Besser WohnenUmbau von
530 Wohnungen,
Bordeaux / FR
530 Wohnungen,
Bordeaux / FR
Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal führen zusammen mit Frédéric Druot seit mehr als zehn Jahren Fallstudien zum Potential der Wohnbauten der 1960er-Jahre in Frankreich durch, um die Möglichkeiten des Erhalts aufzuzeigen. 2016 konnten sie in Zusammenarbeit mit Christoph Hutin die Transformation von 530 Sozialwohnungen in Bordeaux erfolgreich abschließen.
530 Wohnungen, untergebracht in drei Wohnriegeln mit einer Gesamtlänge von mehr als 360 m, 10 bzw. 15 Geschossen und einer Gebäudebreite von nicht ganz 10 m. Die drei Wohnblöcke „bâtiments Gounod“ (Block G) „bâtiments Haendel“ (Block H) und „bâtiments Ingres“ (Block I) liegen im Norden des Stadtzentrums von Bordeaux, im modernistischen Stadtviertel „Quartier du Grand Parc“, in dem in den 1960er-Jahren insgesamt mehr als 4 000 Wohnungen gebaut wurden. Die Bauten sind Teil des baukulturellen Erbes von Aquitanis, der Wohnungsbaugesellschaft für sozialen Wohnbau der Communauté Urbaine de Bordeaux (CUB), also der Stadt und ihrer siebenundzwanzig Umlandgemeinden. Die drei Baukörper besaßen vor dem Umbau eine klassische Lochfassade mit nach Südosten orientierten kleinen Loggien, die den Wohnräumen vorgelagert waren. Der Generaldirektor der Aquitanis O.P.H. (Office public de l’habitat) Bernard Blanc konnte die Abgeordneten zum Erhalt und Umbau der Gebäude sowie zur Ausschreibung eines Wettbewerbs überzeugen, obwohl sie unter seinem Vorgänger fast zum Abriss freigegeben worden waren. Dabei kam dem engagierten Direktor die Tatsache zugute, dass die Wohnbauten als baukulturelles Erbe der Stadt Bordeaux von der UNESCO als erhaltenswert eingestuft waren.
Qualitätvolles Wohnen
Anne Lacaton unterstreicht, dass für sie Wohnen zu den Grundrechten der Menschen gehört und deshalb der Wohnraum jedes Menschen verbessert und großzügiger gemacht werden muss. Selbst wenn es bei den Transformationen in erster Linie darum geht, den technischen und thermischen Komfort der Bauwerke zu verbessern, steht für die Architekten die organisatorische und qualitative Verbesserung des Wohnraums im Zentrum. Es geht darum, vielfältig nutzbarere Wohnräume zu schaffen und die Bauwerke so zu adaptieren und aufzuwerten, dass ihr Lebenszyklus verlängert und erneuert wird. Letztlich zeigen sie damit auf, dass der Abriss derartiger Bauten in vielerlei Hinsicht ein großer Fehler ist. Im Wettbewerb konnten sich Lacaton & Vassal zusammen mit Frédéric Druot gegen ihre Konkurrenten aufgrund ihrer langjährigen Expertise und der zahlreichen Machbarkeitsstudien auf konstruktivem, wirtschaftlichem und logistischem Gebiet im Bereich der Transformation derartiger Wohnbauten durchsetzen. Sie waren die einzigen Teilnehmer, die im budgetären Rahmen den Ausbau der bestehenden Wohnriegel vorschlugen. Bernard Blanc verfolgt die Arbeit der drei Architekten schon seit Jahren und realisierte mit ihnen bereits in seiner Funktion als Direktor der Wohnbaugesellschaft für sozialen Wohnbau „SILENE OPAC“ (Office public d‘aménagement et de construction) in Saint-Nazaire den Umbau und die Erweiterung eines sozialen Wohnbaus.
Bewegung im Raum
Mit dem Vergrößern der bestehenden Fassadenöffnungen und der Erweiterung des Wohnraums durch einen tragwerkstechnisch unabhängigen und unbeheizten Wintergarten und Balkon schaffen die Architekten nicht nur zusätzlichen Wohnraum, der gleichzeitig einen Wärmepuffer vor allem in den Überganszeiten bildet, sondern erzeugen durch die neu hinzugefügten „Außenräume“ vielfältigere Erschließungsmöglichkeiten der einzelnen Wohn- und Schlafräume. In dieser Art und Weise können die Bewohner nicht nur durch die bereits bestehenden Türen vom Gang in die einzelnen Zimmer gelangen, sondern auch über die Wintergärten von den Schlafzimmern in die Wohnräume gehen, ein Charakteristikum und eine Qualität, die Einfamilienhäuser und Villen auszeichnet und damit automatisch neue Nutzungsmöglichkeiten des Wohnraums mit sich bringt.
