Bremer Punkt, Bremen
Dieses Pilotprojekt eines seriellen Baukastens zeigt im besten Sinne, was Wohn- und damit Lebensqualität von innen wie von außen betrachtet ausmacht! Die puristische Formensprache in Kombination mit Holz und Glas schafft beeindruckende Qualitäten im bezahlbaren Wohnungsbau.
⇥DBZ Heftpatin Nina Bendler
Als würfelförmige Stadtbausteine ergänzen die „Bremer Punkte“ die aufgelockerten Wohnsiedlungen der Nachkriegsjahre und werten diese durch hochwertige, barrierefreie Wohnungen auf. Das Angebot richtet sich vor allen Dingen an die älteren Mieter aus dem Quartier.
Rein technisch betrachtet sind die so genannten „Bremer Punkte“, mit denen die Bremer Gesellschaft für Wohnen und Bauen (GEWOBA) ihren Bestand seit 2016 punktuell ergänzt, eher der Elementbauweise zuzuordnen. Trotzdem gehört das Projekt des Büros LIN Architekten Urbanisten unbedingt dazu, wenn der Themenschwerpunkt auf den Modulbau gelegt wird. Denn in den viergeschossigen Gebäudekuben lassen sich innerhalb des gleichen baulichen Rahmens nach dem Baukastenprinzip unterschiedliche Wohnungsgrundrisse immer wieder neu kombinieren. Basierend auf den Grundriss-Modulen der „GEWOBA-Grundrissfibel“ sind hier bis zu 60 Varianten pro Geschoss denkbar. Die Gebäudehülle, innerhalb derer diese Vielfalt möglich ist, wurde dabei wiederum aus sich wiederholenden, vorgefertigten Holzbauelementen gefertigt.
Angefangen hatte es 2011 mit einem von der GEWOBA ausgeschriebenen Ideenwettbewerb. Für fünf verschiedene Grundstücke sollten je drei Architekturbüros Ideen entwickeln, um den Bestand der 1950er-,1960er-Jahre Bauten zu ergänzen. Zum damaligen Zeitpunkt war der Druck auf den Wohnungsmarkt nicht groß; und es ging weniger um Quantität als darum, gezielt auf die Wohnbedürfnisse einzugehen, die der Bestand nicht abdecken konnte. So sollte gerade barrierefreier Wohnraum für ältere Menschen geschaffen werden.
Dafür hatte das Berliner Architekturbüro überschaubare, würfelförmige Stadtbausteine in vorgefertigter Holzelementbauweise vorgeschlagen, von denen die ersten drei bereits erfolgreich in den Bestand integriert wurden.
Drei weitere „Bremer Punkte“ sind aktuell im Bau, einer ist geplant und genehmigt, sodass auch hier im kommenden Jahr mit dem Bau begonnen werden kann. Für nochmals drei weitere Standorte wird aktuell das Planungsrecht hergestellt.
Übertragbarkeit und Serialität
„Einer der wichtigsten Aspekte des Entwurfs aus dem Ideenwettbewerb ist die Übertragbarkeit auf verschiedene Situationen,“ so John Klepel von LIN Architekten Urbanisten. „Bei der Auseinandersetzung mit den konkreten Standorten lag und liegt die Herausforderung darin, jeweils behutsam eine passgenaue Antwort zu formulieren.“ Corinna Bühring, Architektin und Projektleiterin bei der GEWOBA, die das „Bremer Punkt“-Konzept mit den Architekten nach dem Ideenwettbewerb weiterentwickelt hat, sieht genau da die Stärke des Projekts. Ihrer Meinung nachzeichnet gerade die Reaktionsfähigkeit den „Bremer Punkt“ aus, die Möglichkeit innerhalb eines festgesteckten Rahmens trotzdem flexibel genug reagieren zu können. „Wir sind sehr froh darüber, wie gut es funktioniert, über den Wohnungsbau-kasten für die unterschiedlichen Anforderungen die passenden Antworten zu finden!“ Die sich wiederholenden vorgefertigten Bauelemente wirken sich zudem natürlich positiv auf die Baukosten aus. „Grundsätzlich wurde versucht, eine möglichst große Serialität herzustellen“, so Tobias Götz vom Büro Pirmin Jung, das sich insbesondere auf Holz-Ingenieurbauten spezialisiert hat. „Die Hausabmessungen sind immer gleich, wie auch die Statik der Außenwände. Bei den ersten drei Gebäuden wiederholt sich auch die Lage der Fenster.“ Bei einer inzwischen weiterentwickelten so genannten „Neuauflage“ des Gebäudetyps soll das allerdings geändert werden, so dass die Öffnungen auch verspringen und auf die Situation am Standort reagieren können. Doch wichtiger als der ökonomische Aspekt war der hohe Grad der Vorfertigung für das Ziel, die Bestandsmieter so wenig wie möglich durch die Baustellen zu beeinträchtigen.
