Baumeister war einmal, jetzt ist das Team
Ein Gespräch mit Klaus Bollinger, Frankfurt a. M., www.bollinger-grohmann.com

Ingenieure gelten als kopflastig und wenig kreativ in der Gestaltung. Auf einem Architektur-Kongress in Essen sprachen wir mit Klaus Bollinger, mit Manfred Grohmann Partner eines der bekanntesten und innovativsten deutschen Ingenieurbüros, über die notwendige Zusammenarbeit mit Architekten, wie Neues entsteht, warum ein Computer nicht alles kann oder dass bei den Frankfurtern nicht nur die Großen der Szene willkommen sind.

Herr Bollinger, warum treffen wir Sie auf einem Kongress zum Thema Stahl und nicht einem über Holzbau?

Sie könnten mich genauso gut auf einem Kongress zum Holzbau treffen oder einem Kongress mit dem Thema Beton. Denn wenn wir mit Architekten zusammen ein Projekt zu entwerfen beginnen, wissen wir in der Regel noch nicht welches Material zum Einsatz kommen wird. Das kann eben Stahl auch Holz, Beton oder ein anderes Material sein. Oder eine Mischung aus verschiedenen Materialien.

Daraus höre ich so ein bisschen, dass es aus Ihrer Sicht den optimalen Werkstoff nicht gibt?

Das hören Sie ganz richtig. Wie gesagt, am Anfang des Entwerfens wissen wir noch nicht welches der passende Werkstoff ist. Es muss am Ende der der Aufgabe Angemessene sein.

Und wenn ein Architekt ein Gebäude unbedingt in Stahl realisieren möchte, Sie ihm aber Holz nahelegen?

Dann wird darüber offen diskutiert. Möglicherweise gehen wir dann der einen oder anderen Vorliebe nach.

Was unterscheidet den Ingenieur vom Architekten?

Also im Idealfall bilden beide ein Team. Die Gemeinsamkeiten … Beide müssen die Sprache des anderen verstehen und idealerweise auch sprechen. Die Unterschiede finden sich in den Hintergründen, den Schwerpunkten, die in der Ausbildung, im täglichen Tun anders vertieft wurden.

Ist das vielleicht sogar auch notwendig, dass beide so unterschiedlich beruflich sozialisiert sind?

Wir leben inzwischen in einer extrem arbeitsteiligen Welt, die immer komplexer wird. Das ideale Berufsbild, von dem viele von uns träumen, ist immer noch der Baumeister, der in Personalunion alles beherrscht. Das gibt es heute nicht mehr eben weil die Welt und natürlich auch das Bauen so komplex geworden sind. Es geht also darum, Teams zu bilden und die Sprache des anderen zu verstehen.

In diesem Zusammenhang: Haben Sie ein Projekt auch schon mal ohne Architekten realisiert?

Nein. Das würde auch gegen unsere Bürophilosophie verstoßen.

Aber es gibt Ingenieurbüros, die das machen?

Ja, aber wir sind der Meinung, dass, auch wenn wir manchmal vielleicht glauben, es alleine zu können, das Ergebnis besser wird, wenn Spezialisten am Werk sind. Und wir sind eben keine Spezialisten für die Architektur.

Aber manchmal sind Sie dann doch derjenige, der sich in der Diskussion um Gestaltungsfragen gegen den Architekten durchsetzt?

Nein. In der Regel geht der Architekt in die Diskussion, die wir idealerweile von Anfang an begleiten, mit einer Entwurfsidee. Wir diskutieren darüber und möglicherweise wird die erste Idee dann weiterentwickelt, variiert, aber sicher nicht aufgegeben!

Gibt es unbaubare Entwurfsideen oder gilt, wie es gerade im Kongress anklang ein „Alles ist möglich!“?

Ich glaube, ich würde keinen Entwurf gleich von Anfang an derart kommentieren, dass er unmöglich zu realisieren wäre. Natürlich ist nicht alles möglich. Aber man muss Ideen, die im Raum stehen, zuerst immer wertschätzen. Auch wenn sie vielleicht utopisch wirken. Man muss schauen, was kann man aus der Idee machen. Nur so entsteht ja etwas Neues.

Und das ist heutzutage oft das Ergebnis einer Computerrechenaufgabe. Kann es sein, dass die Maschine in Zukunft alles macht?

