Unsere Städte verändern sich jeden Tag. In den letzten Jahren gab es große Debatten darum, wer für die Moderation der Veränderungen und die Gestaltung von Städten und Gemeinden verantwortlich ist. Neben der kommunalen Verwaltung und ausgebildeten Fachleuten aus Stadtplanung, Landschaftsarchitektur und Architektur fordern immer häufiger engagierte Bürger*innen, Künstler*innen und Vertreter*innen der Kreativwirtschaft mehr Mitsprache bei der Gestaltung ihrer Stadt. Durch praktische Aktionen fördern sie das Gemeinwohl in ihren Städten: Sie eignen sich Plätze an und bespielen diese, wandeln hässliche Unorte in lebendige Treffpunkte um oder erarbeiten alternative Konzepte zu vorhandenen Plänen der Kommunen. Die Kreativität und Fantasie, die von diesen Akteuren ausgehen, scheinen kaum Grenzen zu kennen.
Immer häufiger fordern auch junge Menschen eine aktive Mitsprache bei der Gestaltung ihrer Lebensräume. Gerade diese Altersgruppe hat große Erfahrungen mit Mikro-Aneignungen von öffentlichen Räumen – zu sehen im Bereich des informellen Sports von Traceur*innen oder Skater*innen, durch Umnutzungen von Leerständen zu Musik- und Szenenspots oder auch durch temporäre Interventionen im öffentlichen Raum. Als Stadtmacher*innen nutzen sie ihr spezifisches Fachwissen zum Lebensraum Stadt. Sie arbeiten aber nicht nur konkret mit und im Raum, sondern stellen auch Überlegungen und Visionen zu städtischen Entwicklungen an – und setzen sich dabei oft für das Gemeinwohl ein.
Partizipation an Stadtplanungsprozessen
Schon längst haben Kommunen, Länder und der Bund erkannt, dass der Einsatz und die Beiträge solch engagierter Bürger*innen in der Stadtentwicklung nicht mehr wegzudenken sind. Ein gemeinsames Handeln ist gefragt! Städtische Verwaltungen müssen Wege finden, um zusammen mit und unter Mitwirkung von Bürger*innen Städte zu entwickeln. Mit allen Kräften sollten sie ziviles Engagement fördern und dieses vor allem auch zulassen.
Auf Bundesebene beschäftigen sich das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zusammen mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) damit, wie man diesen jungen Stadtmacher*innen mehr Gehör schenken und sie unterstützen kann. 2018 haben BMI und BBSR daher die Urbane Liga gegründet. Das Projekt wird seither unterstützt durch das Team stadtstattstrand – kreativer Umgang mit urbanem Raum. Das Stadtforschungsbüro berät Kommunen und Institutionen bei koproduktiven Stadtentwicklungsprozessen mit Werkzeugen aus Architektur, Design und Sozialforschung.
Inzwischen ist die Urbane Liga zu einem starken Bündnis junger Stadtmacher*innen geworden. Als Projektschmiede, Ideenlabor und Netzwerkplattform zielt sie darauf ab, das Wirken junger Menschen in Deutschland zu stärken, indem sie ihre Mitsprache im öffentlichen Diskurs fördert, gemeinsame Stadtvisionen entwickelt und Handlungsmöglichkeiten erweitert. Im Fokus steht der Do-It-Yourself Ansatz als Beitrag zur eigenständigen Mit-Gestaltung.
Urbane Governance
Alle zwei Jahre werden junge Menschen zwischen 17 und 27 Jahren über einen Projektaufruf für die Urbane Liga ausgewählt. Der Jahrgang 2020/21 besteht aus 25 Projekten von 41 Stadtmacher*innen. Sie treffen sich zwei Mal pro Jahr in Berlin, um relevante Fragestellungen der Stadtentwicklung zu bearbeiten und diese mit dem Bundesbauministerium zu diskutieren. Im Juni 2021 trafen sie sich mit Staatssekretärin Anne Katrin Bohle aus dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Die Teilnehmer*innen berichteten von ihrem Projektalltag, wie u. a. „bunterbeton“ von ihrem Podcast über kulturelle Stadtentwicklung, der Verein Mikropol e.V in Hamburg Rothenburgsort, von seinen Visionen für die ehemalige Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und der Verein FACK e.V., Futurist’s Agency for a new cultural kick-off, von seinem Engagement für Jugendliche im Landkreis Altenburg. Das dritte Denklabor des aktuellen Jahrgangs fand im September statt – zum ersten Mal als Treffen in Berlin. Bisher war dies wegen der Pandemiesituation nur digital möglich. Im Herbst und Winter werden die Teilnehmer*innen dann die Forschungsergebnisse erarbeiten.
