Leistungsträger Fassade
Zukunftsziele für intelligente Fassadenplanung
Der Fassade kommt bei Energieeinsparung oder Energiegewinnung eine Schlüsselrolle zu. Die energetische Nachhaltigkeit eines Gebäudes wird maßgeblich vom ingenieurtechnischen Zusammenwirken von Fassade und Raumkonditionierung bestimmt.
Eine „intelligente“ Fassade, die alle physikalischen, energietechnischen und tageslichttechnischen Aspekte berücksichtigt, ist die Voraussetzung, um das nachhaltige und somit zukunftsfähige Planungsziel zu erreichen. Der Fassade kommt unter Berücksichtigung der neuen EnEV 2009 und vor allem der voraussichtlich nochmals um ca. 30 % verschärften EnEV 2012 eine noch bedeutendere Rolle zu. Die derzeit in der Vermarktung nicht verzichtbaren Green Building-Zertifizierungslabels DGNB, LEED, BREEAM usw. stärken diese Schlüsselrolle zusätzlich.
Planer, Architekten, Fachingenieure und Bauherren, streng genommen die gesamte Bauwirtschaft, tragen eine hohe gesellschaftliche Verantwortung betreffend der Reduzierung des Gesamtenergieverbrauchs von Gebäuden und der Schonung von Energieressourcen. Es ist eine erstaunlich wenig bekannte Tatsache, dass Gebäude derzeit ca. 40 % des Gesamtverbrauchs von Primärressourcen und Energie beanspruchen und ca. 30 % aller Treibhausgasemissionen verursachen. Dieser Status Quo kann sozial-umwelttechnisch nur eine ingenieurtechnische Motivation sein, diesen entscheidend zu verbessern und zukunftsfähige, energiesparende und energieerzeugende Fassaden zu entwickeln.
Die Fassade muss und kann viel leisten
Die Fassade ist die Schnittstelle zur Gebäudetechnik, zur Raumkonditionierung. Eine nachhaltige Gebäudehülle kann bei intelligenter gewerkeübergreifender Planung „alles“ leisten
- Energieverluste minimieren
- solare Gewinne ermöglichen
- die Überhitzung der Räume verhindern
- genügend Tageslichteintrag zulassen
- Blendungen am Arbeitsplatz vermeiden
- nahezu ausschließlich wiederverwertbare Materialien enthalten und, nicht zu vernachlässigen, dem „Wohlfühlfaktor“ der Nutzer gerecht werden.
„Add on“ kann die Fassade Energie gewinnen. Ich meine, darin liegt ein großer Teil der Planungszukunft. Das Potential der solaren Stromerzeugung innerhalb der Fassade wird noch viel zu wenig genutzt. Vielleicht auch deshalb, weil die Solarzellen, Solarmodule, alle Solarkomponenten bisher einfach zu teuer waren. Die derzeit fallenden Preise hierfür bieten einen Teil des Potentials. Eines ist jedoch sicher, jede Fassade bietet die Voraussetzung, die Flächen für die Integration großflächiger Photovoltaik-Module. Die „Kleinlösung“ … ein paar Quadratmeter Photovoltaik auf das Dach zu stellen, nach dem Motto, „wir tun ja was“ … kann nicht die Zukunft sein. Hiermit kann das vorgenannte Zukunftsziel einer entscheidenden Energieverbrauchreduzierung und Ressourcenschonung nicht erreicht werden. Ein entscheidender Schritt nach vorne ist diesbezüglich unbedingt notwendig.
„Begrenztes“ Energiesparpotential, neue Werkstoffe
Die Baustoffe von Fassaden bzw. deren Wärmedämmwerte bieten noch Verbesserungspotential. Große Fortschritte sind hier jedoch kurz- und mittelfristig gesehen nicht zu erwarten, da neue, energetisch „sensationelle“ und bezahlbare Werkstoffe nicht in Sicht sind. Der große Teil der Fassade besteht aus Glas. Die technische Weiterentwicklung der Wärmeschutzgläser war in den letzten Jahren enorm. Die Kosten der Dreifach-Verglasung sind stetig gesunken. Ug-Werte für Dreifach-Wärmeschutz-Isolier-Verglasungen von 0,6 bis 0,7 sind heute bezahlbarer Standard geworden.
Vakuumgläser sind in der Serienentwicklung in den letzten Jahren stehengeblieben. Der Grund, warum nahezu alle großen Glashersteller die Weiterentwicklung auf „on hold“ gesetzt haben, ist offensichtlich: Das Produktrisiko ist groß, die U-Wert-Verbesserung von Ug 0,1 bis 0,2 gegenüber Dreifach-Glas ist demgegen vergleichsweise gering. Größeres Potential bieten hochwärmegedämmte Fassadenprofile. Die Uf-Werte normaler Aluminium-„Katalogprofile“, Rahmenmaterialgruppe 1, lagen bisher knapp unter 2,0 W/m²K. Somit entstand eine wärmedämmtechnische Differenz innerhalb der Fassade. Bei individueller projektspezifischer Entwicklung ist die wärmedämmtechnische Ertüchtigung der Fassadenprofile technisch auch ohne hohe Kostenaufwendungen auf Werte von unter 1,0 W/m²K möglich. Unter Einsatz von Holz als Fassadenprofil im witterungsgeschützten Bereich lassen sich die Werte weiter verbessern.
