architekt Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. In verschiedenen Gremien diskutiert die nordrhein-westfälische Kammer gegenwärtig Möglichkeiten und Vorteile von Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierung. „Wer langfristig kreativ, erfolgreich und gesund in seinem Beruf aktiv sein möchte, der kann und darf nicht dauerhaft über dem Limit agieren“, sagt der Präsident der größten deutschen Architektenkammer. Der sinnvolle Einsatz moderner Arbeitszeitmodelle sei in dieser Hinsicht von Vorteil – und angesichts des Wettbewerbs um qualifizierte Arbeitskräfte unbedingt anzuraten.
Anreize für Beschäftigte schaffen
Als Einrichtung der beruflichen Selbstverwaltung sitzen in der Kammer traditionell ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen an einem Tisch. In den Gesprächen wird deutlich, dass beide Seiten ein vitales Interesse an der Arbeitszufriedenheit und der Motivation der Mitarbeitenden haben. Dieses umso mehr auf einem Markt, auf dem Fachkräfte besonders rar geworden sind. Attraktive Arbeitsplätze und Arbeitszeitmodelle gelten als starkes Element zur Bindung, sei es im Architekturbüro, in der Verwaltung oder in Unternehmen. Für eine aktuelle Publikation hat die Architektenkammer NRW in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (KOFA) des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln jetzt verschiedene Arbeitszeitmodelle auf die Tauglichkeit im Planungsbüro hin analysiert. Dabei wurde auch nachgefragt, mit welchen Lösungen die nordrhein-westfälische Architektenschaft dem Thema in der Praxis bereits begegnen.
Herauskristallisiert haben sich verschiedene Modelle zur Gestaltung von Arbeitszeiten (s. Tabelle). Sie reichen von Teil- über Gleit- oder Vertrauensarbeitszeit bis hin zur Realisierung von Jobsharing oder Nutzung von Arbeitszeitkonten. Dabei haben die verschiedenen Modelle unterschiedlich ausgestaltete Grade der Flexibilisierung. Bei der Vertrauensarbeitszeit beispielsweise wird die höchste Form der Zeitautonomie für Beschäftigte umgesetzt: Hier werden lediglich Aufgaben und Ziele vereinbart, die in einem gewissen Zeitrahmen von einzelnen Personen oder ganzen Teams erreicht werden müssen. Modelle wie Teilzeit oder Gleitzeit hingegen haben eher einen festeren Rahmen; Mitarbeitende leisten ihre vereinbarte Arbeitszeit täglich stundenweise bzw. tageweise „en bloc“ ab oder bestimmen innerhalb einer Zeitspanne selbst, wann sie arbeiten.
Konten für Überstunden
Nach diesem Prinzip funktionieren auch Arbeitszeitkonten. Hierbei werden Konten angelegt, auf die mit Stunden und Überstunden eingezahlt und mit freien Tagen oder Gleitzeit zugegriffen wird. Das Jobsharing-Modell wiederum ist ein Sonderfall, es eignet sich beispielsweise für Projektleitungen oder Führungsteams, die sich Aufgaben „auf einem Arbeitsplatz“ teilen.
In allen Fällen berichten Büros, dass ein hohes Maß an Flexibilität für Einzelne auch mit einer Flexibilisierung des gesamten Bürobetriebs einhergeht: Weniger starre Arbeitszeitmodelle machen es möglich, dass Vorgesetzte die Arbeitskraft dann einfordern können, wenn die Auftragslage es verlangt. Umgekehrt können Beschäftigte einen Freizeitausgleich nehmen, wenn z. B. die Nachfrage phasenweise schwächer ist. Alle Seiten können so kurzfristiger auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren.Gemein ist allen Modellen auch eines: Sie fußen auf Vertrauen auf allen Seiten. Das Dortmunder Architektur- und Stadtplanungsbüro Schamp und Schmalöer kann von positiven Erkenntnissen berichten. Die BüroinhaberInnen Susanne Schamp und Richard Schmalöer haben einen aufwendigen Weg zur Einführung flexibler Arbeitszeiten gewählt: „Unsere Arbeitszeitmodelle haben wir ganz konkret mit unserem Team erarbeitet“, erläutern sie. Zunächst wurde anonym abgefragt, welche Aspekte den MitarbeiterInnen wichtig sind. Es folgten Workshops mit den Beschäftigten. In diesen wurde offen diskutiert. Susanne Schamp: „Wir haben festgestellt, dass sich die Mitarbeiter in unsere Position versetzt haben und unternehmerische Verantwortung bewiesen haben: Wünsche, die nicht zu finanzieren sind, haben sie zum Beispiel gleich wieder von der Liste genommen.”
