Ein überraschendes Quartier
Ein Gespräch mit André Poitiers in Berlin, www.poitiers.de

Wir treffen uns auf dem Gelände, für das das Büro André Poitiers, Hamburg, den 1. Preis beim städtebaulichen Planungswettbewerb „EUROPACITY Berlin, Stadthafenquartier Süd“, für ein innerstädti­sches Wohnquartier gewonnen hat. Seit geraumer Zeit macht Euer Büro nicht nur mit Einzelbauten von sich reden. Nun rückt der städtebauliche Aspekt in den Vordergrund. Nach dem 1. Preis im Wettbewerb „Mitte Altona“ als städtebaulicher und landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb nun ein weiterer 1. Preis „EUROPACITY Berlin, Stadthafenquartier Süd“. Ist der städtebauliche Entwurf nun eine Spezialisierung des Büros?

AP:
Im Gegenteil. Das Pendel schlägt zurück: Nachdem sich Architek­ten erst spezialisiert haben, werden sie nun wieder zu Generalisten. Das gilt auch für unser Büro. Wir übernehmen ganz kleine Aufgaben bis zu städtebaulichen Großprojekten, wir kümmern uns um grundsätzliche Designfragen und um Einzelprojekte. Mit der Erfahrung, die wir mittlerweile in städtebaulichen Belangen haben, werden wir als Hamburger Büro natürlich zu städtebaulichen Wettbewerben eingeladen. Uns ist es wichtig, den Spagat zu schaffen zwischen der Vielfältigkeit der Aufgaben und der Einheitlichkeit unserer Handschrift. Die ethischen Ziele, die Haltung zur Aufgabe, ob groß oder klein, sind ­immer die gleichen.


Ihr habt bei dem Wettbewerb „EUROPACITY Berlin, Stadthafenquartier Süd“ von den geladenen, acht namhaften Architekturbüros den 1. Preis gemacht. Was bewegt das Büro in dem Augenblick, wenn man gegen namhafte Büros gewinnt?

AP: Der Wettbewerb ist natürlich kein Einzelerfolg, sondern wir haben das im Team mit durchschnittlich acht Leuten gemacht. Der Gewinn hat uns sehr gefreut und auch stolz gemacht. Es ist aber auch das Ergebnis einer Entwicklung dieses Büros. In den neunziger Jahren haben wir zusammen mit der Avantgarde Gruppe Berlin, also mit Sauerbruch Hutton, Grüntuch-Ernst, Barkow-Leibinger, Leon-Wohlhage, städtebauliche Visionen entworfen. Jeder hatte seine eigenen Ideen, Ansätze sowie innovative Impulse und verfolgte diese dann weiter. Heute werden wir gemeinsam mit diesen oder auch anderen namhaften Büros zu städtebaulichen Wettbewerben eingeladen.


Was heißt das eigentlich, wenn ihr Euren Entwurf mit „Kerngedanke ist es, ein „Stück Berlin“ zu schaffen, das an die städtebauliche Gliederung Berlins anknüpft und seine Atmosphäre und den urbanen Charakter widerspiegelt“ charakterisiert?

AP: Das „Stück Berlin“ ist ganz einfach: Wir haben die Struktur des Berliner Blocks studiert und analysiert. Der Berliner Block hat sich ja bewährt, wir haben ihn daher als städtebauliches Modul genutzt und ihm eine moderne Struktur gegeben. Auf diese Weise schafft man zugleich eine lokale Identität und eine leistungsfähige städtebauliche Struktur.


Dann ist dieses Quartier mit der gewählten Blockstruktur Garant für einen urbanen und lebendigen Charakter im Sinne eines modernen und guten Städtebaus?

AP: Garantien gibt es nicht. Aber die Blockstruktur schafft die beste Voraussetzung, um ein überraschendes und funktionierendes Quartier zu entwickeln. Es handelt sich hier um drei Blöcke, die man ganz unterschiedlich gliedern kann und die sämtliche Arten von Wohnun­gen vorsehen, außerdem verschiedene Höhen und verschiedene Fassaden. Die Vielfältigkeit und die Überraschung macht die Qualität des Quartiers aus. Das wird ein lebendiges Quartier werden, allein durch die verschiedenen Architekten mit ihrer jeweiligen Architektursprache, mit den Brücken und den Grünzügen. Nicht zuletzt wird die Anbindung an die Umgebungsstruktur insgesamt zu einem Quartier mit hoher Urbanität führen. Die Bürger wollen ja ihre Stadt, ihr Quartier, in Besitz nehmen und sich zurechtfinden und wohlfühlen. So sind auch die infrastrukturellen Zwischenräume ganz wichtig: Das, was zwischen den Blöcken liegt, also Wege, Straße, Grünzüge sind mitentscheidend für den Lebenswert des Quartiers.


Was heißt zurechtfinden, ist nicht auch die Gesamtstruktur in der Wahrnehmung wichtig?