Der zweite Jahrgang 2020/21 legt mit dem Schwerpunkt „Urbane Governance“ den Fokus auf ein neues Rollenverständnis und geteilte Verantwortung zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Während der Begriff Government für das traditionelle Lenken einer Gesellschaft über eine „top-down“ funktionierende Regierung steht, drückt der Governance-Begriff eine gemeinsame Steuerung unter Beteiligung der Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit aus. Kurz gesagt bedeutet das: mehr „selbst machen“ in neuen Akteurskonstellationen. Dazu gehören die Kooperation auf Augenhöhe, lokale Mitbestimmung, der Abbau von Barrieren in der Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung oder die Förderung von Bottom-up-Prozessen.
Ko-Forschung
Die Zusammenarbeit zwischen jungen Stadtmacher*innen und Verwaltungen ist nicht immer einfach. Deshalb versucht die Urbane Liga, die Prozesse und Entscheidungsstrukturen von Verwaltungen zu verstehen und Hindernisse sowie ungenutzte Ermessensspielräume aufzuzeigen. Der Status quo verdeutlicht, dass Verwaltungen aufgrund ihrer Organisationsstruktur und ihres definierten Auftrags oftmals wenig Spielraum haben, um auf die Belange junger Stadtmacher*innen oder anderer zivilgesellschaftlicher Aktive einzugehen. Es bestehen Kommunikationsbarrieren zu den jungen Akteur*innen, die ihr Lebensumfeld gestalten wollen und dabei manchmal unkonventionelle Wege beschreiten, die schwer mit starren Handlungsrahmen vereinbar sind. Zudem ist die Teilhabe beispielsweise dann erschwert, wenn digitale Schnittstellen fehlen, durch die junge Menschen ihre Ideen und konkrete Verbesserungsvorschläge einbringen können. Hierzu sagt Jule Arden, Teilnehmerin des aktuellen Jahrgangs aus dem Projekt Minha Galera: „Große politische Ziele kommen scheinbar nicht auf der Verwaltungsebene zum Tragen. Das zeigt die Erfahrung sozio-kultureller Initiativen, die regelmäßig eine Absage der verschiedenen Ämter auf Unterstützungsanfragen erhalten. Diese fördern oder kooperieren in der Regel nur projektbezogen, nicht aber strukturell.“
Um zu diesen und anderen Themen neue Ansätze zu erarbeiten und mit der Fachöffentlichkeit zu diskutieren, haben BMI und BBSR für die Urbane Liga ein Budget für Ko-Forschungsprojekte eingerichtet. Sie werden, wie der Name schon sagt, gemeinschaftlich in Gruppen ausgeführt. Die Forschungsteams des ersten Jahrgangs 2018/2019 beschäftigten sich unter anderem mit der Vereinfachung des Baurechts: Ein prozessuales Baurecht mit sukzessiven Genehmigungen soll einen neuen Umgang der Behörden mit den auf Gemeinwohl ausgerichteten Initiativen gewährleisten. Aktuell untersuchen die Teilnehmer*innen, wie gemeinwohlorientierte Initiativen gleichberechtigt an der Verteilung von öffentlichen Ressourcen beteiligt werden können. Dazu entwickeln sie einen Ressourcen-Kompass. Erforscht wird auch, wie sich marginalisierte Gruppen in städtischen Governance-Strukturen besser repräsentieren können.
Stephanie Haury (BBSR), Leona Lynen (team stadtstattstrand), Anja Röding (BMI)
Stephanie Haury studierte Architektur und Stadtplanung in Karlsruhe (KIT) und Barcelona. In NRW hat sie ein Städtebaureferendariat absolviert. Sie arbeitet als Stadtforscherin und Projektleiterin im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn mit den Schwerpunkten Grün in der Stadt, Bürgerengagement und gemeinwohlorientierte Ansätze in der Stadtentwicklung.
