Bewusster Verzicht Bürogebäude, Gütersloh
Hauer Architekten besannen sich auf eine traditionelle Bauweise, die seit Jahrhunderten funktioniert – das Mauern. Statt eines Glaskubus steht in Gütersloh nun ein Bürogebäude aus Vollmauerwerk ohne Dämmung – mit minimaler Gebäudeautomation.
Eigentlich hätte das fünfgeschossige Bürogebäude ein Glaskubus werden sollen. Nun steht es da: ausgeführt in Vollmauerwerk ohne Dämmung. Dass das Gebäude nicht vollständig aus Glas gebaut wurde, verhinderten die Kosten und die Funktion. Büroarbeitsplätze in einem Glaskubus unterzubringen, um nachträglich vermehrt Blend- und Sonnenschutz einzuplanen, erschien den Architekten nicht sinnvoll. Zudem stellten sie die Sinnhaftigkeit von Gebäudeautomation in Frage und besannen sich auf eine traditionelle Bauweise. Sie entschieden sich für Mauerwerk, da es eine „Bauweise ist, die seit Jahrhunderten funktioniert“, sagt Friederike Kriete, Projektleiterin bei Hauer Architekten. Die Architekten überprüften ihre Idee fortlaufend während des Entwurfs, der Planung und der Ausführung.
Das Ziel, einen modernen Bürobau zu planen, ohne aufwändige Gebäudeautomation und einem geringen Energiebedarf, haben die Architekten erreicht. So verzichten sie auf eine mechanische Be- und Entlüftung der Räume. Die Fenster sind dennoch für den Einbau von elektrischen Motoren vorgerüstet. Ein VOC-System (VolatileOrganicCompounds-System), das den CO2-Gehalt in der Luft misst, unterstützt die Mitarbeiter beim manuellen Lüften der Räume. Eine Ampelschaltung macht die Mitarbeiter darauf aufmerksam, wann es Zeit wird das Fenster zu öffnen.
Das Gebäude verbraucht 98,4 kWh/m²a Primärenergie nach EnEV 2009. „Mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach und einer Erdwärmepumpe für die Beheizung und Kühlung ist das Gebäude klimaneutral“, sagt Kriete.
Formal zeitgenössisch
Ein opulentes Foyer leisten sich die Architekten, von dem eine geschwungene Betontreppe in das erste Geschoss führt – die Konferenzzone. Dort ist der Estrich sichtbar, der Besprechungsraum ist mit schweren Filzvorhängen vom übrigen Raum getrennt. Die Gestaltung – der rohe Estrich – forderte „normale“ Heizungskörper, die übrigen Etagen werden mit einer Fußbodenheizung beheizt und gekühlt. Die Architekten teilen das EG und 1. OG sowie die oberen drei Etagen in zwei Brandabschnitte, indem sie zwischen den Treppenläufen eine Brandschutzverglasung F30 einplanten und eine Brandschutzdecke einzogen.
Die Büroräume befinden sich im 2. bis 4. OG. Sie gruppieren sich entlang der Fassade. Glaswände trennen die Büroräume von den innen liegenden „Verkehrsflächen“ – das erhellt den „Flur“ zusätzlich. Die Trockenbauwände, die auf dem Stützenraster liegen, schließen mit Glasschwertern ab. Es ist eine gewollte Transparenz, die die Architekten im Innenraum schaffen, die auch den Arbeitsfluss der Mitarbeiter spiegelt. Sie arbeiten in Projektteams, die sich verändern und somit flexible Raumgrößen fordern. Darauf reagieren die Architekten mit unterschiedlich großen Büroräumen. So gibt es Doppelbüros ebenso wie Großraumbüros, in denen bis zu zehn Personen sitzen, oder Ebenen, auf denen Mitarbeiter in der offenen Fläche arbeiten.
Mit den schmalen, vertikalen Öffnungen spricht das Gebäude die Sprache zeitgenössischer Architektur. Tief sitzen die Fenster in der Fassade, so dass der Betrachter zunächst dunkle Innenräume vermutet. Überraschenderweise sind die Büroräume und auch die innen angeordnete Treppe erstaunlich hell. Das erreichen die Architekten, indem sie einen Luftraum neben der Treppe anordnen, der sich über drei Etagen erstreckt. Ein Drittel des obersten Geschosses nimmt eine Dachterrasse ein. Die Architekten führen dort die Lochfassade konsequent weiter, so dass es vereinzelte Ausblicke gibt und das Erscheinungsbild des Gebäudes gewahrt bleibt.
Das Ziegelmaß bestimmt die Gestaltung: die Breite der Öffnungen, die Anordnungen der Stützen sowie der Trockenbauwände und diese Vorgabe wiederum die Größe der Räume.
Zurück zu den Anfängen des Bauens
„Back to the roots“, nennt Kriete die Entscheidung, auf eine Dämmung zu verzichten. Und stattdessen die Hülle 75 cm tief zu entwerfen. Dass sie ungedämmt ebenso eine konstante Temperatur im Innenraum hält wie ein gedämmtes Mauerwerk, wies der Fachplaner mit einer thermischen Simulation nach. Der U-Wert der Außenwand beträgt 0,14 W/m²K.
