Bioklimatische Fassadenkonzepte
Dynamisch isolieren mit Sonnenschutztechnik

Das Funktionsprinzip einer bioklimatischen Fassade beruht auf der Regulierung des Wär-
meaustauschs durch automatisch gesteuerten Sonnenschutz. Dabei reagiert die Senso-
rik auf die äußeren Bedingungen. Auf diese Weise herr­schen immer optimale Licht- und Sichtverhältnisse, das Raumklima bleibt angenehm, es geht wenig Energie verloren und die solare Wärme wird genutzt. Drei Bausteine bestimmen dieses Konzept: effektives Tageslichtmanagement, effiziente Heiz- und Kühlstrategie sowie natürliche Belüftung auf Basis einer intelligenten Steuerung von Fenstern und Sonnenschutz.

Alle Welt spricht von energiesparender Beleuchtung oder kostensparender und umwelt­schonender Heiztechnik. Doch warum nicht die Quelle nutzen, die uns kostenfrei und in großen Mengen Licht und Kraft liefert? Jeden Tag erhält die Erde von der Sonne das Zehntausendfache an Energie, die der Mensch heute produziert – und das sauber und ohne Belastungen für die Umwelt. Mit dem Konzept der bioklimatischen Fassaden lassen sich solares Licht und solare Wärme für das Leben und Arbeiten in Gebäuden nutzbar machen. So werden die laufen­den Kosten für künstliche Beleuchtung, Heizung und Kühlung reduziert, die Umwelt geschont und das Wohlbefinden der Menschen verbessert sich.

Ein nutzerorientiertes Fassadenmanagement kann nur funktionieren, wenn viele unterschiedliche Faktoren in Betracht gezogen werden. Allem voran stehen die Erfordernisse der Personen, die im Gebäude leben und arbeiten. Um für ein optimales Raum-
klima zu sorgen, ist entscheidend, welchen Beschäftigungen die Nutzer nachgehen und welches typische Verhalten sie an den Tag
legen. Denn Menschen in Lateinamerika
nutzen aufgrund Traditionen und kultureller Regeln ein Gebäude unter Umständen anders als es in europäischen oder asiatischen Ländern üblich ist. Weitere Einflussfaktoren auf die klimatischen Verhältnisse im Gebäu-de sind die Nutzung (Büro, Hotel etc.), die Fassadenkonstruktion (Doppelhautfassade,
Vorhangfassade etc.) sowie die Verglasung (Beschichtung, Zwischenraumfüllung und -breite). Sie beeinflussen die Licht-, Wärme- und Luftdurchlässigkeit. Zudem sind Städte aufgrund ihrer Emissionsausstöße und geografischen Lage mikroklimatische Kosmen, die individuelle Charakterisken in punkto Temperatur und Luftqualität aufweisen. Auch das ist bei der Steuerung von Licht, Lüftung und Temperatur in Gebäuden zu berücksichtigen. Eine genaue Betrachtung des Zusammenspiels dieser Faktoren hilft, die Sonnenschutztechnik genau darauf abzustimmen.


Effektives Tageslichtmanagement

Natürliches Licht ist für das menschliche Auge angenehmer als künstliche Beleuchtung. Studien weisen nach, dass Schüler bei einem Höchstmaß an Tageslicht bessere Noten erzielen1. In Büros führt es zu höherer Produktivität und geringeren Fehlzeiten. Immer wieder kommt es zu Planungsfehlern, bei denen der Sonnenschutz außer Acht gelassen wird2. Denn ungehindert einfallendes natürliches Licht führt je nach Sonnenstand und Positionierung des Arbeitsplatzes im Raum zu ungünstigen Sichtverhältnissen. Reflexionen, Spiegelungen und Blendungen auf dem Computerbildschirm können Kopfschmerzen, Augenbeschwerden und Rückenleiden durch Verkrampfung verursachen können. In der Bildschirmarbeitsverordnung wird daher gefordert, „Fenster … mit einer geeigneten verstellbaren Lichtschutzvorrichtung“ auszustat-
ten, „durch die sich die Stärke des Tageslichteinfalls auf den Bildschirmarbeitsplatz vermindern lässt.“3

Wie viel Licht in das Gebäude dringt und wie es sich in den Räumen verteilt, hängt zunächst von der Größe der Gebäudeöffnungen und der Art der Verglasung ab. Die Fenster-
elemente müssen groß genug und richtig positioniert sein, damit das Sonnenlicht in den gesamten Raum fallen kann. Transparentes Glas sorgt im Gegensatz zu getönten Varianten für eine qualitativ bessere Beleuchtung. Damit die Vorzüge der natürlichen Beleuchtung ohne störendes Direktlicht vollkommen ausgenutzt werden können, sind verstellbare Beschattungselemente unerlässlich. Sie tragen dazu bei, Kontraste zu vermindern, Blendung zu vermeiden und eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu erzeugen. Sie müssen automatisch steuerbar sein, da manuell betriebene Elemente selten benutzt werden und sich dadurch die Lichtsituation im Raum verschlechtert. Auch bei schwer zugänglichen Fenstern oder bei Jalousien und Rollläden, die aufgrund von Gewicht oder Größe manuell schlecht zu bedienen sind, ist der Einsatz von automatisierter Technik empfehlenswert.