Das Thema: „Brauchen“ wir unbedingt einen außenliegenden Sonnenschutz … oder ist er gestalterisch eventuell nicht gewünscht … oder genügt vielleicht auch ein innenliegender Sonnenschutz, z. B. in Kombination mit einem Sonnenschutzisolierglas? … ist weitestgehend erledigt. Bei einem nachhaltig geplanten Gebäude ist ein außenliegender Sonnenschutz nicht mehr „nice to have“, sondern „must“!
Größeres Energieeinsparpotential, intelligente Fassadenplanung
Mit Ganzglasfassaden, dem Gestaltungstrend zurückliegender Jahre, sind die Ziele der Zukunft nicht zu erreichen. Ganzglasfassaden, definiert als 100 %ige Verglasung vom Büroraum aus gesehen (nicht von außen!), verursachen auch bei Verwendung von Drei-fach-Wärmeschutz-Isolier-Verglasung und außenliegenden Sonnenschutz oder Sonnenschutzverglasung einen unnötig hohen Wärmeeintrag in den entscheidenden wärmeren Monaten. Diese Wärme muss kostenintensiv „weggekühlt“ werden. Mit dem Einsatz einer kostengünstigen Kühlung, wie der Betonkernaktivierung, ist dies aufgrund der hierfür zu geringen Leistungsdaten unter Einhaltung von akzeptablen Büroraumtemperaturen in den Sommermonaten nicht möglich.
Mit „Bunker- oder Schießschartenfassaden“ sind die energetischen Ziele ebenfalls nicht zu erreichen. Großflächiges Schließen und dickes Dämmen der geschlossenen Wandflächen, welche den Tageslichteintrag so weit reduzieren, dass bei bedecktem Himmel ständig teures elektrisches Kunstlicht zugeschaltet werden muss, kann ebenfalls keine Lösung sein. Das Thema „Wohlfühlfaktor“ der Nutzer schließt sich hiermit gleichzeitig aus. In solchen düsteren Gebäuden fühlen sich die wenigsten Menschen wohl. Eine gewisse großzügige Transparenz ist hierfür notwendig.
Eine intelligente Aufteilung von geschlossenen und verglasten Fassadenflächen erreicht die Nachhaltigkeit und stellt sicher, dass die Fassade alles vorstehend Beschriebene leisten kann.
Projektbeispiel Neubau Spiegel-Verlag auf der Ericusspitze Hamburg
Die Kompakt-Doppelschalige-Fassade, welche derzeit an dem zukünftigen Verlagsgebäude des Spiegels in Hamburg montiert wird, zeigt, dass das Schlagen von „zwei Fliegen mit einer Klappe“ möglich ist. Die äußere Fassade vermittelt den architektonisch von Henning Larsen Architects Kopenhagen gewünschten Ganzglas-Ausdruck. Die innere Fassade ist energetisch nachhaltig zu 35 % geschlossen, sodass die vom Investor Robert Vogel GmbH & Co. KG und dem Nutzer Spiegel gewünschten vier Goldmedaillen des Umweltzeichens Hafencity erreicht werden. Mit dem vertikal angeordneten, zu 35 % geschlossenen Anteil entsteht die vorstehend angesprochene großzügige Transparenz. Eine Goldmedaille in der Kategorie 3, umweltschonende Baustoffe, wird durch die Integration von Holz in der inneren Fassade abgeholt.
Die tragende Aluminium-Doppelfassade ist vollelementiert, der 100 %ige Vorfertigungsgrad im Werk des Fassadenbauers Schindler Roding ist somit erreicht. Aufgrund des sehr engen Terminrahmens kann dadurch ohne Gerüst mit maximaler Montagegeschwindigkeit montiert werden. Das vertikale Achsraster der geschosshohen Fassadenelemente beträgt 2 700 mm, auch dies ist bezüglich des Handling-Gewichts bei der Montage ideal. Die Profilbreiten der äußeren Fassade sind aufgrund des gewünschten Ganzglasausdrucks der Fassade absolut minimiert. Dies gilt sowohl für die Vertikalprofile mit 35 mm, als auch für den horizontalen Elementstoß im Geschossdeckenbereich, in welchem auch die Deckendurchbiegungen aufgenommen werden. In diesem Bereich befinden sich auch die achsweise 1 350 mm versetzten Zu- und Abluftöffnungen. Die achsweise Versetzung dient der Verhinderung der thermischen Rekontimination. Die Holzfenster der inneren Fassade werden in die statisch tragende Aluminiumfassade konstruktiv ganz einfach nur eingeklipst. Mit der inneren wärmegedämmten Fassade wird somit ein Top-U-Wert für die Gesamtfassade von ca. Ucw ≤ 1,0 W/m²K erreicht.
