Auf der Suche nach dem Sonderbau − Kulturbauten als Brandschutzaufgabe
Kulturbauten sind vielfältig: Theater, Opern, Kinos, Stadt- oder Gemeindehallen, Konzerthallen, Mehrzweckhallen, Museen, Galerien, Kirchen, Gebetshäuser, Bibliotheken, Archive, Kultur- oder Dokumentationszentren. Aus der Sicht des Baurechts haben sie eines gemeinsam: Sie sind Sonderbauten, d. h. sie lassen sich auf Grund ihrer Größe und vieler Nutzer nicht nur nach der Standard-Bauordnung beurteilen. Bei der Suche nach speziellen Regelungen für diese Gebäude, sogenannte Sonderbauvorschriften, tun sich jedoch einige Probleme auf.
Als ich die Räume des ehemaligen Tschechischen Zentrums Berlin (TZB) in der Leipziger Straße nach 2012 das erste Mal betrat, schallte mir laute Musik aus einer Diskothek entgegen. Früher befanden sich hier eine Bibliothek und ein Kinosaal. Jetzt dienten auf der Fläche Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen, Konzerte und Partys als „temporäre kulturelle Zwischennutzung“. Überall auf den Treppen und Gängen des DDR-Baus feierten Menschen ausgelassen mit allerlei Getränken, die man an einer offenen Theke käuflich erwerben konnte. Noch vor dem ersten Schluck aus meinem Glas meldete sich der Expertenverstand: Wie sieht es hier eigentlich mit dem Brandschutz aus?
Später hatte ich tatsächlich Gelegenheit, mich mit dem Brandschutz für die Umnutzung dieses Gebäudeteils zu einer Kunstgalerie zu beschäftigen.
Grob lassen sich die Gebäude oder Nutzun-gen in zwei Kategorien einteilen:
Geregelte Sonderbauten
Geregelte Sonderbauten, z. B. Theater, Kabaretts, Veranstaltungssäle, Arenen usw., sind brandschutztechnisch besondere Gebäude, für die es über die Bauordnung hinaus Verordnungen oder Richtlinien gibt, aus denen besondere Anforderungen oder Erleichterungen bezüglich des Brandschutzes entnommen werden können.
Die wichtigsten Verordnungen stellen in diesem Zusammenhang die „Muster-Versammlungsstättenverordnung“ (MVStättVO)[1] oder die in dem jeweiligen Bundesland eingeführte „Versammlungsstättenverordnung“ (VStättVO) dar. Darin sind für „Versammlungsstätten mit Versammlungsräumen, die einzeln mehr als 200 Besucher fassen“ oder „für Versammlungsstätten mit mehreren Versammlungsräumen, die insgesamt mehr als 200 Besucher fassen, wenn diese Versammlungsräume gemeinsame Rettungswege haben“, für „Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen und Tribünen, die […] insgesamt mehr als 1 000 Besucher fassen“ sowie für „Sportstadien und Frei-sportanlagen mit Tribünen, […] die jeweils insgesamt mehr als 5 000 Besucher fassen“ wichtige Regelungen zu finden, die sowohl den baulichen (Bauteile und Rettungswege
in Teil 1 Abschnitt 1 und 2), den anlagentechnischen (z. B. Brandmeldeanlagen in Teil 1
Abschnitt 4) als auch den organisatorischen (Betriebsvorschriften in Teil 4) Brandschutz betreffen.
Ungeregelte Sonderbauten
Der Anwendungsbereich der MVStättVO stimmt zwar ziemlich genau mit der Formulierung des Sonderbautatbestands in § 2 Abs. 4 Ziff. 7 der „Musterbauordnung“ (MBO) [2] überein, doch gibt es Ausnahmen: Die Sonderbauvorschriften der Verordnung gelten nicht für „Räume, die dem Gottesdienst gewidmet sind“, „Unterrichtsräume in allgemein- und berufsbildenden Schulen“, „Ausstellungsräume in Museen“ und für „fliegende Bauten“.
