Büro- und Geschäftshaus, Hamburg
Schmale, dunkelrot glasierte Tonziegel-Lisenen, im Zweitbrandverfahren hergestellt, prägen die Fassade
des Büro- und Geschäftshauses in der Hamburger Innenstadt. Geschickt fügt sich der Neubau von Architekt André Poitiers mit seiner skulpturalen Fassade in das dichte, sehr heterogene und zum Teil unter Denkmalschutz stehende städtebauliche Umfeld.
„Wir haben das an unendlich vielen Modellen ausprobiert“, beschreibt Architekt André Poitiers die Formfindung des Büro- und Geschäftshauses. Die städtebauliche Situation konnte nicht schwieriger sein: Das neue Büro- und Geschäftshaus fügt sich ein in ein Ensemble aus ganz unterschiedlichen Bauten. Zum einen grenzt es an einen achtgeschossigen Bürobau mit einer Rasterfassade und grünen Glaslamellen, zum anderen an das denkmalgeschützte Broschek-Haus, dessen dunkelrote Klinkerfassade von Fritz Höger aus dem Jahr 1926 stammt. In den Jahren 1979 − 81 ergänzten und rekonstruierten die Architekten von Gerkan, Marg und Partner (GMP) die Fassade nach den Plänen Högers und banden sie in den benachbarten Komplex des Hanse-Viertels ein.
„In der Nachkriegszeit gab es Pläne, den Straßenzug „Hohe Bleichen“ zu einer vierspurigen Straße auszubauen, der von der Ost-West-Straße (der heutigen Willy-Brandt-Straße) bis zum Dammtorbahnhof führen sollte. Diese Pläne scheiterten jedoch an den Besitzverhältnissen und am Widerstand der Eigentümer“, fährt der Architekt fort. „Die Architekten GMP bauten dann Ende der Siebziger das Hanse-Viertel und formten es im nördlichen Bereich der „Hohe Bleichen“ zu einer Art Platzkante. Unser Gebäude bildet nun das Pendant und schließt den neu gestalteten Platz nach Süden ab, indem der Baukörper sich oberhalb des Erdgeschosses in den öffentlichen Raum dreht.“ Durch die Drehung ist vor dem Broschek-Haus ein zweiter Platz entstanden, der von den Anrainern sehr gut angenommen wird. Wie eine kleine „Oase in der Stadt“, mit Bäumen und Bänken bestanden, kann man bei gutem Wetter dort seine Mittagspause im Freien verbringen. Da der öffentliche Raum beim Neubau im Bereich des Erdgeschosses frei bleiben musste, kragen die darüber liegenden Geschosse aus. Um die Auskragung stützenfrei zu ermöglichen, wurden zwei Stützenstränge über Zugglieder diagonal zur benachbarten Stützenachse über fünf Geschosse abgehängt.
Die Nachbarn
Mit weißen, horizontalen Fassadenlinien aus Stahlbetonfertigteilen gehen die Planer auf die unterschiedlichen Trauf- und Geschosshöhen der Nachbarbebauung ein. Zwischen diesen geschwungenen hellen Linien rahmen vertikale, rote Keramiklamellen mehrere Bürogeschosse und binden diese optisch zusammen.
Hinter den Lamellen befindet sich eine Pfosten-Riegel-Fassade mit geschosshohen Fassadenelementen und Öffnungsflügeln, deren Öffnungsweite zur Absturzsicherung begrenzt ist. Um den Eindruck der „durchlaufenden roten Lamellen“ zu verstärken, sind die Geschossdecken hinter den Lamellen mit Fassadenelementen aus dunklem Granit verkleidet. „Mit den 75 cm tiefen Lamellen reagieren wir auf die denkmalgeschützte Fassade des Broschek-Hauses“, erklärt Architekt Poitiers und weist auf die markanten, gemauerten Risalite der Höger-Fassade. „Zunächst wünschte die Denkmalbehörde im Neubau eine Lochfassade wie beim Broschek-Haus. Aus Kostengründen wurde es dann eine Pfosten-Riegel-Konstruktion.“
Ursprünglich hatten die Planer grün-glasierte Lamellen als Komplementärfarbe zu den dunkelroten Ziegeln des Nachbarn ausgewählt. Das Rot war Wunsch des Oberbaudirektors. „Wir wollten eigentlich ein Racing-Green“, bemerkt Poitiers schmunzelnd.
