Audi Award 2012 entschieden fürs Auto

Was wäre eigentlich passiert, wenn die geladenen Teilnehmer des Audi Urban Future Award 2012 in ihren Visionen für eine mobile Zukunft in den großen Städten dieser Welt im Jahr 2030 gar kein Auto mehr gesehen hätten? Wenn sich die – zumeist jungen – Architekten und Designer dem anhaltenden Trend einer Säkularisierung und Rationalisierung eines ehemals mythisch aufgeladenen Dream of Automobility hingegeben hätten? Wenn die aus Istanbul, São Paulo, Mumbai oder sonst woher angereisten Planer und Think Tanker dort angefangen hätten, wo andere aufhören zu denken: beim scheinbar Unmöglichen der Verweigerung vom konsumistischen Gebrauch von Kommunikationsstrukturen? Tagtäglich wirft eine übermächtige Geräteindustrie neue Geräte-Designs, vollgestopft mit zumeist überflüssigen Apps auf den Markt, mit Software, die ihren Eigentümer und Nutzer bis in sein Innerstes auszuspähen und weiterzuvermitteln weiß an eine andere Industrie, die neue Begehrlichkeiten weckt mit ins Herz zielenden Angeboten weit unter Marktpreis. Was für Herzen mögen das sein?

Visionen vs. Szenarien

Doch das ist nicht passiert. Die Aussicht – anders als noch beim Audi Urban Future Award 2010, in dem es eher um den freien Blick auf mögliche Mobilitätskonzepte in Megacities ging und der von einer düsteren ScienceFiction Vision Jürgen Mayer H.s gewonnen wurde – mit seiner Vision vielleicht sogar noch zur Realisierung zu kommen, ließ beim diesjährigen Award die geladenen Büros den Blick auf das Machbare nicht verlieren. Und damit hatte, das zeigte sich im Sieger-Ergebnis, das Visionäre kaum eine Chance. Beispielsweise den Blick auf eine andere Gesellschaft, die mit einem Audi zum Beispiel eine abgeschlossene Designgeschichte assoziiert.

Aber Visionen – heute nennt man das lieber Szenarien, und gerne wird diesen ein Horror- davorgesetzt – hat nur noch der Drogenkonsument oder die, die sich in unreflektierter Religiosität verheddern. Mit dem We make visions possible wurde der Zugang zu einer anderen Welt verbaut, in welche man sich immer noch retten konnte. Und dann das: ein „Lastenheft für die Städte der Zukunft“. Ein Skizzenbuch, aus welchem ein Pflichtenheft für Zukunftsszenarien generiert werden kann. „Lastenheft“, so spröde pragmatisch nannte Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender der Audi AG, den Entwurf von Höweler + Yoon Architecture. Deren „BosWash Projekt“ wurde am 18. Oktober 2012 in Istanbul als Siegerprojekt des Audi Urban Future Award 2012 der Presse und über Live-Stream der vielleicht ebenfalls anwesenden Welt bekanntgegeben. Kein „Lastenheft für die Automobile der Zukunft“, nein, die Audi-Inititative, die mit ihrem Urban Future Award 2012 dezidiert auf die Zukunft der (großen, der ganz großen) Stadt zielt, versteht sich als Labor für städtebauliche Angelegenheit, als feinsensorisch gestimmtes Meßinstrument mit praxisorientiertem Workshop-Charakter. Szenarien, keine Visionen.

Siegerentwurf: Höweler + Yoon Architecture

Ein Lastenheft für die Städte der Zukunft ist aus Jury-Sicht – und diese formulierte John Thackara, Designtheoretiker und Jury-Vorsitzender – der konkreteste Entwurf, der, wie bei Höweler + Yoon Architecture, zudem ein „hohes Potential zur Umsetzung“ biete. Er sei eine „fundierte Analyse des sozialen und ökonomischen Kontexts“ und beinhaltete „so­wohl soziale als auch technische Innovation auf einem systemübergreifenden Level.“ Dass er außerdem mit seiner „architektonischen Qualität der Umsetzung“ beeindruckte, ist angesichts der hervorragend gemachten Visualisierungen verständlich.