Leona Lynen hat Südasienstudien, Politische Ökonomik und Urbanistik in Heidelberg, Delhi und London (LSE) studiert. Außerdem absolvierte sie die School for Design Thinking in Potsdam. Sie ist Vorständin der ZUsammenKUNFT Berlin eG und Partnerin beim Team stadtstattstrand. Sie beschäftigt sich mit der kreativen Nutzung von Freiräumen in der Stadt, Ko-Produktion und nutzergetragenen Stadtentwicklung.
Anja Röding ist Referentin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Sie ist dort im Referat Stadtumbau und Transformation u.a. mit dem Städtebauförderungsprogramm Wachstum und nachhaltige Erneuerung und der Mitwirkung junger Menschen in der Stadtentwicklung beschäftigt. Sie hat Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin studiert.
Werkzeugfächer der Mitgestaltung
Der erste Jahrgang der Urbanen Liga beschäftigte sich mit innovativen Formaten der Beteiligung und ging der Frage nach, wie Menschen zur Mitwirkung im eigenen Lebensumfeld angeregt werden können. Die Ergebnisse stellten sie im Werkzeugfächer der Mitgestaltung zusammen: Er enthält verschiedene Möglichkeiten der Beteiligung in Stadtentwicklungsprozessen. Asamblea oder Volksbegehren – dies sind nur zwei der auf über 70 Fächerseiten gesammelten Formen der Teilhabe, die helfen sollen, sich als Stadtgestalter*in in Prozesse einzubringen. Die Methodensammlung bietet kommunalen und zivilgesellschaftlichen Stadtmacher*innen eine zugängliche Übersicht. Der Fächer ist in einem Crowdsourcing-Prozess entstanden, in dem eine Vielzahl an Werkzeugen der Mitgestaltung in der Stadt gesammelt und nach Durchführbarkeit bewertet wurde.
Zielgruppe: für kommunale Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung als erfrischende Inspiration; für Stadtmacher*innen als Wissenspool und Inspiration; für den Jahrgang 2018/2019 der Urbanen Liga als Referenz und Reflexion
Ziel: Vermittlung von Alternativen zu klassischen Beteiligungsformaten
Der Werkzeugfächer kann als PDF unter
www.urbane-liga.de heruntergeladen werden
Akteur*innen der Urbanen Liga 2020/21
ADAPTER e.V., Stuttgart, www.adapter-stuttgart.de
Bunterbeton, Dortmund/Kassel, www.bunterbeton.org
Care for Democracy, Regensburg,
transformation.d.sign@gmail.com
Club Loko, www.Instagram.com/club.loko
Donut Koalition, Berlin,
www.linkedin.com/gruops/8978920
Gazette Alternative Housing 1x1, Weimar
Jugendforum Altenburger Land, Altenburg,
myrequest@valentin-ruehlmann.de
Kollektiv Anzetteln, Berlin,
www.instagram.com/kollektiv_anzetteln
Lab for digital participatory urbanity, Berlin,
www.ldpu.org
Mikropol, Hamburg, www.mikropol.de
Minha Galera e.V., Köln, www.minhagalera.de
Mitte Urban Playground, Kiel, www.mittekiel.de
Netzwerk Immovielien e.V., Berlin,
www.netzwerk-immovielien.de
Niehler Freiheit e.V., Köln, www.niehlerfreiheit.de
Peloton e.V., Göttingen, www.peloton-ev.de
Pops Maps, Köln, popsmaps@web.de
Projektraum Coi, Bernburg, www.hs-anhalt.de/coi
Radentscheid Freising, www.radentscheid.infreising.de
Rückkehr auf’s Land, Bad Münstereifel / Aachen,
www.instagram.com/rueckkehraufsland
Second Attempt e.V., Görlitz, www.rabryka.eu
Stadtmenschen Altenburg,
www.stadtmenschen-altenburg.org
Stellwerk, Offenbach,
www.stellwerkoffenbach.wordpress.com
Torhaus Berlin e.V., www.torhausberlin.de
Vorhang auf Giesing!, München,
www.vorhangaufgiesing.de