Nachhaltige Reste
Geschäftshaus Große Bleichen 34, Hamburg

Es geht heftig zu in bundesdeutschen Innenstädten wie Hamburg oder München. Irgendwie ist Endzeitstimmung aufgekommen, der Kampf um die endgültige Verteilung von Grundstücken scheint anzustehen. Das könnte eine Chance für die Neuordnung der Cities sein. Könnte. In Wahrheit ist es eine Bedrohung.

Wer sich in diesem Monaten in der Nähe der Münchner Residenz aufhält, trifft auf hohle, abgestützte Mauern. Den Inhalt dahinter haben sie verloren, denn dort wird für Passagen, Büros und anderes neu aufgerüstet. In Hamburg macht man sich normalerweise nicht einmal mehr die Mühe, Fassaden zu erhalten. Warum auch, es sind häufig die vermeintlichen Scheußlichkeiten der 1950er und 1960er Jahre, die jetzt in die Rente geschickt werden. Das ist nicht immer gerechtfertigt, denn die alten Bauten haben an Proportionen und Maßstäbe erinnert, die für die historische Bürgerstadt stehen. Es herrscht in Sachen Stadtumbau in der Hamburger City Alarmstufe Gelbrot, und deswegen muss man jene Beispiele besonders ins Auge fassen, die Auswege aus dem Dilemma versprechen – so wie hier.


Was fand man vor?

In der Hamburger Innenstadt in unmittelbarer Nähe zum Hanseviertel, gegenüber des Ohnsorgtheaters befand sich aus der Zeit nach dem Großen Brand von 1842 ein Vierfensterhaus mit Putzfassade, das mit der ganzen Harmlosigkeit jener Jahre aus Hamburgs Baugeschichte erzählt. Dort hatte lange der Kunstsalon Louis Bock & Sohn, sein Domizil. Trotz schlechter Nachkriegsreparaturen, Schwammbefall und erheblicher konstruktiver Probleme durch Setzungen war die Unterschutzstellung der Fassaden und anderer nicht beschädigter Teile der historischen Bausubstanz im Inneren, gerechtfertigt, und zwang den Architekten vor allem aber den Investor, die Fassade zu sichern; sie wurde schließlich mit einer Stahlcorsage versehen, durch Spritzbeton stabilisiert, in drei Segmente geteilt und baustellennah zur Restaurierung zwischengelagert.

Die Straßenfassade: artifiziell zitiert

Mit diesem Projekt gelangen bei der Restituierung mindestens zwei Dinge . Vorn an der Straße wird der Gedanke an Block und Parzelle in der alten Maßhaltigkeit konserviert. Dabei sind die Veränderungen kräftig, denn die alte Fassade, die wie ein Puzzle wieder zusammengesteckt wurde, stellt nur noch eine museale Insel der Front ein. Sie wird seitlich, auch im Bereich der historischen denkmalgeschützten Bestandsfassade, durch eine Schattenfuge aus Blech wie ein „Passepartout “, behandelt, erklärt André Poitiers, der Entwurfsarchitekt. Vertikal werden die „erhaltenen“ drei Geschosse mit neuen Fenstern ohne Sprossungen und abstraktem Dekor durch ein neues Erdgeschoss, zwei Obergeschosse und ein Staffelgeschoss liebevoll eingerahmt. „Die horizontalen Stuckelemente an der oberen Trennlinie zwischen alt und neu sollen artifiziell zitiert werden“, sagt André Poitiers zur Vorgehensweise der Rekonstruktion. „Sämtliche Bauteile sind eindeutig der Historie beziehungsweise der Gegenwart zuzuordnen“. Die filigranen Stahlsäulen aus dem modernen Eingangsgeschoss besitzen deswegen nur einfache, schmucklose Kapitelchen. Trotzdem bilden Alt und Neu eine gut abzulesende Einheit: Ein scheinbar überkronter neuer Zahn, der in Wirklichkeit ein Inplantat ist und doch im alten Kiefer der Stadt nicht als Fremdkörper wirkt.