Flexible Modelle gestalten
Als Folge davon ermöglichen Schamp und Schmalöer nun verschiedene Formen der Flexibilisierung. Im Alltag sehen die Büroinhaber viel Verantwortungsgefühl bei den Mitarbeitern. „Bevor sie die Angebote nutzen, überlegen sie gemeinsam mit uns und den anderen im Team, wie das ohne Leistungseinbußen funktionieren kann.“ Probleme würden offen besprochen, Vorschläge aus dem Team im Gegenzug offen aufgenommen. Richard Schmalöer: „Das lohnt sich. Ich bin überzeugt, dass Arbeitgeber, die auf solche Vorschläge flexibel eingehen, zufriedenere Mitarbeiter haben und leistungsstärker sein können.“
Fragt man BewerberInnen oder MitarbeiterInnen nach ihren Wünschen zu mehr Flexibilität im Beruf, kann das dazu führen, dass dabei nicht nur der Wunsch nach mehr Zeitautonomie geäußert wird. Auch den Arbeitsort möchten viele flexibler wählen können. Denn neben Arbeitszeitdauer und Arbeitszeitlage ist auch der Arbeitsort ein entscheidender Gestaltungsparameter bei der Flexibilisierung von Arbeitszeit. Den im alltäglichen Sprachgebrauch gängigen Begriff des Homeoffice gibt es aus arbeitsrechtlicher Perspektive allerdings so nicht. Es wird zwischen „Telearbeit“ und „mobilem Arbeiten“ unterschieden. Während Telearbeit von einem festen Arbeitsplatz außerhalb des Büros erfolgt, kann mobiles Arbeiten ortsunabhängig gestaltet werden. Aus arbeitsrechtlicher Sicht spielt die Unterscheidung zwischen Telearbeit und mobilem Arbeiten eine große Rolle. Z. B. gilt für Telearbeit die Arbeitsstättenverordnung, und der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass die Arbeits- und Gesundheitsvorschriften eingehalten werden. Beim mobilen Arbeiten erfolgt die Arbeit von einem wechselnden Arbeitsplatz außerhalb des Architekturbüros, etwa zu Hause. In beiden Fällen vereinbaren MitarbeiterInnen und Vorgesetzte einen Anteil mobilen Arbeitens (z. B. 20 % der Arbeitszeit). Es erfolgt eine selbstständige Zeiterfassung der Mitarbeitenden, wiederum basierend auf einer Unternehmenskultur des Vertrauens.
Vertrauen auf beiden Seiten
Damit hat das Düsseldorfer Architekturbüro HPP in der Corona-Pandemie gute Erfahrungen gemacht: „Während Teilzeit und Gleitzeit bei uns schon lange selbstverständlich sind, werden wir auch die Freiheiten durch das Homeoffice weiter ermöglichen. Damit lässt sich zum einen Privates gut vereinbaren, ein langer Anfahrtsweg vermeiden oder in bestimmten Projektphasen fokussierter arbeiten“, sagt Claudia Berger-Koch, Senior Partnerin bei HPP. Die Vereinbarungen zum mobilen Arbeiten sind dabei in besonderer Weise mit Vertrauensarbeitszeit verknüpft. „Die Mitarbeiter schreiben ihre Stunden auf Kostenstellen auf, sodass wir eine ordentliche Kostenrechnung haben, aber eben kein enges Zeitkorsett.“ Das funktioniert insgesamt gut: Jede/r erfasst die Arbeitszeit so, wie sie erbracht wurde. Bei 360 MitarbeiterInnen in Deutschland gibt es auch nach Ende der Pandemie einen ganzen Strauß an Aktivitäten, die durch diese Lösung für HPP-MitarbeiterInnen möglich werden. Mal ist es die Kinderbetreuung, mal ein langer Anfahrtsweg; mal sind es Handwerkertermine, Pflegefälle oder auch sportliche Aktivitäten. „Wichtig ist, dass der Job darunter nicht leidet. Und da beobachten wir, dass es funktioniert, weil die Mitarbeiter Eigenverantwortung zeigen und sich so organisieren, dass Abgabetermine eingehalten werden.“
Dass Arbeitszeitflexibilisierung keine Frage der Bürogröße ist, zeigt das Beispiel des Düsseldorfer Innenarchitekturbüros „null2elf“. „Was bei uns immer gut funktioniert hat, ist die Führung in Doppelspitze“, sagt Inhaberin Barbara Eitner. Gemeinsam mit ihrer Büropartnerin Birte Riepenhausen hat sie sich die Leitung des sechsköpfigen Teams auch während der Elternzeit immer geteilt. Jobsharing eben. Das Modell, so berichtet die Innenarchitektin, bewährt sich besonders im Führungstandem. „Unsere MitarbeiterInnen haben immer eine Ansprechpartnerin. Im Team sind immer zwei Personen Experten. Wenn eine krank wird oder in Urlaub geht, kann das Projekt trotzdem optimal betreut weiterlaufen.“ Als Schlüssel zum Erfolg nennen die Innenarchitektinnen einen wichtigen Aspekt: Kommunikation. Jobsharende müssten sich gegenseitig zu 100 % informieren. Aber Jobsharing helfe, Zusammenarbeit und interne Strukturen flexibler zu denken. Gerade kleinere Büros erhalten so die Chance, Fachkräfte langfristig zu halten, da die Mitarbeitenden in jeder Lebensphase und Position flexibel und kollaborativ zusammenarbeiten. Birte Riepenhausen: „Im Idealfall profitiert man von den Kompetenzen zweier Menschen auf einer Position.“
Broschüre
Architektenkammer NRW/Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (Hrsg.), Leitfaden Arbeitszeitmodelle – eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe für Architekturbüros, Düsseldorf 2021 (40 Seiten), Bestellung: info@aknw.de, www.aknw.de