Fassadenkonstruktion
Die mit Keramik verkleideten Lisenen verdecken die Koppelpfosten der Pfosten-Riegel-Fassade. Eine besondere konstruktive Herausforderung war die Zusammenführung der verschiedenen Bauteile im Bereich der schmalen Betondecken: Befestigungskonsolen für die Lisenen, Isokörbe für die auskragenden, weißen Betonteile, Anker für die vorgesetzten dunklen Natursteinfassaden und die Zargenanschlüsse und Abdichtungen für die Fensterelementkonstruktionen mussten hier auf engstem Raum angebracht werden. Gebäudebewegungen und Ausdehnmöglichkeiten der verschiedenen Elemente waren ebenfalls zu beachten. „Wir haben die Fugen bewusst als Gestaltungselement eingesetzt, indem wir sie noch ein wenig übertreiben“, erklärt der Planer.
Die großformatigen Keramikelemente sind an einer Stahl-Unterkonstruktion befestigt, die mit Ankerplatten an den Geschossdecken bzw. über Bolzen auf den weißen Stahlbetonfertigteilen befestigt sind. Der Sonnenschutz im Bereich der Keramik-Lisenen wird hinter den Natursteinverkleidungen in verdeckt liegenden Schienen geführt. Im Staffelgeschoss dagegen liegen die an Seilen geführten Aluminium-Raffstore-Anlagen sichtbar vor den Glasfassaden.
Keramikelemente
Von weitem wirken die roten Keramik-Lisenen wie aufgefädelte „Keramik-Lamellen“, die die Fassadenrundung betonen. Erst bei näherer Betrachtung entdeckt man, dass es sich um mehrere, übereinander angebrachte Terracotta-Blenden handelt, die sich nach vorne verjüngen und so wie „Keramik-Schwerter“ wirken. Die verwendeten Keramikelemente werden im Strangpressverfahren mit Hilfe einer individuell hergestellten Extrusionsform gefertigt und nach dem Trocknungsprozess zunächst unglasiert gebrannt. Nach diesem Erstbrand ist es möglich die „Tonscherben“ zu schneiden, sodass exakte, saubere Kanten entstehen. Erst danach wird eine speziell entwickelte Effektglasur auf die Elemente aufgebracht und ein zweites Mal gebrannt. Dadurch erreicht man Fassadenelemente in außerordentlicher Qualität. Die Glasuren im Zweitbrandverfahren wirken farblich besonders brilliant.
Mittlerweile gibt es eine große Auswahl an Glasuren, transparente, opake oder auch undurchsichtige. Als Schmelzglasuren, niedrig schmelzend bis zu 1 200 Grad, führen Oxide und ihre Anteile zu speziellen, individuellen Kunst- und Effektglasuren. „Das Feld ist weit. Wir hatten eine große Auswahl von Proben, aus denen wir wählen konnten“, meint Architekt André Poitiers. Die Firma, die die Keramikelemente herstellt, ist internationalt tätig und verfügt über große Erfahrung. In Kooperation mit Bauherrn und Architekten werden dort ganz individuelle Formen, Farben und Oberflächen entwickelt.