Inhaltlich möchten Höweler + Yoon Architecture an den „American Dream“ ihrer Heimat anknüpfen, einen Mythos, der das Einwandererland seit mehr als 200 Jahren zu einer Nation zusammengeschweisst hat, dessen Kraft jedoch angesicht außen- aber vorallem innenpolitischer Spannungen mehr und mehr seine Integrationskraft eingebüßt hat. Der also „New American Dream“ des Bostoner Büros möchte auf einem neuen gesellschaftlichen Konsens aufbauen: Wieder soll die Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen (man möchte nicht von Volksgemeinschaft sprechen), doch sollen die ursprünglichen Tugenden der Notgemeinschaft damals in der Zwangsgemeinschaft heute erneuert werden: teilen soll wichtiger werden als besitzen. Das klingt fast schon revolutionär, beinahe christlichmarxistisch. Doch das Teilen meint weniger ein kommunardes gesamtgesellschaftliches Projekt, sondern schlicht eine Art allumfassen­des und in viele Aspekte verzweigtes Mobili­ty­sharing („Shareway“). Es geht um die Neuorganisation sämtlicher Verkehrsträger im Großraum Boston/Washington zu einer „hoch­technisier­ten, optimierten und stetig fließenden Mobilitäts-Hauptschlagader“. Es geht um neue Hubs, es geht um das irgendwie noch daseiende Auto als ein irgendwie Interface. Und immer geht es um mobile Effizienz in einem urbanen Raum mit potenziell mehr als 53 Millionen Einwohnern.

Auto-Mobilität braucht Urban Sprawl

Interessant an dieser Stelle, an welcher der Entwurf der US-Amerikaner so elegant und bodennah über eine zukünftig gedachte Metropolitanregion schwebt, die Bemerkung des Audi-Chefs zu diesem Entwurf; der nicht bloß als das schon angesprochene „visionäre Lastenheft für die Städte der Zukunft“ hinreichend ist, er ist, so Stadler, auch „eine konkrete Anleitung, wie man eine Metropol-Region planen oder umgestalten kann, um der Verdichtung zu begegnen.“ Der Verdichtung zu begegnen? Ist es nicht gerade das Interesse von Groß- und Megastädten, Dichte zu erzeugen und zu leben? Allerdings: Das Automobil der Vergangenheit und Gegenwart benötigt den Urban Sprawl wie der Fisch das Wasser. Horizontale Schichtung? Hochhäuser-Clusterbildung? NODE beispielsweise haben genau diese Verdichtung versucht, aber dem vertikal programmierten Verkehrsmittel Auto immerhin noch einen Raum gelassen: Unten drunter liegt der allerdings, unter der oben virulent gestalteten Oberfläche, ein unscheinbarer (unsichtbarer) Teil einer größeren, alles umfassenden Infrastruktur. NODE hat nicht gewonnen.

Der Siegerentwurf der Nordamerikaner soll jetzt weiterverfolgt werden, seinen Ansätzen und Hinweisen auf Zukunftsmöglichkeit nachgegangen werden. Was aber kann dabei heraus kommen, das mehr wäre als ein Verkehrskonzept, das sich lediglich auf eine effizientere Abwicklung von Kommunikationswünschen und -pflichten erstreckt?

Vor der Ausrichtung des Audi Urban Future Award 2014 in einem möglichen Städtelabor wie vielleicht Pienza oder Wolfsburg oder Mannheim sollte die AG, aufbauend auf sämt­lichen Award-Beiträgen und Symposien rund um den auch Spektakel seienden Urban Future Award, ein Lastenheft für die automobile Verantwortung eines großen Konzern schreiben, um dem voraussichtlich in 2014 entschieden­den dritten Award ein verbindliches Pflichtenheft vorauszusetzen.

Interdisziplinär befreien

Betrachtet man aber fairerweise die meisten Untersuchungen zur Mobilität der Zukunft, geht es dort ebenfalls meistens um die Bewältigung eines Problems, dessen Lösung so lange weitere Probleme generiert, bis es sich als systemimmanentes Problem noch dem Letzten enttarnt hat. Und man zu neuen Begrifflichkeiten gelangt beziehungsweise solchen, die, weil vorgeblich naiv und unrealistisch, aus dem Diskurs ausgeschlossen wurden, zurückholt; zum Beispiel die unbedingte Vorrangstellung der Schwächsten in der Verkehrshierarchie (Arme, Kinder, Alte, Kranke … also die Fußgänger).

Interfaces, Smart-Media, totale Verkehrssteuerungsüberwachungssysteme, totale Inter- und Intramobiltät bei kompletter Vernetzung aller Mobilisten, alles das definiert sich über Szenarien, die jeweils nur einem bestimmten Blickwinkel folgen; dem der Elektronikindustrie, dem der Immobilienindustrie, der Automobilindustrie etc. Hier hinein einen Keil schlagen, der das weite Spektrum Zukunft für einen neuen, interdisziplinären Zugriff öffnet, das könnte das Verdienst eines vielleicht dritten Audi-Awards sein. Dass dieser zum Ergebnis hätte, wir müssten und sollten uns endlich von unseren wunderbaren Blechkisten verabschieden, könnte schmerzen, ganz sicher aber auch befreien. Be. K.

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