Auch vom Kaufmannshaus aus 100 m Entfernung gesehen, beweist sich der Umgang mit der Aufstockung als richtig: mit minimalistischen Mitteln ergänzen, sich durch die Positionierung der Traufkanten und Versprünge ­gegenüber dem Hanseviertel behaupten. Poitiers konterkariert die backsteinerne Kubenkomposition des Hanseviertels mit einer Glasfassade in einer Pfosten-Riegel-Konstruktion.


Moderne Kubatur, die von unten nach oben und von vorn nach hinten wirkt

Das Baurecht, und damit die neue Kubatur des gesamten Projekts basiert auf dem neustädtischen Bebauungsplan von 1957 und den notwendig einzuhaltenden Abstandsflächen. Aber nun wird es spannend und dies ist der zweite wesentliche Mehrwert für die City: Das Haus hat nicht nur eine Front, sondern stößt in den Rückraum, thematisiert auch das Bauen im Block und der neu Baukörper treppt sich in den Hof herab. Die historische, kleinteilige Nutzung der Gründerzeit-Innenhöfe hatte den ­Effekt, dass auch ärmere, also z.B. Kleinbetriebe gute Lagen nutzen konnten. Später galt genau diese starke Dichte
als obsolet, die Blöcke wurden entkernt. Hier nun, wird ein Innenhof wieder neu entdeckt, ohne ihn zu zerstören, denn mit dem Neubau des Hanseviertels war vor etwa 30 Jahren eine besondere Hofsituation entstanden. Die gesamte Fläche wird von den Passagenläden eingenommen, das Dach ist für die Versorgung des Einkaufszentrums, eines Hotels im historischen Broschekhaus (Fritz Höger) und andere Anlieger befahrbar. Diagonal durch den Hof verläuft die gläserne Dachtonne über den Passagen und gipfelt in zwei Kuppeln. In diesen ordentlichen Hinterhof ragt jetzt das „Hinterhaus“ von der Großen Bleichen 34 hinein, verstaffelt sich, liefert eine riesige Terrasse und ein Prime Office als Penthouse. Das Ganze minimalistisch und akribisch komponiert, unaufwendig mit Standardprofilen vom verlässlichen Marktführer. Bei Bürohäusern in der Hamburger City geht es um die Adresse, es bedarf also keiner Salti und gestalterischer Experimente. Poitiers hält sich an einen stilistischen Minimalismus, umfasst hier nur den Raum fast immateriell ein und macht modernen Büroraum daraus.


Konzentrierte Zurückhaltung im Kontor

Hamburger Kontorhäuser gaben sich schon immer zurückhaltend in der Ausstattung-heute sagen die Architekten Low-Budget-Planung dazu. Diese Vorgabe galt auch hier, aber die Entrees und öffentlichen Treppenhäuser sind wie beim historischen Kontorhaus mit Witz und Überlegung gemacht, das betrifft den Edelstahl-Aufzug genauso wie die Normbriefkästen, die besonders schick auf die Reihe gebracht werden. Es bedeutet Schattenfugen und Natursteinböden, und die Pfosten-Riegelfassade wirkt innen genauso ordnend wie außen. Der außen liegende Sonnenschutz liegt plan eingespannt in der Fassade. Das gönnt sich der Architekt. Die Details von den Türdrückern bis ­
zu den Sanitärobjekten sind alte Bekannte von oberem Designlevel, weit­gehend schon klassisch zu nennen. Das macht man eben in Hamburg so.

Mag man auf dem ersten Blick fragen, wo ist das wirklich Neue-das kennen wir doch?! Dann lautet die Antwort: Das Neue für den Stadtumbau des 21. Jahrhunderts in der Hamburger City heißt:

Es geht auch so! Mit den Mitteln von heute technisch sauberen attraktiven Bürobau schaffen und den alten stadtbildnerischen Geist aufnehmen. Seit den frühen 1990er Jahren mit den Beispielen des Umbaus der alten Zeise-Fabrik in Ottensen hat sich in Hamburg einen mutigen, aber konzentrierten Umgang mit alter Bausubstanz angeeignet. Es war hier nicht mehr viel Schützenswertes vorhanden, aber der glückliche Rest wirkt weiter – nachhaltig – und das ist gut so! Dirk Meyhöfer, Hamburg

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