Optimal gelenktes Tageslicht

Fassadensteuerungen lassen sich per Sonnen­standsverfolgung so programmieren, dass die Lamellen von Jalousien immer für das richtige Maß an Tageslicht sorgen, ohne Blendungen zuzulassen – zu jeder Tages- und Jahreszeit. Durch den exakten Lamellenwinkel ist es auch möglich, Licht in dunklere Raumbereiche zu leiten. Allerdings stehen Nutzer- und Betreiberbedürfnisse unter Umständen im Widerspruch zueinander, wenn die visuellen Bedürfnisse des Einzelnen nicht mit dem Gesamtkonzept übereinstimmen. Im Sommer etwa will der Betreiber vermeiden, dass zuviel Tageslicht und damit Sonnenwärme ins Innere der Räume gelangt, um die Kühllast niedrig zu halten. Der Nutzer hingegen möchte per lokaler Bedienung für mehr natürliche Beleuchtung sorgen. Die Lösung ist ein Kompromiss: die Möglichkeit, einen maximalen Wendewinkel über eine zentrale Steuerung festzulegen. Wie weit der Nutzer gegensteuern kann, ist abhängig von der Programmierung der Anlage. Der Betreiber kann also den für sich relevanten Mittelweg zwischen ökonomischen Interessen und individuellem Nutzerkomfort definieren – ohne den Blendschutz zu vernachlässigen. Ebenfalls notwendig ist die Schlagschattenberechnung. Hohe und verwinkelte Konstruktionen oder umliegende Gebäude werfen zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten Schatten auf andere Gebäudeteile und beeinflussen so die Sichtqualität. Diese Parameter lassen sich in die Programmierung ebenso integrieren wie die Steuerung des Sonnenschutzes nach Fassadenabschnitten. Je nach Himmelsrichtung und Sonnenstand werden nur die Behänge aktiviert, die der Sonne ausgesetzt sind.


Effiziente Heiz- und Kühlstrategie

Außerhalb der Arbeitszeit oder bei Abwesenheit muss der Sonnenschutz keine Blendschutzfunktion erfüllen. Während dieser Zeit können solare Gewinne zum Heizen des Gebäudes verwendet werden. Sonnensensoren und Temperaturfühler sorgen dafür, dass die Behänge im Winter nach oben fahren und die solare Strahlung das Gebäude­innere wärmt. Auf diese Weise spart der Betreiber Heizkosten. Das ist auch der Fall, wenn sich der Sonnenschutz abends rechtzeitig schließt. Er wirkt dann isolierend und verringert Wärmeverluste durch die Fenster.

Sommerlicher Arbeitskomfort ist vor allem eine Frage der Raumkühlung. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Fenster. Je nach Beschaffenheit des Glases dringt mehr oder weniger Sonnenenergie von außen nach innen durch. Maßgeblich dafür ist der g-Wert, der Gesamtenergiedurchlassgrad. Je geringer der Wert, desto weniger Sonnenwärme gelangt ins Haus. Bei reflektierendem Glas liegt der g-Wert bei circa 0,49, im Gegensatz zu
einer klaren Doppelverglasung, die einen
g-Wert von etwa 0,76 aufweist. Im Sommer wirkt sich eine Verglasung mit niedrigem g-Wert also vorteilhaft für das Raumklima aus. Im Winter kann die solare Energie nicht optimal zum Wärmen der Innenräume genutzt werden. Die Lösung besteht in einer Verglasung mit einem höheren g-Wert in Verbindung mit automatischem Sonnenschutz. Diese Kombination blockiert im Sommer bis zu 90 % der Sonnenenergie. Der Gesamtdurchlassgrad g liegt dann bei nur 0,1. Bis zu 35 % Energieeinsparung pro klimatisiertem Bereich lassen sich hier herausholen. 40 % Einsparpotential liegen vor, wenn der automatisierte Sonnenschutz funktional an die Wär-
meregulierung des Gebäudes gekoppelt ist.

