AutomationCenter Festo, Esslingen
Wer aus dem Neckartal bei Esslingen nach Berkheim hinauf fährt, schaut auf das markante AutomationCenter Festo mit seiner eleganten Ganzglasfassade ohne außenliegenden Sonnenschutz. Hinter dem puristischen Äußeren verbirgt sich eine Innovation, die Schule machen könnte – oder besser gesagt, machen sollte.
Dass diese Fassade überhaupt realisiert werden konnte, dazu trug der Bauherr einen wesentlichen Teil bei. Denn die Entwicklung neuer, fortschrittlicher Produkte, die weltweit vertrieben werden, ist die Antriebsfeder von Festo. Schon seit Jahren bringt das Unternehmen, dessen Produkte im Bereich der Steuerungs- und Automatisierungstechnik angesiedelt sind, seine Kompetenz in den firmeneigenen Gebäuden ebenfalls zum Ausdruck. Mit dabei ist seit vielen Jahren das Stuttgarter Architekturbüro Jaschek, das auch beim Neubau des AutomationCenter mit seinem Entwurf überzeugte. Gemeinsam mit einem großen Team aus Fachplanern werden die anspruchsvollen Aufgaben umgesetzt.
Mit Bedacht gewählt
Zu planen und zu bauen war ein Bürogebäude mit rund 400 Arbeitsplätzen, einer Cafeteria sowie zahlreichen Konferenz- und Besprechungsräumen. Die Gebäudestruktur sollte dabei eine größtmögliche Flexibilität in der Nutzung zulassen, also Einzel- und Gruppenbüros ebenso wie offene Bürobereiche, Platz für Teeküchen und Ruhebereiche bereithalten bzw. ermöglichen. Der Standort des Neubaus resultierte aus einem städtebaulichen Wettbewerb von 2006, in dessen Rahmen Vorschläge für die Erweiterung des Campus nördlich des Hauptgebäudes entwickelt wurden. Mit dem AutomationCenter Festo fiel der Startschuss.
Um auf dem Grundstück den optimalen Platz zu finden, blickten die Architekten nicht nur durch die Brille des Bauherrn, sondern auch durch die des Stadtplaners. In unmittelbarer Nähe des zu bebauenden Grundstücks bildet sich ein Kaltluftstrom, der ins Stadtzentrum hinunterfließt. „Dieser durfte durch die Luftverwirbelungen, die ein Hochhaus zwangsläufig erzeugt, auf keinen Fall gestört werden. Deshalb haben wir zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie die Situation mit dem Neubau am Computer simuliert“, erklärt der Architekt Jens Jaschek. Daraus ging die heutige Position und der nun umgesetzte rhombusförmige Grundriss als ideal hervor. Gleichzeitig deutet eine der spitzen Gebäudekanten wie eine Kompassnadel auf das Festo-Hauptquartier, stellt also optisch eine Verbindung zwischen den beiden durch eine Straße getrennten Campuszonen her.
Glasklare Wünsche
Für andere Bereiche des Entwurfs machte die Unternehmensleitung den Architekten klare Vorgaben. „Uns war es sehr wichtig, dass der Neubau eine komplett gläserne Fassade bekommt. Denn damit soll unsere Unternehmenskultur nach außen hin sichtbar gemacht werden. Sie ist von Transparenz und Innovation, Mitsprache und Betei-
ligung geprägt“, erläutert Frank Weber, Leiter Corporate Real Estate and Facility Management bei Festo. Eine herkömmliche Doppel-
fassade mit dazwischenliegendem Sonnenschutz wurde dabei ebenso ausgeschlossen wie ein außenliegender Sonnenschutz.
Das Fachplanerteam um das Architekturbüro Jaschek entwickelte daraufhin gemeinsam mit dem Berliner Büro Priedemann Fassadenberatung ein Konzept für Fassade, Heizung und Klimatisierung und stellte das Ergebnis dem Bauherrn vor. Dieser war von der vorgeschlagenen Absorberfassade, die die entstehende Wärme nicht an die Umwelt zurückgibt, sondern für das Gebäude nutzt, begeistert und wollte sie optimal auf seinen Neubau abgestimmt wissen. Er beauftragte deshalb die Planer damit, sie noch weiter zu erforschen und zu detaillieren und gab das Budget für ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Bauphysik in Holzkirchen und dem „Facade-Lab“, der Forschungsabteilung der Priedemann Fassadenberatung, frei. Das Ergebnis ist eine herausragende technische und architektonische Lösung.
