Das Büro als Sehnsuchtsort
DBZ Heftpartner Martin Henn, HENN, BerlinBei Arbeitswelten geht es um das Individuum und das Kollektiv. Für das Individuum hat sich die Rolle der Arbeit in den letzten Jahrzehnten maßgeblich verändert. Heutzutage suchen Menschen vermehrt nach Sinnhaftigkeit und Identifikation in ihrer Tätigkeit. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung von Work-Life-Balance und mentaler Gesundheit für jede*n zu, welches eine erhöhte Flexibilisierung der Arbeitsmodelle verlangt. Auch die Funktion und Bedeutung des Kollektivs verändert sich: Soziale Welten werden immer vernetzter, die Grenze zwischen privat und öffentlich verschwimmt. Für Arbeitswelten impliziert dies einen Paradigmenwechsel: Im industriellen Zeitalter bedeutete das Kollektiv einen quantitativen Mehrwert in der Arbeitskette – mehr Mitarbeitende in der Fabrik waren unmittelbar mit mehr Produktion und wirtschaftlichem Wachstum verbunden. Im sogenannten digitalen Zeitalter verspricht das Kollektiv wiederum einen qualitativen Mehrwert. Produktivität und Erfolg in der Wissens- und Netzwerkgesellschaft werden neudefiniert; Arbeitsplätze funktionieren als Marktplätze für Ideen, als Identifikationsräume und als Orte der formellen und informellen Zusammenarbeit.
Unser (post-)pandemisches Zeitalter stellt ein Reallabor für Formen des Sozialen dar. Beschleunigt durch die Extremerfahrung der letzten zwei Jahre hat die digitale Arbeit, das Arbeiten im Remote-Office zugenommen, mobile Arbeitsräume ersetzen vermehrt die traditionellen Büroräume. Heute stellt man sich also die Frage: Warum soll ich ins Büro zurückgehen, wenn ich meine Arbeit genauso – und teilweise konzentrierter und zeiteffizienter – ohne persönlichen Kontakt allein über digitale Kommunikationswege erledigen kann?
Sicherlich lässt sich diese Frage nicht pauschal beantworten. Die flächendeckende Verbreitung von digitalen Kommunikationsmitteln macht das physische Miteinander scheinbar obsolet. Doch unsere Erfahrungen – nicht zuletzt in der Pandemie – haben gezeigt, dass das Verlangen nach Face-to-Face Begegnungen nur noch bedeutsamer wird. Denn das Erfahren, das Erleben der Kollektivs braucht Raum – und Räume.
Aufschlussreicher als die Frage nach dem potenziellen Verschwinden des Büros ist vermutlich die nach seiner Weiterentwicklung: Wie werden Menschen in 5, 20 oder 50 Jahren arbeiten? Wie verändern sich Arbeitswelten in der Zukunft?
Architektur verbindet das Individuum und das Kollektiv. Sie bildet eine wesentliche Nahtstelle für die soziale Erfahrung und die Förderung von Kreativität und Innovation. Und genauso verändert und passt sie sich gesellschaftlichen Veränderungen an. In der Zukunft wird die räumliche Dimension immer weiter hybridisiert – eine Verschränkung von analog und digital. Die Raumerfahrung wird immer intensiver von digitalen Technologien durchdrungen. Gleichzeitig wird die gebaute Umgebung intelligenter und reagiert auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen. Schließlich erfolgt eine komplette Verschmelzung beider Ebenen – das Physische ist nicht mehr ohne das Digitale zu denken, und vice versa. Doch wie wir als Menschen in diesem vierdimensionalen Raum interagieren und wie dieser gestaltet werden kann, das gilt es noch zu erschliessen. Damit verändert sich auch der Beruf, die Mission der Architekt*innen: Der physische und der virtuelle Raum müssen als eine gesamtheitliche Erfahrung geplant werden.
Wir glauben an die unersetzliche Authentizität und Magie von realen Interaktionen, wie auch immer diese in der Zukunft aussehen mögen.