Für solche Kulturbauten, wie z. B. Museen, Galerien, Kirchen, Gebetshäuser, Bibliotheken, Archive, Kultur- oder Dokumentationszentren, Messehallen usw., ebenfalls „bauliche Anlagen oder Teile baulicher Anlagen [sind], die für die gleichzeitige Anwesenheit vieler Menschen bei Veranstaltungen, insbesondere erzieherischer, wirtschaftlicher, geselliger, kultureller, künstlerischer, politischer, sportlicher oder unterhaltender Art, bestimmt sind“, gelten damit auch nicht die in der Verordnung zu findenden Hinweise für besondere Anforderungen oder Erleichterun-gen bezüglich des Brandschutzes. Werden sie − was nicht verboten ist − trotzdem angewandt, können sie allerdings auch zu übertriebenen oder zu geringeren Anforderungen an den Brandschutz führen.
Niemand wird andererseits bezweifeln, dass auch in Ausstellungsräumen von Museen oder in Kirchen mit der gleichzeitigen Anwesenheit vieler Menschen zu rechnen ist.
Allgemeine Vorgehensweise
Was also tun, z. B. bei der Umnutzung des Tschechischen Kulturzentrums Berlin (TKZ) zu einer Kunstgalerie, die von der Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge 2017 geplant und von uns brandschutztechnisch betreut wurde: Der erforderliche Brandschutz für ein Gebäude bestimmt sich aus der Gebäudeklasse (GK) und den ggf. anzuwendenden Sonderbautatbeständen. Beides sollte in Zusammenarbeit zwischen Architekt und Brandschutzplaner frühzeitig festgelegt werden. Spätere Änderungen an diese grundlegenden Einstufungen sind nach Möglichkeit zu vermeiden, da sie immer das Gesamtkonzept des Brandschutzes in Frage stellen.
Das Gebäude in der Leipziger Straße ließ sich in die GK 5 einstufen, dazu kamen die Sonderbautatbestände „Hochhaus“ und …? Sollten die Räume der Galerie, die alle auf gemeinsame Rettungswege angewiesen sind, tatsächlich mehr als 200 Besucher fassen? Soll die MVStättVO zur Anwendung kommen? Und welche Anforderungen bestehen bereits und welche zusätzlichen Anforderungen ergäben sich aus der Anwendung der MVStättVO?
Aus der GK und den jeweils anzuwendenden Sonderbautatbeständen wurde ein Anforderungskatalog zum Brandschutz entwickelt. Der Katalog, der alle Anforderungen aus dem Baurecht und dem Brandschutz zusammenstellt und erste Entwürfe für ihre bauliche Umsetzung enthält, dient dem Architekten gleichsam als Checkliste, an der er in einer frühen Phase alle Auswirkungen des Brandschutzes auf die wirtschaftlichen oder die gestalterischen Ansprüche seines Projekts erkennen und prüfen kann. In diesem Stadium können widersprechende Anforderungen detektiert, Alternativen gefunden oder ggf. Erleichterungen vom Baurecht begründet werden.
Bei Anwendung der MVStättVO würden sich z. B. für die vorgesehenen Ausstellungsräume (ein Besucher je m² Grundfläche) etwa 1 500 Besucher errechnen lassen. Für die Betreiberin der Galerie war das unrealistisch. Im Anforderungskatalog wurde daher alternativ festgelegt, dass sie − auch bei Vernissagen u. ä. − durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen muss, dass sich nicht mehr als 200 Besucher in ihren Räumen aufhalten. Trotzdem wurde bei der Planung darauf geachtet, dass Rettungswege aus Ausstellungsräumen, in denen sich viele Menschen aufhalten können, ausreichend sicher sind und ihre lichte Breite mindestens 1,20 m beträgt. Eine andere Möglichkeit, bei ungeregelten Sonderbauten die Besucherzahlen realistisch einzuordnen, ist die Anfertigung von Bestuhlungsplänen, z. B. für
bestimmte Veranstaltungen. Erst nach um-
fassender Abstimmung des Anforderungs-katalogs mit den beteiligten Architekten und Ingenieuren ging die Brandschutzplanung in die Phase der Entwurfs- und Genehmigungsplanung. Dort wurden alle Anforderungen, Erleichterungen und Kompensationen im Brandschutznachweis (BSN) einschließlich Visualisierung (s. Abbildung auf S. 73 unten) detailliert und vertieft ausgearbeitet.