Die Fassade: einfach faszinierend
„Die Absorberfassade basiert im Wesentlichen auf zwei Elementen, die sowieso notwendig waren: der gläsernen Fassade und dem
dahinterliegenden Blendschutz“, erläutert Wolfgang Priedemann das Fassadenkonzept. Anstatt die eindringende Wärme der Sonneneinstrahlung aufwendig durch eine Klimatisierung aus dem Gebäude herauszuziehen, wird sie direkt an der Fassade abgeleitet. Das Gebäudeinnere soll sich so erst gar nicht aufheizen. Das zugrundeliegende System ist auf den ersten Blick denkbar einfach: Die Luft wird zwischen Fassade und Blendschutz über Bodenkanäle abgesaugt, wodurch gleichzeitig unterhalb der Decke die verbrauchte Raumluft nachströmt. Bei dieser Abwärtsbewegung zieht sie die eingestrahlte Wärme mit nach unten. Diese wird im Sommer mittels Absorp-
tionsmaschinen zum Kühlen und im Winter zum Heizen des Gebäudes verwendet. Wichtige Voraussetzung: Die Luft muss über die gesamte Länge eines Fassadenmoduls gleichmäßig als sogenannte Kolbenströmung nach unten geführt werden, denn sonst entstehen Turbulenzen, aufgrund derer sich zuerst der Screen und dann auch das Gebäudeinnere aufheizen. Damit dieses einfach scheinende Prinzip in der Realität funktioniert, war es nötig, mit Hilfe von 1 : 1-Versuchsaufbauten zahlreiche Faktoren optimal aufeinander abzustimmen, wie der Abstand zwischen Fassade und Blendschutz, dessen Farbe und die Absauggeschwindigkeit. Außerdem ist der Screen schienengeführt, damit der Übergang zwischen Fassadenprofilen und Screen nahezu luftdicht ist und keine Luft nachströmen kann. Im Hinblick auf den Abstand erwiesen sich beim AutomationCenter 7 cm als optimal. Zum Vergleich: Bei einer Doppelfassade wären etwa 50 cm nötig gewesen, was sich über die 16 Stockwerke des Gebäudes hinweg zu einer großen nicht nutzbaren Fläche summiert.
„Sobald eine der Fassaden von der Sonne angestrahlt wird, schließen sich die innenliegenden Screens automatisch, die Mitarbeiter können dies nicht übersteuern“, so Priedemann. Damit sie dennoch den Blick nach draußen und die Fernsicht genießen können, integrierten die Architekten in jedes Fassadenmodul ein schmales Parallel-Ausstellfenster, das mit einem elektrochromen Glas ausgestattet und an die Steuerung der Screens gekoppelt ist. So gelangt hier nur ein geringer Teil der Wärmestrahlung ins Gebäude. Gleichzeitig kamen die Planer damit dem Wunsch der Nutzer nach, nicht komplett fremdbestimmt zu sein.
Fortschrittlich bis ins Detail
Bei diesem hohen Kundenanspruch an den Neubau bedurfte es auch eines innovativen Fassaden-Reinigungssystems. So schlängelt sich ein Putzroboter über die Gläser, der eigens für dieses Gebäude weiterentwickelt wurde und die komplette Fassade binnen rund eines Tages reinigt. Konstruiert wurde er ursprünglich für die Reinigung von Photovoltaik-Feldanlagen, also leicht schrägen Flächen. Da er mit mehr Vakuumfüßen ausgestattet wurde, eignet er sich nun auch für die Vertikale. Lediglich von der einen auf die andere Fassadenfläche muss er manuell umgesetzt werden. Strom und Wasser werden vom Dach zugeführt, ein Seil sichert den Roboter zusätzlich ab. Um Zusammenstöße mit möglicherweise geöffneten Ausstellfenstern zuvermeiden, wird er mittels eines Signals über offen stehende Fenster informiert und spart diesen Bereich dann einfach aus.