Eine Studie der European Solar Sha­ding Organization (ES-SO) kommt zu dem Schluss, dass dynamischer Sonnenschutz ein aktives Kühlsystem überflüssig machen kann oder die benötigte Maximalleistung und dadurch die Investitions- und Wartungskosten reduziert. Nach dieser Studie lässt sich die benötigte Kühlenergie sogar um 80 % verringern. Wichtig dabei: Der Sonnenschutz muss außen liegen, damit die solare Energie schon vor dem Durchlass ins Innere abgeblockt wird. Bei innen liegenden Elementen ist die Kühlwirkung wesentlich geringer. Durch die Programmierung von reduzierten Wendewinkeln bei Jalousien wird zudem verhindert, dass Nutzer durch manuelle Bedienung zu viel Sonnenenergie ins Rauminnere lassen und die Kühllast sich erhöht.


Windschutz verringert Kühlbedarf

Da Außenbehänge zum Schutz vor Beschädigung durch Windlasten rechtzeitig hoch gefahren werden müssen, kann es im Sommer neben schlechten Sichtverhältnissen für die Nutzer auch zu erhöhtem Kühlbedarf kommen. Viele Steuerungssysteme aktivieren
bei „Windalarm“ die Behänge des gesamten Gebäudes, obwohl die Windlasten häufig nur an einzelnen Fassadenteilen auftreten. Effektiver sind Sonnenschutzsteuerungen, mit denen sich nur die Behänge jener Fassadenteile bewegen lassen, die von übermäßiger Windlast betroffen sind. Alle anderen bleiben geschlossen und können weiter als Hitze- und Blendschutz wirken. Diese Funktion wird steuerungstechnisch über Windrichtungsmessung und die Möglichkeit nach Windrichtung variierender Schwellwerte erreicht.


Automatische Lüftung durch Sonnenschutz und Fenster

Natürliche Lüftung erfüllt im Rahmen des
bioklimatischen Konzepts eine wichtige Funktion. Sie verringert den Klimatisierungsbedarf und senkt bei warmem Wetter den Energieverbrauch der Klimaanlagen. Damit das funktioniert, sollte der Sonnenschutz mit einer nächtlichen Lüftung gekoppelt sein. Dafür sorgen gekippte Fenster und geöffnete Behänge, die sich per Steuerungszentrale und Timer abends zuverlässig in eine Lüftungspo-
sition bringen lassen. So werden die Innen-
räume abgekühlt und morgens dauert es länger, bis die Temperatur wieder ansteigt. Das angenehme Raumklima entsteht auf natürlichem Weg, die Kühllast wird verringert.


Künstlicher Beleuchtung und automatischem Sonnenschutz

Unter Sichtkomfort- und Energiesparaspek­-ten ist die aufeinander abgestimmte Steuerung von künstlicher Beleuchtung und Sonnenschutz wünschenswert. Außerdem lassen sich durch die optimale Nutzung von Tageslicht und Anwesenheitskontrolle die Energiekosten für künstliche Beleuch­tung deutlichverringern. Über Bewegungsmelder wird ermittelt, ob sich Personen im Raum befinden. In diesem Fall wird über Sensoren die beste Kombination von Sonnenschutzposition und künstlichem Licht ermittelt. Ist niemand im Raum, schaltet sich das Licht aus. Je nach Tages- und Jahreszeit fahren die Behänge automatisch nach oben oder unten. Die Ersparnisse dafür können in Büro- und Verwaltungs­bauten bis zu 50 % des Gesamtenergieverbrauchs ausmachen4.


Baustein zur Verringerung des Treibhaus­effekts

Die Fakten zeigen, dass es sich in jedem Fall lohnt, intelligente Sonnenschutztechnik einzusetzen. Der Nutzerkomfort erhöht sich nachweislich und die Betriebskosten des Gebäudes können gesenkt werden. Zudem leistet sie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag auf dem Weg, die Emissionen der Industrieländer bis zum Jahr 2050 auf ein Viertel des heutigen Werts zu senken (EU-Beschluss vom 14.12.2006) und damit die unumkehrbaren Folgen des Treibhauseffekts einzuschränken.

Anmerkungen
1 In einer Studie des kanadischen Alberta Department of Education wurde schon 1992 ermittelt, dass Grundschüler in Gebäuden mit mehr Tagesbelich
tung um 14 Prozent bessere Leistungen aufweisen als ihre gleichaltrigen Mitschüler in dunkleren Räumen.
2 An der Nord-West-Fassade der Uni Lübeck wurden z. B. Sonnenschutzanlagen eingebaut, während die nach Süden ausgerichtete, komplett verglaste Seite, aus architektonischen Gründen ohne außen liegenden Sonnenschutz errichtet wurde.
3 Verordnung über Sicherheit und Gesundheits- schutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bild
schirmarbeitsverordnung – BildscharbV), Anhang über an Bildschirmarbeistplätze zu stellende Anforderungen, Abschnitt „Arbeitsumgebung“, Punkt 16.
4 Laut Dipl.-Ing. Arch. Andreas Raack, freier Planer, Energieberater und Fachplaner für Beleuchtung, in einem Interview mit dem TÜV Süd
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