Technische Anlagen für den Brandschutz
In der Regel sind bei Kulturbauten neben den baulichen Brandschutzmaßnahmen (Bauteile und Rettungswege) auch anlagentechnische Maßnahmen (Brandmeldeanlagen, Sprinkleranlagen, Entrauchungsanlagen) erforderlich. Sie sind von Beginn an Teil des Gesamtkonzepts und sollten entsprechend mitgeplant und detailliert werden.
Zur Gewährleistung einer schnellen Alarmierung im Brandfall und zur Kompensation der benötigten Erleichterungen vom Baurecht wurde für die Kunstgalerie Leipziger Straße eine Hausalarmanlage (HAA) installiert, deren Eckdaten im BSN genau festgelegt wurden:
– Überwachung sämtlicher Bereiche, außer Nassräumen, durch vernetzte Rauchwarnmelder (RWM)
– Hausalarmanlagenzentrale mit folgenden Funktionen:
− RWM können getestet und Störungen
erkannt werden
− akustische Signal aller RWM im Alarm- fall
– akustische Alarmierung an jeder Stelle mind. 65 dB oder mind. 10 dB über Störschallpegel
– keine Weiterleitung des Alarms an die Feuerwehr. Das Absetzen des Notrufs
erfolgt durch das Personal.
Die Auslegung der HAA wurde allein durch den Personenschutz bestimmt, ein erhöhter Sachschutz war von der Betreiberin nicht gewünscht. Dies kann sich bei wertvollen Kulturgütern z. B. in Museen durchaus anders verhalten. Hier kann der Sachschutz zu höheren Anforderungen an die Anlagentechnik, z. B. frühzeitige Brandunterdrückung durch Sprinkler- oder Wassernebelanlagen, führen als der baurechtlich geforderte Personenschutz.
Bei solch komplexen Anlagen empfiehlt es sich, frühzeitig entsprechende technische Sachverstände hinzuzuziehen, die sicherstellen, dass das erforderliche Schutzziel, das vom Brandschutzplaner bestimmt wird, auf technisch und wirtschaftlich optimierte Art und Weise durch die Anlage erreicht wird. Der bloße Verweis auf technische Normen oder Herstellerrichtlinien wird diesem Anspruch meist nicht gerecht.
Kulturbauten im Bestand
Besondere Herausforderungen bezüglich des Brandschutzes stellen bestehende Gebäude dar. Bei erforderlichen Umbauten oder Sanierungen von Kulturbauten, vor allem aber bei Umnutzungen verschiedenster Gebäude wie ehemaligen Fabrikanlagen, Bahnhöfen oder sogar Tankstellen zu Kultureinrichtun-gen, sind neben den Anforderungen des Brandschutzes auch diejenigen der künftigen Nutzung, der bestehenden Bausubstanz bzw. des Denkmalschutzes zu berücksichtigen.
Das Gebäude in der Leipziger Straße wurde in den Jahren nach 1969 als Teil eines städtebaulichen Großprojekts der DDR unter der Leitung des Kollektivs Werner Straßenmeier (Hochbau) errichtet. Durch den Einschub des Kulturzentrums unter ein Wohnhochhaus sollte damals eine enge Verflech-
tung der Wohnfunktion mit der gesellschaftlichen Funktion des Zentrums erfolgen. Obwohl der Komplex nicht unter Denkmalschutz steht, galt es, möglichst viele Teile des damaligen Baustils zu erhalten und gleichzeitig die Sicherheit des Gebäudes und der Nutzer auf den aktuellen Stand zu bringen.