Hauer Architekten hatten bereits Erfahrung im Umgang mit tiefen Fassaden gesammelt. Den Hochbunker in der Bielefelder Innenstadt bauten sie in Wohnungen um. „Die 2 m Stahlbetonwände ließen die Raumtemperatur nie unter 11 bis 12 °C fallen“, sagt Kriete. Stahlbeton und Mauerwerk sind sich bauphysikalisch nicht ähnlich. Die Architekten wussten dennoch, dicke Wände halten eine konstante Raumtemperatur. Mauerwerk hat eine geringere Strahlungskälte als Stahlbeton, die Oberflächentemperatur ist somit höher, was sich positiv auf die Raumtemperatur auswirkt.
Aufgrund des 75 cm tiefen, einschaligen Mauerwerks, konnten die Architekten auf gewisse Bauelemente verzichten, wie z. B. außen liegenden Blend- und Sonnenschutz. So stören keine ablenkenden Details das Erscheinungsbild. Nicht einmal Kanten von Fensterbänken sind zu erkennen, denn es gibt sie schlichtweg nicht. Stattdessen führen die Architekten das Regenwasser durch Leitungen im Mauerwerk in Sickermulden am Boden. Kriete vergleicht die Fensterlaibungen mit einer Duschwanne. Es ist dasselbe Prinzip, das die Architekten hier anwenden: Die Fensterlaibungen sind mit einer wasserabweisenden Schicht abgedichtet und fallen mittig zu einem Abfluss hin ab. Je zwei Abflüsse verbinden sich zu einem Fallrohr, das ebenfalls in der Ebene des Mauerwerks in den Boden geführt wird. Eine Kante von ca. 1 cm hindert das Regenwasser, entlang der Fassade unansehnliche Schlieren zu bilden. Daher ist von außen ausschließlich die Reinsilikatfarbe im Farbton Braun zu sehen. Die Mineralfarbe gibt Feuchte ungehindert nach außen ab und verbindet sich aufgrund ihrer Verkieselung mit dem Unterputz. Das ist wichtig für ein Gebäude ohne Dämmung und Dampfsperre. Somit werden Wasseransammlungen zwischen Anstrich und Unterputz verhindert, die zu Absprengungen und Rissen führen können. Außerdem fördert die Reinsilikatfarbe, da ohne Lösemittel, das Gesunde Bauen.
Nicht gängig, alternativ
„Eine 75 cm tiefe Wand zu mauern, ist nicht gängig“, sagt Kriete. Üblich ist eine Kalksandstein-Mauer, die verklebt wird. Kriete zeigt auf das dem Bürogebäude gegenüberliegende Wohnhaus, das zurzeit gebaut wird. „Das machen wir auch“, sagt sie. Keine Verzahnung ist notwendig, um die Ziegel aufeinander zu halten. Davor wird ein WDVS gesetzt. Fertig ist die Gebäudehülle, üblich und simpel. Das wollten die Architekten beim Bürogebäude in Gütersloh vermeiden. Sie suchten die Herausforderung. Und fanden im Bauherrn, der den Architekten gut kennt, Unterstützung in ihrem Vorhaben. „WDVS wäre eine Alternative gewesen“, sagt Kriete. Nur die Frage, wie in 10 bis 20 Jahren mit dem Sondermüll verfahren wird, beschäftigt die Architekten – bei jedem Projekt. Hier, bei „ihrem“ Bürogebäude – die Architekten sind gleichzeitig die Nutzer des Gebäudes –, suchten sie nach einem anderen – ökologischen – Weg. Und fanden ihn in einem Vollmauerwerk mit einer Tiefe von 75 cm.
Auch wenn es die ausführende Firma vor die Herausforderung stellte, die unverfüllten Ziegel in horizontaler Ebene sowie in der Wandtiefe zu verzahnen und die Ausführung 10 Monate dauerte. Es hat sich gelohnt!
Ihr Anspruch, materialgerecht zu bauen, ließ die Architekten die Lebendigkeit des Materials annehmen. „Solche Abbruchstellen“, Kriete zeigt auf die Fuge zwischen Fensterrahmen und Putz, „können mit einer Acrylversiegelung leicht behoben werden.“ Doch will man das? Hauer Architekten nicht. Sie belassen die Fugen. Das Material soll seinen unverfälschten Charakter behalten.
Auf die Frage hin, ob sie das an diesem Bürogebäude Angefangene als Forschungsprojekt begreift, antwortet Kriete: „Kein Forschungsprojekt, aber die Idee ist geboren, mit Industriepartnern die Entwicklung von Ziegeln voranzutreiben.“ Und sie weiß auch schon, welche Punkte sie verbessern würde, um Zeit zu sparen und die Arbeit zu erleichtern: die Anschlusspunkte. „Aufgrund der unterschiedlichen Materialien, die dort aufeinander treffen, sind Anschlussdetails besonders spannend“, betont Kriete. Hierfür eine Lösung zu suchen, das wäre eine Idee für die Zukunft. Bis jetzt nur eine Idee, an der es lohnt festzuhalten. S.C.