Wir machen es ganz bestimmt nicht so, dass wir den Computer einfach mal rechnen lassen. Der Computer weiß ja gar nicht was er rechnen muss! Erstmal muss man im Team eine Konstruktion entwickeln, danach kann man sie mit Hilfe von Programmen optimieren. Dass ein Programm einmal alles machen kann wird in nächster Zukunft nicht so sein. Der Mensch wird immer eingreifen müssen.

Also werden Rechenprogramme, die die Baugeschichte der letzten 2000 Jahre auswerten, keine Architekturwettbewerbe gewinnen?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Bei den Beispielen, die ich im Vortrag gezeigt habe, handelt es sich um einen ganz eingeschränkten Lösungsraum. Die Vorgaben, wie die Konstruktion und ihre Geometrie im Prinzip auszusehen hat, kommen von uns. Der Computer hat die Möglichkeit, beispielsweise die Diagonalen frei zu wählen. Oder beim Entwurf der „Sphäre“ [Skulptur in der Deutschen Bank, Frankfurt a. M., Mario Bellini; Be. K.] deren Ringe so zu verteilen, dass sie Raum lassen für einen Durchgang und Raum schaffen für eine Skulptur.

Ich lasse mal nicht locker: Wieso sollte ein Computer nicht eine in jeder Hinsicht perfekte Architektur schaffen können? Die Industrie wäre hier sicherlich dankbar!

Ach wissen Sie, bei der Vielfalt der geometrischen Möglichkeiten kann ich mir das kaum vorstellen, dass jemand in der Lage sein sollte, das zu programmieren. Wenn Sie dann Ruhe geben: Möglicherweise wird es das irgendwann geben. Immerhin sind wir schon einen Schritt dahin gegangen, dass die Software nicht bloß ein optimiertes Tragwerk entwickelt, sondern auch Räume.

Schluss mit den Utopien: Bollinger + Grohmann stehen für High-End-Architektur. Verdient das Büro noch mit etwas anderem Geld?

Wir sehen das schon – und das ist auch eine Gefahr –, dass wir oft ausschließlich mit internationalen Projekten verbunden werden. Wir machen aber auch sehr viel Wohnungsbau, sehr viel Bürobauten in Deutschland und nicht nur die Projekte, die mit Freiformarchitektur verbunden sind. Wir wollen das in der Waage halten. Wir streben bei allen Projekten an, dass sie innovativ, dass sie wirtschaftlich sind.

Wenn man etwas innovativ entwickeln will, muss man sich selbst weiterentwickeln. Was steht hier in den kommenden fünf Jahren bei Bollinger + Grohmann an? Beispielsweise mehr Ethik, weniger Kalkulation?

Das mit der Ethik ist ein wichtiger Aspekt. Vor zehn, zwanzig Jahren haben sich Tragwerksplaner auf das beschränkt, was man früher Statik, dann Tragwerksplanung genannt hat. Heute sehen wir unser Berufsfeld und seine Aufgaben deutlich erweitert. Es gebt um sustainability in allen Bereichen. Dazu gehören alle bauphysikalischen Belange, Zertifizierungen genauso wie die Planung der Gebäudehülle. Aus diesem Grund bearbeiten wir in unserem Büro auch inzwischen die Leistungsfelder der Bauphysik und Nachhaltigkeit sowie den Bereich der Fassadenplanung. Ich glaube, dass sich das Feld für die Ingenieure erweitern wird.

Gibt es ein Büro, mit dem Sie unbedingt noch ein gemeinsames Projekt machen wollen?

Dazu sage ich nichts … Aber doch sage ich ganz ernsthaft, dass mich die Zusammenarbeit mit jungen Architekten sehr interessiert. So wie mich die Lehre interessiert, so auch die Zusammenarbeit mit jungen Architekten. Hier werden wir mit ganz neuen Ideen konfrontiert.

Aber mal ehrlich Herr Bollinger, welches junge Büro kann sich Bollinger + Grohmann leisten?

Vielleicht denken manche, dass wir nicht zu haben sind. Aber das ist natürlich nicht so! Wir freuen uns über jeden jungen oder auch nicht mehr so jungen Architekten. Wir sind nicht teurer als andere Ingenieurbüros, auch wir müssen uns dem Markt stellen. Elitäres Gehabe wollen wir uns nicht leisten und es passt auch nicht zu uns.

Mit Prof. Dr. Ing. Klaus Bollinger sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 15. Januar 2014 auf dem zugigen Vorplatz des Süd/West-Eingangs der Messe Essen.

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