Transformation
Diese Erweiterung ist so einfach wie wirkungsvoll: in einem ersten Arbeitsschritt wurden vor Ort vorgefertigte Fassadenteile – hiermit entfielen aufwendige und teure Transportkosten – auf Pfahlfundamenten montiert. Vor der Montage der vorgefertigten Betonplatten auf den jeweiligen Stockwerken wurden die Geländer der Balkone als Absturzschutz für die Bauarbeiter bereits am Boden fixiert.
Die ca. 4 m breiten Stahlbetondecken werden dabei jeweils von vier rechteckigen Stahlbetonstützen getragen, deren Lasten aus statischen und sicherheitstechnischen Gründen über eine Dreieckskonstruktion im Erdgeschoss auf die außenliegenden Punktfundamente abgetragen werden, sodass es zu keiner Beeinträchtigung der bestehenden Bauwerksfundamente kommen kann.
Nach der Fertigstellung der Plateaus der ersten drei Geschosse – damit war die Stabilität der vorgesetzten Konstruktion gewährleistet – wurde in einem zweiten Arbeitsschritt mit der Demontage der alten Fenster und Geländer und dem Aussägen der bestehenden Fensterbrüstungen sowie der Montage der neuen Glasschiebetüren aus Isolierglas begonnen. Dieser zweite Arbeitsschritt nahm pro Wohneinheit zwei Arbeitstage in Anspruch.
Im Gegenteil zum Wohnturm „Tour Bois-le-Prêtre“ in Paris war es in Bordeaux aufgrund der vielen Treppenhäuser wesentlich einfacher, die Arbeiten in Abschnitte zu unterteilen und damit die Beeinträchtigungen für die Bewohner durch die Bauarbeiten zu reduzieren.
Die Veränderungen in den Innenbereichen waren in Bordeaux bei weitem nicht so umfangreich wie beim Wohnhochhaus in Paris. Eine der Eingriffe betraf die Neuorganisation und die Verbesserung der Treppenhäuser respektive der Lifte: die bestehenden zwei kleinen Lifte wurden durch einen großen Aufzug im selben Liftschacht ersetzt. Im Gegenzug wurde in jedem Treppenhaus an der Gebäudeaußenseite ein neuer Lift angebaut. Im Rahmen dieser Anpassung wurden die ursprünglich offenen Treppenhäuser mittels Polykarbonatplatten geschlossen.
Die Polykarbonatplatten bieten den Vorteil eines leichten, kostengünstigen Baumaterials: Die Tragstrukturen und Rahmen der Fenster und Schiebeelemente können sehr dünn ausgeführt werden. Zudem schließen sie die Räume nicht hermetisch ab und ermöglichen eine gute Durchlüftung, was die Installation von mechanischen Lüftungseinrichtungen überflüssig machte.
Baustellenlogistik
Kennzeichnend für derartige Transformationsprojekte ist, dass die Bewohner während der gesamten Umbauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben können. Im Vergleich zu einem Abriss und Neubau der Wohnbauten sind die Konsequenzen für die Menschen in vielerlei Hinsicht wesentlich weniger eingreifend. Dafür spielte die Methodologie und die Baustellenlogistik für den Erfolg eines derartigen Projekts eine umso entscheidendere Rolle, bestätigt Anne Lacaton im Gespräch. Die diversen Anpassungen im Wohnungsinneren machten ursprünglich Teil einer zweiten Phase der Umbauarbeiten aus. Die Baufirma koppelte allerdings aus logistischen und kostentechnischen Gründen die Demontage und Montage der Fassadenelemente mit den inneren Umbauarbeiten, was bei den Bewohnern aufgrund des auftretenden Baustaubs im Inneren der Wohnräume zum Teil zu Unzufriedenheit führte.
Die besondere Gefahr bei diesem Bauprojekt lag in der ständigen Wiederholung derselben Arbeitsschritte und der Montage derselben Bauelemente, die durch die große Anzahl an Wohnungen gegeben war. Die damit verbundene Monotonie forderte von allen Beteiligten, sei es von den Architekten, der Baufirma, dem Bauherrn und den Bauarbeitern eine besondere Konzentration und Wachsamkeit, um Fehler zu vermeiden.
