Das Erbe wankt, sein Tourismus boomt
Es geht gar nicht ums Vergessen. Auch nicht ums Verdrängen. Es geht um die Frage: Dürfen wir NS-Bauten am Verfallen hindern? Die einen – aktuell die Nürnberger – sagen nein, man dürfe nicht. Es ginge schließlich um Erinnerungskultur, die ohne das physisch Vorhandene, über das hauptsächlich Erinnerung ermöglicht werde, nicht praktikabel sei. Und Mitarbeiter des 2001 vor Ort gegründeten Dokumentationszentrums Reichsparteitagegelände (Arch.: Günther Domenig) fügen dem noch hinzu, dass das Gelände samt der Nazi-Bauten ein Anziehungspunkt ist für Nürnberg-Besucher aus aller Welt.
Genau das aber ist den Gegnern einer bedingungslosen Instandhaltung von gebauter Geschichte ein Dorn im Auge. Sie verweisen darauf, dass das vielfach Ruinöse meist durch Rekonstruktion gerettet werde, denn die Substanz der Bauten für das so genannte Tausendjährige Reich ist miserabel und kaum sanierungsfähig. Damit drohe eine Verkitschung des großspurig Rohen. Die ehemalige Reichsparteitagsstadt sieht das anders, sie möchte ihr Erbe erhalten, auch für die Touristen aus aller Welt. 70 Mio. € soll das kosten, die Hälfte, so Nürnberg, müsse der Bund zahlen, einen weiteren Teil das Land, den (kleinen?) Rest dann sie.
Die 70 Mio. € sind wohl Bestandteil der 270 Projektanträge an das Bundesbauministerium mit einem beantragten Fördervolumen von mehr als 900 Mio. €. Aus diesen hat das Ministerium aktuell in dem neuen Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“
50 Mio. € für „investive und konzeptionelle Projekte mit besonderer nationaler Wahrnehmbarkeit, hoher Qualität, überdurchschnittlichem Investitionsvolumen oder hohem Innovationspotenzial“ bereit gestellt. Das Reichsparteitaggelände ist nicht darunter, dafür aber
2,6 Mio. € für die „städtebauliche Entwicklung und touristische Erschließung“ des ehemaligen olympischen Dorfs in Elstal bei Berlin, ebenfalls eine großflächige Anlage aus NS-Zeit.
Es geht gar nicht ums Vergessen. Auch nicht ums Verdrängen. Es geht eher um die Frage wieviel gruselndes Erbe faschistischer Architektur wir uns leisten wollen, ohne die Mitnahmemechanismen des touristischen Reisens zu gefährden? Be. K.