Auf unsicherem Grund, aber reich bebildert

„Die Architekturbiennale in Venedig“ so der Bundesbauminister Peter Ramsauer zur Eröffnung des Deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig, „ist die weltweit wichtigste Ausstellung der Architektur.“ Das erscheint wie selbstverständlich. Man kann es aber auch bezweifeln, und zwar in dem ebenfalls wie selbstverständlich seienden Sinne, dass Architektur schlicht nicht ausstellbar ist. Aber das wäre auch nichts, worüber man länger nachdenken wollte. Man könnte allerdings auch schreiben, dass die Architekturbiennale in Venedig nichts weniger ist, als sie selbst: Ein immer wieder mäßig brodelnder Treffpunkt führender Architekten, Ingenieure und geistreicher Denker. Deren Botschaften lassen uns häufiger mit der Frage allein, wohin genau sie uns denn führen sollen/wollen. Denn dass – um mit dem Bundesminister Ramsauer fortzufahren – „die deutsche Architektur […] nicht nur kreativ, sondern auch von exzellenter Qualität [ist]“, wirft wiederum bloß eine Frage auf, nämlich die, was denn exellente Qualität ist, und ebenso, nach welchen Maßstäben und mit welchem Interesse diese Qualität heute von wem bemessen und eingefordert wird.


Common Ground?

Ach, und noch einmal der Minister (zum vorletzten Mal, versprochen): „Architektur muss die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger suchen.“ Das sollte sicherlich die Überleitung dazu sein, was der Minister unter dem Motto der Architekturbiennale insgesamt verstanden hat: die Fokussierung der Pavillonbotschaft mit den drei „R“ auf den „Common Ground“ insgesamt. Common Ground als vox populi? Architektur als Wunschkonzert? Der Minister führte in recht heikler Weise den Gedanken fort, den der Biennale-Kurator David Chipperfield von der anderen Seite her kommend aussprach: Das Bauen darf am wenigsten eine Sache der Stars sein, denn Stararchitektur – so der Autor dieses Beitrages – ist Mainstream auf hohem Niveau. Während mit dem gleichfalls schwierigen „People meet in architecture“-Motto, das Kazuyo ­Sejima 2010 für die Venedig-Ausstellung ausgab ein recht fein aufeinander abgestimmtes Programm von Ausgestelltem und Ausstellern erreicht wurde, ist der Common Ground einfach zu schwammig, als dass er die Teilnehmer hätte zentrieren können. Und anstatt einmal die Stars auszuschließen, hatten sie alle eine Einladung erhalten – wir vermissten allein Wolf Prix (CoopHimmelb(l)au), der sich, vielleicht weil David ihn nicht nach Venedig gebeten hatte, nach den Eröffnungstagen mit einem beleidigten Pamphlet zu Sinn und Unsinn der Biennale bei der Presse meldete („Die Banale“). Wir vermissten auch die Chinesen, von denen der diesjährige Pritzkerpreisträger Wang Shu lieber der Einladung des Verlegers Lars Müller in den Schweizer Pavillon gefolgt war, als mit einem Projekt in der Ausstellung präsent zu sein. Doch offenbar geht es Chipperfield mit seiner europazentrierten Auswahl eher um eine thematische Breite, die von einer spektakulären Hochhausinbesitznahme („Torre David / Gran Horizonte“, von Alfredo Brillenbourg, Hubert Klumpner von Urban-Think Tank, mitJustin McGuirk, Arsenale und ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen), über städtebauliche Masterpläne (Novartis Campus, Basel, versch. Architekten) bis hin zu Architektur-skulpturen reichte („Aurum Shell“ von Hadid Architects, London). Doch Spektakuläres und die Reduktion von Raum auf Form finden sich auf jeder Biennale. In diesem Jahr steht dafür insbesondere der enttäuschend ungestaltete Raum von Peter Märkli, der „seinem“ Hans Josephsohn ungewollt eine postume Hommage machte: Der Bildhauer verstarb nur wenige Tage vor Ausstellungeröffnung am 21. August. Ist das Common Ground ein Spiel, das nur wenige miteinander spielen, weil sie Kontak­te haben, weil sie also eine Sprache sprechen, weil sie – von den Medien dazu gemacht – gewollt/ungewollt Stars sind?