AP: Natürlich. Das gesamte Projekt muss mit einer lebendigen Gesamt­höhe modelliert werden. Wenn man ein städtebauliches Quartier weiter durchplant, kommt man automatisch dazu, Höhen anzugeben. Da spielt auch die Höhe der Erdgeschosse und die Nutzung insgesamt eine wesentliche Rolle. Was findet der Nutzer vor, was nimmt er in dem Maßstab wahr, den er aus seiner Fluchtpunktperspektive heraus in seiner Augenhöhe erfährt, wie geht man damit um? Das erfordert sehr präzise Grundlagenforschung.

 

Mit dem Wettbewerb wurde das Ziel verfolgt, eine nachhaltige, identitätsstiftende und unverwechselbare Quartiersstruktur zu finden, die den Ansprüchen an ein lebendiges, innerstädtisches Wohnquartier im Zentrum Berlins gerecht wird. Was macht das bei Eurem Entwurf aus?

AP: Zunächst muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass Berlin eine europäischen Metropole ist, die im Wettbewerb steht mit London, Paris, Barcelona usw.  In solchen Metropolen muss man in Maßstäben planen, was die Belange der Nutzer und Bewohner betrifft, man muss Grünflächen implantieren, die Privatsphäre wie auch die Grünachsen der Umgebung in das Quartier hineinziehen. Die Blockstruktur, die wir gewählt haben, ist sehr leistungsfähig. Hier tragen alle involvierten Kollegen dazu bei, dass eine Architekturlandschaft entsteht. Rund 90 Büros haben sich beworben, von denen werden 20 ausgewählt, die in einem Werkstattverfahren einzelne Bauabschnitte bekommen. Wir als 1. Preisträger bauen ohnehin einen Teil und werden zusammen mit den Kollegen Blocks bauen. Die gemeinsame Aufgabe ist es, der zentralen Lage in Bahnhofsnähe gerecht zu werden.


Das Teilgebiet „Stadthafenquartier Süd“ bildet den ersten Realisierungsbaustein der Wohnareale in der „EUROPACITY Berlin“, einem der größten zentralen Entwicklungsgebiete der Hauptstadt. Welchen  städtebaulichen Einfluss hat das Gesamtgebiet auf das Teilgebiet?

AP: Beim Städtebau spielen in die Planungen immer die existieren­den Parameter der Umgebung, die Achsen, der historische Kontext und vielfältige Schichtungen des Gesamtumfeldes hinein. Daraus werden städtebaulichen Ideen entwickelt, und zwar auf Grundlage des Masterplans des Büros astoc.

 

Anders als bei den anderen Wettbewerbsentwürfen gibt es bei Eurem Entwurf eine unübersehbare, städtebauliche Akzentuierung am Stadthafen im Nordwesten wie am Kunstcampus im Südosten. Ihr habt jeweils einen architektonischen, elfgeschossigen Hochpunkt als Vertikale gesetzt. Ist so eine Eingrenzung nicht auch gleichzeitig Ausgrenzung in den Übergängen zum restlichen Masterplangebiet?

AP: Die Idee war, das Teilquartier auch an den Eckpunkten als Gebiet mit den drei Blocks zu markieren. Wir sind aber den Empfehlungen des Preisgerichts gefolgt und haben den Hochpunkt nahe des Hamburger Bahnhofes ein Stück runter genommen und die Blockstruktur etwas verdichtet. Das sind punktuelle Nachbearbeitungen. Der andere Hochpunkt ist städtebaulich wichtig und steht auch im Kontext zu dem Total Hochhaus von Barkow-Leibinger nahe dem Hauptbahnhof.

 

Was sind die nächsten Schritte, wie geht es weiter?

AP: Das Projekt wird realisiert. Die Auslobung für das Workshopverfahren ist raus und ich habe insgesamt ein gutes Gefühl. Ich kenne die beteiligten Büros und weiß, dass die Zusammenarbeit in angenehmer Atmosphäre zu einem richtig guten Ergebnis führen wird.

 

Letzte Frage. Ist es eigentlich für einen Städteplaner ein schönes Gefühl zu erleben, wie die Menschen, die Bürger, ein Quartier in Besitz nehmen, wie das, was man geplant hat, einfach gut funktioniert und ankommt, und nimmt André Portiers eigentlich seine Architektur ­selber auch in Besitz oder schaut, wie sie von den Bürgern in Besitz genommen wird?

AP: Ja, ich freue mich wirklich sehr, wenn die geplante Vision Wirklichkeit wird. Ich genieße das in Hamburg, zum Beispiel am Jungfernstieg, den wir umgeplant haben. Die Bürger und auch die Be­sucher nehmen diesen richtig in Besitz. Da sind an manchen Tagen tausende von Menschen, die diesen Ort, das Umfeld, genießen. Das macht mich zufrieden, fast ein wenig stolz…



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