Prototyp und Neuauflage
Die ersten drei realisierten „Bremer Punkte“ sind äußerlich genau baugleich und nach dem gleichen Erschließungskonzept mit einem Laubengang aus Stahlbeton realisiert, der auch für die Aussteifung des Hauses sorgt. Zudem hat jede Wohnung eine Loggia beziehungsweise im Erdgeschoss eine Terrasse mit einem kleinen Mietergarten. Inzwischen wurde die Typologie etwas modifiziert, da sich das Erschließungsprinzip des Laubengangs als weniger flexibel in Bezug auf die Grundrissstruktur erwiesen hat. „Der Dreispänner-Typ beispielsweise wäre mit einem Laubengang nicht beziehungsweise nur mit ungünstigen Grundrisskonstellationen möglich gewesen“, so Architektin Bühring, „da der sich über eine komplette Fassade erstreckende Laubengang die Belichtungsmöglichkeiten der Wohnungen sehr einschränkt.“ In der so genannten „Neuauflage“ ist das Treppenhaus daher in das Gebäude hineingeschoben worden. Insgesamt sorgt diese Maßnahme für die vierseitige Belichtungsmöglichkeit der Wohnungen und einen kompakteren Baukörper. Um das A/V-Verhältnis weiter zu optimieren und auch mehr Wohnfläche zu schaffen, sind in den nächsten „Bremer Punkten“ Balkone statt Loggien vorgesehen.
Am konstruktiven Grundprinzip hat sich an sich nichts geändert: Mit einem relativ hohen Vorfertigungsgrad werden die Wände des Gebäudes einschließlich ihrer Abdichtungen, Fensteröffnungen und Jalousien hergestellt und auf die Baustelle geliefert, wo bereits die vertikale Erschließung sowie die Bodenplatte aus Stahlbeton erstellt worden sind. Die Bauzeit eines „Bremer Punkts“ betrug bisher vier Wochen. Allerdings gibt es auch hier einen weiteren Unterschied zwischen dem Prototyp und der Neuauflage: Während bei den ersten drei Punkten die Decken als reine Stahlbetondecken ausgeführt wurden, sollen die nächsten Bauten mit Holz-Stahlbeton-Verbunddecken realisiert werden. „Der Einsatz von Holz-Beton-Verbunddecken birgt großes Potential, um den Bauablauf zu optimieren und die Rohbauzeit weiter zu verkürzen“, so Architekt Klepel. „Werden bereits mit der Anlieferung der Wände auch die Holzdecken geliefert, ist das Gebäude schneller dicht; und es kann witterungsunabhängig weitergearbeitet werden.“ Um den Holzbau in Zukunft stärker in Erscheinung treten zu lassen, wird in den folgenden „Bremer Punkt“-Projekten die vorgefertigte verlorene Schalung der Hybriddecken am Ende als Deckenuntersicht sichtbar sein. Die Holzwände sind in Holzrahmenbauweise mit einer 24 cm starken Dämmung und raumseitigen Gipskartonplatten ausgeführt. Auf eine außenseitige Holzverschalung wurde aus verschiedenen Gründen verzichtet. In Anpassung an die umliegende Bebauung sind auch die Neubauten verputzt.