Ausgezeichnet
Das Büro- und Geschäftshaus in der Hamburger City besticht von der städtebaulichen Setzung bis zur perfekten Fügung im Detail. Nicht zuletzt deshalb erhielt der Neubau 2016 einen Architekturpreis des BDA Hamburg. Die Jury urteilte: „Das mehrgeschossige, neue Büro- und Geschäftshaus ist markantes Zeichen an einer prägnanten Stelle in Hamburgs Innenstadt. Die Kunst der Fügung eines neuen Stadtbausteins an höchst unterschiedliche bauliche Nachbarn wird virtuos bauplastisch und bis ins Detail zelebriert. Eine offene und einladende Sockelzone belebt den öffentlichen Raum, zwei mit keramischen vertikalen Lamellen strukturierte Obergeschosszonen binden geschickt – ebenbürtig in Material und Dimension – das backsteingeprägte Broschek-Haus ein, und die beiden leicht gegeneinander verschobenen Dachgeschosse vermitteln gekonnt zum achtgeschossigen Nachbargebäude an den Hohen Bleichen. Mit einer hohen gestalterischen Qualität und einer eigenständigen und kraftvollen Erscheinung fügt sich dieser Neubau sehr maßstäblich in das heterogene Ensemble und verleiht dem Quartier einen identitätsstiftenden neuen Stadtbaustein.“ Susanne Kreykenbohm, Hannover
Baudaten
Standort: Hamburg
Typologie: Büro- und Geschäftshaus
Bauherr: BECE Real Estate GmbH & Cie. KG,
Hamburg, Dr. Detlev Broszehl
Projektleitung: Projektwerke Hamburg Immobilienentwicklung GmbH & Co. KG, Hamburg, Hr. Klaus Engelbrecht-Schnür, www.projektwerke-hamburg.com
Nutzer: Einzelhandel im EG, Büros in den OGs, Parkflächen im 1. UG, Technik- und Lagerflächen im 1. und 2. UG
Architekt: André Poitiers Architekt Stadtplaner RIBA, Hamburg, www.poitiers.de
Mitarbeiter (Team): Hannah Gloyer, Anna Allenstein, Gesa Brink, Katharina Burchard, Sebastian Gäbler, Sabine Hertel
Bauleitung und Ausführungsplanung: Planwerkeins Architekten Hamperl + Eckert PartGmbH, Dipl. Ing. Joachim Eckert, Hamburg, www.planwerkeins.de
Generalunternehmer: Köster GmbH, Osnabrück, www.koester-bau.de
Bauzeit: September 2012 – September 2014
Fachplaner
Tragwerksplaner: Ingenieurbüro Dr. Binnewies Ingenieurgesellschaft mbh, Hamburg,
TGA-Planer: Wrage Herzog + Partner Ingenieure, Mölln, www.wrage-partner.de
Fassadentechniker: Prof. Michael Lange Ingenieurgesellschaft mbH, Hannover, www.pml-lange.de
Landschaftsarchitekt: Arbos Freiraumplanung GmbH & Co. KG, Hamburg, www.arbos-online.de
Elektroplaner und Energieberater: IPP Ingenieure –Ingenieursbüro Plegge Plantener GmbH, Hamburg, www.plegge-plantener.de
Brandschutzplaner: HHP Nord/Ost – Beratende Ingenieure GmbH, Braunschweig, www.hhp-nord-ost.de
Verkehrsplaner: Masuch und Olbrisch - Ingenieurgesellschaft für das Bauwesen mbH, Oststeinbek,
www.moingenieure.de
Projektdaten
Grundflächenzahl: 0,91
Geschossflächenzahl: 4,0
Nutzfläche gesamt 4 700 m²
Nutzfläche: 3 710 m²
Technikfläche: 480 m²
Verkehrsfläche: 510 m²
Brutto-Grundfläche: 6 150 m²
Brutto-Rauminhalt: 20 820 m³
Baukosten
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 135,99 kWh/m²a nach EnEV 2009
Endenergiebedarf: 71,26 kWh/m²a
Strom-Mix: 36,68 kWh/m²a nach EnEV 2009
Hersteller
Fassade (Keramik Lisenen): NBK Keramik GmbH, www.nbkterracotta.com
Türen/Tore: Hörmann, www.hoermann.de
Sprinkleranlage: Tyco, www.tyco.de
Heizung: Arbonia, www.arbonia.de; Oventrop,
www.oventrop.com
Lüftung: Rokaflex, www.rokaflex.de; Wildeboer,
www.wildeboer.de; Helios, www.heliosventilatoren.de
Zutrittssysteme: Siedle, www.siedle.de
Sanitär: Duravit, www.duravit.de; d Line,
www.dline.com; Hansgrohe, www.hansgrohe.de; Stiebel Eltron, www.stiebel-eltron.de
Beleuchtung: ERCO, www.erco.com; BEGA,
www.bega.de
Trockenbau: Fermacell, www.fermacell.de
Außenbeleuchtung: BEGA, www.bega.de
2 Stahlunterkonstruktion
3 Dampfsperre
4 Hohlraumboden
5 Betonkernaktivierung
6 Rundstütze Stahlbeton
7 Lisene
8 Natursteinverkleidung
9 Winkel zur Fensterbefestigung