So begeistern an diesem Neubau letztlich zwei Dinge: Die Planer tüftelten an einer hochkomplexen Fassade, setzten dabei aber auf einfache Technik und hatten stets das Wohlbefinden der Nutzer im Blick. Und sie arbeiteten mit zwei Elementen – der Glasfassade und dem Blendschutz – die sie ohnehin hätten verbauen müssen. Die Entwicklungs- und Realisierungskosten für die Fassade amortisieren sich damit schon nach fünf bis zehn Jahren. Simone Hübener, Stuttgart
Baudaten
Objekt: AutomationCenter Festo
Standort: Esslingen
Typologie: Büro- und Verwaltungsgebäude, Neubau
Bauherr und Nutzer: Festo AG & Co. KG, Esslingen, www.festo.com
Architekt: Architekturbüro Jaschek, Stuttgart, www.arch-jaschek.de
Bauzeit: September 2013 – Mai 2015
Fachplaner
Fassadentechniker: Priedemann Fassadenberatung GmbH, Berlin,
www.priedemann.de
Tragwerksplaner: schlaich bergermann und partner, Stuttgart, www.sbp.de
TGA-Planer: HLS: Pfeil & Koch Ingenieurgesellschaft GmbH & Co. KG, Stuttgart, www.pk-i.de
Elektro: Elektroplan Ingenieur GmbH, Göppingen, www.elektroplan-gmbh.de
Innenarchitekt: Architekturbüro Jaschek, Stuttgart, www.arch-jaschek.de
Akustikplaner: Ingenieurbüro Dr. Schäcke + BAYER GbmH, Waiblingen,
www.ib-schaecke.de;
Renz Solutions GmbH, Aidlingen,
Landschaftsarchitekt: Liebald + Aufermann Landschaftsarchitekt, München, www.liebald-aufermann.de
Energieplaner: Pfeil & Koch Ingenieurgesellschaft GmbH & Co. KG, Stuttgart, www.pk-i.de
Brandschutzkonzept: BAV Ingenieure, Neuhausen a.d.F., www.bav-ingenieure.de
Projektdaten
Brutto-Grundfläche: ca. 800 m²
Brutto-Rauminhalt: 67 163,59 m³
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 154,73 (kWh/m²a)
Endenergiebedarf: 59,51 (kWh/m²a)
Heizenergiebedarf: 40,33 (kWh/m²a)
Hersteller
Dach: Sika Deutschland GmbH,
www.sika.com
Fassade: Schindler Fenster + Fassaden GmbH, www.schindler-roding.de;
Schüco International KG,
www.schueco.com
Decke: Heinze Cobiax Deutschland GmbH, www.cobiax.com
Boden: Lindner Group KG,
www.lindner-group.com
Dämmung: DEUTSCHE ROCKWOOL Mineralwoll GmbH & Co. OHG,
www.rockwool.de
Sonnenschutz: EControl-Glas GmbH & Co. KG, www.econtrol-glas.de
Sonnen-/Blendschutz: Warema
Renkhoff SE, www.warema.de
Türen/Tore: Schüco International KG,
www.schueco.com; Hörmann KG, www.hoermann.de
RWA-Anlage: Colt International GmbH,
www.colt-info.de
Lüftung: LTG Air Tech Systems AG, www.ltg.de
Sanitär: Duravit AG, www.duravit.de
Zutrittssysteme: Interflex Daten-
systeme GmbH, www.interflex.de
Aufzug: Kone Corporation,
www.kone.de
Beleuchtung: Zumtobel Lighting GmbH, www.zumtobel.com
Trockenbau: Knauf Gips KG,
www.knauf.de; Saint-Gobain Rigips GmbH, www.rigips.de
Mobile Wände: dormakaba Deutschland GmbH, www.dorma.com
Systemwände: Renz Solutions GmbH,
www.renz-solutions.de