Potentiale des Konzepts
Eine wichtige Motivation war für die GEWOBA nicht zuletzt, ihren Mietern durch das Konzept der „Bremer Punkte“ gemeinschaftliches Wohnen anbieten zu können. Im dritten realisierten Punkt wurde dieser Ansatz bereits erfolgreich umgesetzt. Hierbei geht es weniger um einen gemeinschaftlichen Planungsprozess als um das gemeinschaftliche Wohnen selbst. Einen Gemeinschaftsraum gibt es dabei allerdings nicht per se. Selbstverständlich hätte sich die Nachbarschaftsgruppe dafür entscheiden können, eine Wohnung als Gästewohnung oder Gemeinschaftsfläche zu bespielen. Die Finanzierung wäre dann größtenteils auf die Mieter umgeschlagen worden. Die Gruppe hat sich dagegen entschieden und veranstaltet die regelmäßigen Nachbarschaftstreffen nun privat. Gemeinschaftsaktivitäten wurden vor allen Dingen auf den Garten verlegt, wo ein Gartenhäuschen mit überdachter Sitzgelegenheit Raum für gemeinsame Treffen bietet.
Ein Potential des Konzepts wurde bislang allerdings noch nicht umgesetzt: Im Prinzip ist es möglich, sowohl den Prototyp als auch die Neuauflage geschossweise über Brücken an den Neubau anzubinden, um so auch den Bewohnern des alten Riegels die Vorteile der barrierefreien Erschließung zu bieten. Da derzeit der Bedarf an Wohnungen so hoch ist, gibt es keine Ausweichwohnungen, um eine solche Baumaßnahme durchführen zu können. Nina Greve, Lübeck
Baudaten
Standort: Gartenstadt Süd in Bremen (BP 1 – BP 3 = Prototyp)
Typologie: sozialer Wohnungsbau
Bauherr: GEWOBA Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen, www.gewoba.de
Nutzer: Bewohner
Architekt: LIN Architekten Urbanisten, Berlin (Entwurfsplanung), www.lin-a.com; Kahrs Architekten, Bremen (Ausführungsplanung), www.kahrs-architekten.de
Projektleitung GEWOBA: Architektin Dipl.-Ing. Corinna Bühring Bauzeit: Fertigstellung November 2016 (BP 1 + 2), Fertigstellung Februar 2017 (BP 3)
Fachplaner
Statik/Schallschutz: Pirmin Jung Deutschland GmbH – Ingenieure für Holzbau, Sinzig, www.pirminjung.de
Techn. Gebäudeausrüstung/Wärmeschutz: Kahrs Architekten, Bremen, www.kahrs-architekten.de; EKM Partner Gmbh & Co.KG, Ottersberg, www.ekm-partner.com
Freiraumplanung: Atelier Schreckenberg Planungsgesellschaft mbH, Bremen, www.atelier-asp.de
Brandschutz: Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG, Gifhorn, www.kd-brandschutz.de
Bauleitung: Kahrs Architekten, Bremen, www.kahrs-architekten.de
Projektdaten
Grundflächenzahl: 0,23
Geschossflächenzahl: 0,93
Wohnfläche: 427 m² Brutto-Grundfläche: 713 m² Brutto-Rauminhalt: 2 350 m³
Energiekonzept
Hersteller
Wärmedämmstoff für Gebäude: DEUTSCHE ROCKWOOL GmbH & Co.KG, www.rockwool.de
Gefälledämmplatten Dach: Paul Bauder GmbH & Co. KG,
www.bauder.de
OSB-Platten: EGGER Holzwerkstoffe Wismar GmbH & Co. KG, www.egger.com
Holzfaserdämmplatten: STEICO SE, www.steico.com
Gipsfaserplatten: Fermacell GmbH, www.fermacell.de
Außenputzsystem: Sto SE & Co. KGaA, www.sto.de
Luft-Wasser-Wärme-Pumpe: NIBE Systemtechnik GmbH, www.nibe.de