Tragende Wände und Stützen wurden gemäß den Anforderungen zum Zeitpunkt der Errichtung (§ 135 DBO [3]) aus ca. 10 − 20 cm dickem Stahlbeton errichtet und entsprachen zur damaligen Zeit mindestens einem Feuerwiderstand nach DDR-Recht von 1,0 (= 60 Minuten). Die damaligen Anforderungen waren deutlich geringer als die der aktuellen Bauordnung Berlin (BauO Bln) [4]. Da das Gebäude rechtmäßig errichtet wurde, können solche Abweichungen unter den Bestandschutz nach BauO Bln § 81 „Bestehende bauliche Anlagen“ fallen. Trotzdem macht es Sinn, die tatsächlichen Gefährdungen, die sich aus solchen Abweichungen ergeben können, näher zu betrachten, vor allem um eine „konkrete Gefährdung“ auszuschließen. Im Ergebnis führt die neu eingebaute HAA dazu, dass zum einen Flucht und Rettung von Personen aus dem Gebäude schneller vonstattengehen können und die Feuerwehr schneller alarmiert wird.
Weitere Abweichungen im Bestand betreffen insbesondere die Rettungswege. Die bestehende notwendige Treppe, die offen vom Erdgeschoss ins 1. Obergeschoss führte, stellt einen wichtigen vertikalen Rettungsweg dar. Um den Anforderungen an einen solchen Rettungsweg zu genügen, musste sie durch einen notwendigen Treppenraum geschützt werden. Damit aber die Großzügigkeit und Transparenz des alten Entwurfs erlebbar blieb, wurden lediglich im 1. Obergeschoss Wände in der Bauart von Brandwänden errichtet und das Entree im Erdgeschoss mit zwei Ausgängen als Treppenraumerweiterung ohne Brandlasten (außer schwer entflammbare Vorhänge) gewertet.
Großer Wert wurde auf den organisatori-schen Brandschutz der Kunstgalerie gelegt. So wurden Flucht- und Rettungspläne und Fluchtwegbeschilderungen auf aktuellem Stand nachgerüstet. Vor allem wurde für die Betreiberin der Galerie in Abstimmung mit der Feuerwehr eine neue Brandschutzordnung aufgestellt, in der alle notwendigen Selbsthilfe- und Rettungsmaßnahmen festgelegt und jedermann zugänglich sind.
Fazit
Brandschutzplanungen für Kulturbauten müssen ebenso individuell und vielfältig sein wie diese besonderen Gebäude selbst. Fallen sie, als Versammlungsstätte oder weil sie eine Versammlungsstätte beinhalten, unter die MVStättVO, ist diese zur Beurteilung heranzuziehen. Auch bei „ungeregelten“ Sonderbauten kann auf diese und ggf. andere Verordnungen als Richtschnur für bestimmte Anforderungen oder Erleichterungen zurückgegriffen werden. Bei der Umnutzung von Bestandsgebäuden, die früher meist völlig anders genutzt wurden, ist zusätzliche Aufmerksamkeit, Augenmaß und Einfühlungsvermögen von Brandschutzplanern gefordert. Diese Gebäude sollten durch übertriebene Brandschutzanforderungen ihren ursprünglichen Charakter nicht verlieren und trotzdem für Betreiber und Nutzer einen Sicherheitsstandard auf aktuellem Niveau bieten.
[1] Musterverordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten (Muster-Versammlungsstättenverordnung – MVStättVO) Fassung Juni 2005, zuletzt geändert im Juli 2014
[2] Musterbauordnung – MBO – November 2002, zuletzt geändert am 13.05.20161
[3] DDR, Minister für Bauwesen, Berlin/Ost (Hrsg.); Bauakademie der DDR, Berlin/Ost (Hrsg.) Deutsche Bauordnung (DBO) vom 2. Oktober 1958
[4] Bauordnung für Berlin (BauO Bln) vom 29. September 2005, zuletzt geändert am 17. Juni 2016