Luxus oder reduziert: die Pavillons

Die Pavillons in den Giardini, denen Diener & Diener eine Art Hommage in der Hauptausstellung (Giardini) widmen („Common Pavi­lions“), sind in 2012 der spannendere Part der großen Ausstellung (von extrabiennalen Standorten und Projekten einmal abgesehen). Hier präsentieren sich insbesondere Großbritannien mit seinen Forschungsreiseberichten, Japan (Toyo Ito, mit Sou Fujimoto u. a., Goldener Löwe) mit seinem fast verzweifelt anmutenden Vorschlag, auf die Bäume zu gehen vor der nächste Katastrophe (die letzte währt ja noch ein paar hundert Jahre!), Russland mit seiner Schau der verbotenen Städte im verdunkelten Guckloch-Keller (darüber der enttäuschend helle Dom mit iPad-Brücken­­­präsentation von schon bekannter Zukunfts­vision), Polen mit dem sicherlich schönsten Raum, der allein mit Sound gefüllt ist und ­damit mit höchster Spannung, Serbien mit einem riesigen Tisch, den man beklopfen kann, um Rhythmen/Geräusche zu erzeugen, die Österreicher mit einem verbauten Eingang, der zum Niederknien zwingt, um dahinter dann in einer Art Kühlkammer fragile Bilder über eine Leinwand wabern zu sehen, Griechenland mit einer Überfülle an Chaos, Ausdruck gegenwärtiger Befindlichkeit, so scheint es, Frankreich ohne die gewohnte Verve, und Deutschland … Der Deutsche Pavillon ist in diesem Jahr so reduziert wie nie gestaltet, ­eigentlich hätten auch ein paar dieser unbequemen Sitzbänke aus Santa Maria Gloriosa dei Frari ausgereicht, auf denen der Ausstellungskatalog zum Lesen bereit liegen würde (gegen Schutzgebühr zum Mitnehmen). In der Apsis vorne dann wechselten auf einem Bildschirm die Fotos der Erica Overmeer; die fast schon gefeiert werden, als hätten nicht lange vor ihr bereits Fotografen Architektur anders gesehen, als Architekten sie gewöhnlich sehen wollen (zuletzt noch die Fotos von Kirsten Bucher zu Arbeiten von Schneider + Schumacher). Und alle Besucher hätten ganz leise das Motto des Pavillons in einer Art Mantra gesummt: reduse/reuse/recycle ... ad libitum.

Tatsächlich überzeugt die Botschaft, und natürlich kann man über ihre Inszenierung trefflich streiten. Mehr aber auch nicht. Anschauen, wirken lassen. Und auf zum nächsten Projekt, welches zuhause wartet, vermutlich ein Neubau. Der allerdings – oder sollte ich schreiben „immerhin“ – „architektonischen Strategien“ folgt, „die wir in Deutschland ­angesichts dieser Herausforderungen finden“, Strategien, die „international interessiert wahrgenommen und diskutiert werden“ (zum letzten Mal der Minister). Welche Strategien sind das noch gleich? Dämmen, dämmen, dämmen … ach ja.


Verzicht vs. Snobismus

Ich fand vereinzelte Hinweise darauf, dass der eine oder andere die einen oder anderen eingeladen hatte. Valerio Olgiati beispielsweise hatte von ihm ausgewählte Kollegen, die „Besten“ aus aller Welt, gebeten, die ihnen wichtigste Arbeit über ein Bild/Foto etc. zu visualisieren. Die hieraus gefertigte Miniausstellung in dem von Olgiati gestalteten (Keller)Raum (Arsenale) kann man als Verzicht auf das Eigene, die Distanzierung von jeder Starallüre interpretieren. Man könnte aber auch feststellen, dass die auf dem Leuchttisch liegenden Bilder Zeugnisse von einem Common Ground sind, dessen Exklusivität das Vulgäre des Snobismus ist. Nicht die Verständigung auf einen gemeinsamen Nenner, auf ein gemeinsames Ziel hin wird hier versucht (welches immer das sein sollte jenseits eines politisch korrekten Common Sense). Hier gibt sich auf exklusivem Terrain eine elitäre Gruppe (von vielen) ein Stelldichein, dem zuzusehen ein Vergnügen ist. Ihr pseudointellektueller Anspruch, der über reine Schaulust hinausführt, weist allerdings in eine Sackgasse, deren komplettes Inventar seit langem unverändert und überhaupt wie eingefroren ist.

Vielleicht machen Sie, wenn Sie auf der Ausstellung waren – und eigentlich sollte ­jeder nach Venedig reisen, der sich mit dem Bauen befasst – einmal ein Experiment. In Anlehnung an das Projekt „Mapping Venice“, Teil des klugen Beitrags von Günther Vogt, Zürich (u. a. der Verkaufspavillon Via Garibaldi/Riva dei Sette Martiri), sollten Sie im Nachhinein das „Mapping Architekturbiennale“ versuchen. Wenn Sie dort nur die großen Namen verzeichnen, wenn sich auf Ihren Erinnerungskarten keine spontanen Abzweige ins Labyrinth der Lagunenstadt finden dürfen Sie sich fragen, ob Sie selbst nicht längst den Common Ground verlassen haben und – das alltäglich Vulgäre des Bauens verdrängend – der Lust am Schauen auf das exklusive und meist unerreichbare Terrain der allerdings im Verschwinden begriffenen Eliten frönen. Angesichts der in Venedig komprimierten Bilderfülle wäre das aber kein Wunder.

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