Die drei Baukörper zeichneten sich durch eine gute Mischung von Drei-, Vier- und Fünfzimmerwohnungen aus. Um die Zahl der durch die Umgestaltung mancher Apartments verlorengegangenen Dreizimmerwohnungen wieder zurückzugewinnen, entschloss sich der Auftraggeber, auf den ursprünglichen Flachdächern zusätzlich acht Wohnungen zu schaffen. Den Entwurf der Dachgeschosswohnungen vergleicht Anne Lacaton lachend mit dem Einfamilienhaus in Cap Ferre, in das die bestehenden Bäume integriert wurden: Auch im Fall der Wohnbauten in Bordeaux galt es, gut funktionierende Wohnungen zu entwerfen, die sich um die zahllosen Schornsteine auf dem Dach herumschlingen.
Ein Problem, das im Zuge der Planungsarbeiten auftrat, war die Anhebung der Erdbebenwiderstandsklasse für die Bauwerke und die fehlenden Berechnungsvorschriften für das Statikbüro. Aus diesem Grund einigte man sich mit den Behörden auf eine Zwischenregelung, die eine Zunahme der Gebäudelas-ten von maximal 10 % erlaubte. Die Planungsbüros waren dadurch gezwungen, das Gewicht aller entfernten Bauteile mit den hinzugefügten gegenzurechnen. Um das Gewicht gering zu halten, wurden aus diesem Grund die Dachaufbauten in Stahl ausgeführt.
Fazit
Anne Lacaton verschweigt eine gewisse Verwunderung und Frustration am großen Interesse an diesen Transformationsprojekten nicht. Das mediale, politische und architektonische Interesse steht ihrer Meinung nach in keinem Verhältnis zu den tatsächlich realisierten Projekten: diese Art der Projekte erneuern sich nicht, sie bleiben Pilotprojekte. Trotz des großen Bedarfs und der großen Anzahl an vergleichbareren, verbesserungsbedürftigen Gebäuden werden keine weiteren Projekte in Auftrag gegeben, wobei sich Lacaton & Vassal und Frédéric Druot durchaus bewusst sind, dass es vielfältigste Möglichkeiten gibt, um diese baukulturellen Denkmäler zu erhalten und zu verbessern. Für die Architektin bleibt es interessant zu beobachten, wie sich die Bewohner ihren neu dazugewonnenen Wohnraum zu eigen machen und einrichteten. Die Vorgehensweisen sind sehr vielfältig und völlig unterschiedlich: während manche Menschen die Wintergärten sofort perfekt einrichteten, gehen andere zaghaft Schritt für Schritt und Möbel für Möbel vor. Die Architekten wurden mehrere Male Zeugen davon, dass die Öffnung der Wohnungen auch sozial und psychologisch zur Öffnung der Menschen führte. Michael Koller, Den Haag
Standort: Cité du Grand Parc, Bordeaux/FR
Typologie: Wohngebäude
Bauherr: Aquitanis
Architekten: Lacaton & Vassal, Paris/FR, www.lacatonvassal.com mit Frédéric Druot Architecture, Paris/FR, www.druot.net; Christophe Hutin Architecture, Bordeaux/FR, www.christophehutin.com
Bauleitung: Marion Cadran, Vincent Puyoo, Mathieu Cenedese Bauzeit Erweiterungsarbeiten:
April 2014 − November 2015
Bauzeit Renovierungsarbeiten innen:
April 2014 − Oktober 2016
TGA-Planer: Secotrap Ingéniérie International, Bordeaux/FR, www.verdi-ingenerie.fr Energieplaner: Cardonnel Ingénierie, Saint-Pierre-du-Perray/FR, www.cardonnel.fr
Bauüberwachung und Koordination: Batscop, Paris/FR, www.batscop.com
Hauptnutzfläche (gesamte Fläche der Wohneinheiten): 59 565 m²
Nebennutzfläche (individuelle Keller): 1200 m²
Verkehrsfläche: 5500 m²
Gesamtgrundfläche: 55 400 m² + 25 600 m² (Bestand + Erweiterung)
Heizenergiebedarf: 34 kWh/m²a
Trockenbau: Siniat, www.siniat.de