Die Closed-Cavity-Fassade
Dieser neue innovative Fassadentyp ist eine ebenfalls doppelschalige Fassade, die völlig geschlossen ist und nicht geöffnet werden kann, auch nicht zu Reinigungs- und Wartungszwecken. Das heißt, Verschleiß- und Wartungsteile müssen aus dem Fassadenzwischenraum herausgenommen und in der abgehängten Decke des Büroraums platziert werden. Der ausgelagerte Sonnenschutzmotor treibt den physikalisch außenliegenden Sonnenschutz über eine Drehwelle an. Die Standfestigkeit dieser einfachen Antriebstechnik ist über Langzeitversuche nachgewiesen. Die Sicherstellung einer Kondensatvermeidung durch das Eindringen feuchter Luft in den Fassadenzwischenraum wird durch den Anschluss einer Druckluftringleitung (in der abgehängten Decke) über Kapillarrohr-Schlauchanschluss erreicht. Es wird trockene gefilterte Luft über eine Druckluftzentrale in den Fassadenzwischenraum gedrückt. Auch diese einfache Technik, die aus dem Maschinenbau stammt, ist über Langzeitversuche bewährt und nachgewiesen.
Noch vor ein paar Jahren kaum vorstellbare Gesamt-Wärmedurchlass-Koeffizienten werden so möglich. Unter Verwendung von Dreifach-Wärmeschutz-Isolierglas und hochwärmegedämmten Fassadenprofilen sowie Lamellenraffstores im Fassadenzwischenraum beträgt der Ucw-Wert der Fassade 0,65 bis 0,70 W/m²K.
Was sind die weiteren großen Vorteile einer Closed Cavity-Fassade?
Geringere Investitionskosten, denn man benötigt keine teuren Fensterflügel. Entscheidend ist die Halbierung der Reinigungskosten, denn die zwei Fassadenseiten im Fassadenzwischenraum müssen nicht gereinigt werden. Einsparungen bei entsprechender Projektgröße von vielen Millionen Euro bei den Lebenszykluskosten sind leicht nachzuvollziehen. Ein weiteres Plus für eine Closed Cavity-Fassade ist die höchst effiziente Anordnung des Lamellenraffstores im geschlossenen Fassadenzwischenraum. Eine effizientere und kostengünstigere Reduzierung des Energieeintrags ist derzeit nicht möglich. Die in der Gesamtbetrachtung beste derzeit plan- und machbare Fassade ermöglicht eine weitere Reduzierung von Kühlleistung und somit der energetischen Lebenszykluskosten. Diese Fassade erreicht auch die besten derzeit machbaren Nachhaltigkeitswerte, bezogen auf das entscheidende ganzheitliche Zusammenwirken von Fassade und Raumkonditionierung.
Projektbeispiel Hochhaus Roche Basel
Die Architekten Herzog & de Meuron planen derzeit für das Pharma-Unternehmen F. Hoffmann-La Roche AG ein energetisches „Vorzeigeprojekt“, das mit 175 m höchste Hochhaus der Schweiz. Gemeinsam mit Drees & Sommer als Generalplaner beachtet das Roche-Projektteam ausnahmslos alle Kriterien des nachhaltigen Bauens. Gegenwärtig, eventuell bis zur Auftragsvergabe an den ausführenden Fassadenbauer, wird in Fassaden-Varianten geplant. Die Closed Cavity-Fassade ist nach erfolgreicher detaillierter Beleuchtung aller Produktrisiken eine mögliche Variante. Getreu den Roche internen User-Requirements, welche unter anderem beinhalten, der zukünftigen Generation keine unnötigen Lifecycle-Kosten zu hinterlassen, wird keine Ganzglasfassade geplant, sondern 40 % der Fassadenfläche (vom Rauminneren gesehen) werden als geschlossene Fläche geplant. Die Architekten haben hierfür eine Brüstung himmelsrichtungs- und geschossabhängig in verschiedenen Tiefen geplant.
Dieses Projektbeispiel zeigt, wie man mit dem nachhaltigen Willen in der Planung die Zukunftsziele schon heute erreichen kann. Das Unternehmen Roche hat die Zeichen der Zeit längst erkannt … in die Nachhaltigkeit und in die Architektur wird investiert. Mit an erster Stelle steht bei Roche das Wohl der Mitarbeiter. Es wird ein kreatives und innovatives Arbeitsumfeld geplant. Alle sich bietenden technischen Möglichkeiten werden von den Architekten und ihren Fachingenieuren genutzt, jedoch ausschließlich so, dass wirtschaftliche und Ökologische Interessen im Einklang sind.