Architektur gegen das Aussterben
Mitchell Joachim ist wie ein Rocker unter den Klimaaktivisten. Seine Statements sind deutlich, seine Bilder grell und die Projekte von Terreform One, im Jahr 2006 gemeinsam mit Maria Aiolova 2006 gegründet, außergewöhnlich futuristisch bis zuweilen utopisch.
Der Standort der gemeinnützigen und nach ökologischen Grundsätzen agierenden Organisation Terreform One ist nicht London, Paris oder Stockholm, sondern mitten in New York City im Stadtteil Brooklyn. In der allgemeinen US-Verdrossenheit, die sich in Aktionen wie dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen manifestiert, ist die Arbeit des Architektur- und Stadtplanungs-„Think Tanks“ Terreform One Balsam für verunsicherte, europäische Seelen. Zeigt sie doch, dass globale Themen wie Bevölkerungswachstum und Verstädterung, Immigration und Wanderungsbewegung, Ressourcenschutz, Recycling und alternative Nahrungsmittel-Konzepte in den USA weiterhin von Bedeutung sind.
In Europa fallen seine Ideen und Projekte fast immer auf fruchtbaren Boden. Sie treffen den Zeitgeist. Und sie begleiten uns hoffentlich länger, als kurzlebige Spritpreis-Exkurse oder eine längst verblasste Dämmwahn-Debatte in Deutschland. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen einer globalisierten Gesellschaft ist akut und muss unser Handeln über die nächsten Jahrzehnte und den eigenen Tellerrand hinweg bestimmen.
Inmitten einer sehr emotional geführten Diskussion um #howdareyou oder Extinction Rebellion rückt ein ungewöhnliches Projekt von Terreform One in den Fokus. „Monarch Butterfly Sanctuary“ (Monarchfalter-Zufluchtsort) nennt es sich, wird in New York gebaut und soll moderne Fertigungsmethoden wie 3D-Druck und grüne Technologien mit Aspekten des Artenschutzes verbinden. Der Monarchfalter wäre ohne das Projekt in Lower Manhattan schon eine eigene Geschichte wert. Legt er doch auf seiner Wanderung von Nord- nach Mittelamerika jedes Jahr mehr als 4 000 km zurück. Doch darum soll es nicht gehen. Eher um die Reaktion auf den Verlust von Lebensraum einer für New York City typischen Spezies. Immer mehr Flächen werden bebaut oder versiegelt. Das wirkt sich wie stets auf die Artenvielfalt aus. Über 90 % der ständigen Monarchfalter-Population sind hier in den vergangenen 20 Jahren verschwunden.
Neuer Lebensraum
Das interdisziplinär arbeitende Team von Terreform One hat das Lebens-, Nahrungs- und Fortpflanzungsverhalten der Schmetterlinge studiert und auf Basis der Ergebnisse ein Architekturprojekt ins Leben gerufen, das gemeinsamen Raum für Mensch und Monarchfalter bieten soll. Der Achtgeschosser soll auf einem Grundstück in Nolita, Lower Manhattan, entstehen. In dem Büro- und Gewerbebau sind Flächen für Einzelhandel und Büros geplant. Das Hauptaugenmerk richtet die interdisziplinäre Planergruppe jedoch auf die Entwicklung von Fassade, Dach und Atrium. Sie sind nicht nur Gebäudehülle, sondern Brutstätte und Lebensraum für die Falter. Das Haus kann man also als ein großes Terrarium verstehen.
Das Gebäudekonzept sieht Pflanzungen von Seidenpflanzen (Wolfsmilchgewächse) und Nektarblüten auf dem Dach, der rückwertigen Fassade und der Terrasse vor. Sie werden Brutplatz und Versorgungsbereich über alle Stadien der Metamorphose hinweg, während sich im Atrium und an der Doppelfassade zur Straßenseite hin wilde Kolonien niederlassen sollen. Für die Tiere ist dank einer halboffenen Struktur der Zugang einfach, so dass sich weitere Monarchfalter problemlos der Wildpopulation anschließen können.
„Vertikale Wiese“ aus dem 3D-Drucker
Die zweischalige Fassade zur Straßenseite ist aus einer strukturierten Glasebene außen und innen liegenden ETFE-Kissen aufgebaut, die in eine rautenförmige Carbonbeton-Tragstruktur eingefügt sind. Ein Fassaden-Mock-up, ein Prototyp, ist gemeinsam mit einem großen Industriepartner entstanden. Basis für die Tragkonstruktion waren 3D-gedruckte Silikonformen, die mit äußerst fließfähigem Mörtel verfüllt sind. Die Rautenform war dabei ausschlaggebend für minimierten Materialverbrauch bei guter Lastableitung. Das Ziel der Gesamtkonstruktion ist ein sorgfältig klimatisierter Fassadenzwischenraum. Diese „vertikale Wiese“, wie Terreform One sie nennt, ist das eigentliche Terrarium. Die Falterpopulation soll im Fassadenzwischenraum ihr dauerhaftes Zuhause erhalten. Hydrogelblasen auf den ETFE-Kissen sorgen für eine optimale Luftfeuchtigkeit, Algensäcke sollen helfen, Luft und Gebäudeabwässer zu reinigen. Hinzu kommen Solarmodule auf dem Dach für eine möglichst autarke Energieversorgung des Gebäudes.
Und der Betrieb?
Das „Monarch Butterfly Sanctuary“ klingt visionär. Und vielleicht ist es sogar ein wenig spinnert. Denn Problempunkte, die zum Beispiel im Betrieb entstehen, sind noch nicht geklärt. Das Biotop erfordert ein dauerhaftes Monitoring (Terreform One stellen sich kleine Drohnen vor, die durch Fassade und Gebäude fliegen) und ein ausgeklügeltes System der Be- und Entwässerung im Fassadenbereich für die vielen Algen- und Rankgewächse. Es steckt somit noch einiges an ernsthafter Entwicklungsarbeit in dem besonderen Falterwohnhaus. Dennoch zeigt es, wie grüne Technologien, Umwelt- und Artenschutz sowie Architektur miteinander zu verflechten sind – mit kleinen, invasiven Eingriffen und ohne gleich eine grüne Stadt zu bauen. Terreform One bringen es auf ihrer Homepage selbst auf den Punkt: Es ist nicht möglich, eine Spezies mit diesem solitären Entwurf zu retten. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass das Interesse für den eigenen und unmittelbaren Lebensraum stärker in das kollektive Bewusstsein sowie das Bewusstsein jedes Einzelnen rückt.
Die Konzepte des New Yorker Architektur- und Stadtplanungs-„Think Tanks“ Terreform One beeindrucken neben den Europäern auch die eigenen Landsleute. Terreform One wurde mit dem Monarch Butterfly Sanctuary im Sommer 2019 mit dem Architizer A+ Architecture+Climate Change Award ausgezeichnet. Bis Ende Januar 2020 ist der Fassadenprototyp im Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum, New York City, zu sehen. Ein weiteres visionäres Projekt, der „Cricket Shelter“, ist noch bis Ende März 2020 im Philadelphia Museum of Art, Philadelphia, ausgestellt.