Das Wichtigste ist die Heterogenität der AnsätzeIm Gespräch mit Marianne Birthler und Wolfram Putz, Lars Krückeberg und
Thomas Willemeit von GRAFT in Venedig

Mit „unbuilding walls“ geht auf der 16. Architekturbiennale das Kuratorenteam Marianne Birthler mit GRAFT der Frage nach, was eigentlich architektonisch, städtebaulich, sozial und kulturell passiert, wenn Mauern gebaut werden. Oder ganz speziell im deutschen Pavillon: Wenn Mauern auf einmal nicht mehr da sind. Ihr Blick geht also auf den ehemaligen Mauerstreifen mit dem Fokus Berliner Stadtgebiet. Dass sie dabei undogmatisch und vor allem ideologiefrei vorgehen, überrascht und führt den Betrachter zu der Frage: Was wollen die eigentlich? Wir haben uns die Ausstellung angeschaut und nachgefragt.

Interviewlangeweile? Könnt Ihr noch etwas sagen?

Thomas Willemeit (TW): Doch, wir können und das auch sehr gerne!

Marianne Birthler (MB): Aber ja, klar, und es kommen auch immer noch neue Fragen … oder neue Antworten!?

Was hat motiviert für Venedig? Unzufriedenheit mit den Vorgängern?

Lars Krückeberg (LK): Nein, überhaupt keine Unzufriedenheit! Es gab durch unsere Arbeit auf dem Mauerstreifen schon mal einen inhaltlichen Bezug – wir haben inzwischen selbst mehrere Projekte dort gemacht, beispielsweise unser Arbeiten und Forschen am Check-Point-Charlie. Dann gab es diesen Augenblick, in dem wir – ich glaube als erste?! – die Zeitengleiche erkannten: 28 Jahre Mauer, 28 Jahre danach ohne Mauer. Die Emotionalität, die dieses Ereignis auslöste, als wir es mit Freunden und Kollegen besprachen, bestärkte uns in der Absicht, diesen Zeitpunkt zu nutzen und unsere Forschungen, unsere Vorstellungen und Aktivitäten rund um das Thema Mauer zu präsentieren. Und zwar mit dem Fokus auf die Nahtstelle, die lange eine Trennlinie war. Und wir wussten sehr früh, dass wir das mit jemandem machen, der kein Architekt ist und der aus dem Osten kommt.

Und die (!) einen generationenverschobenen Blick aufs Ganze hat?

MB: Ich kannte die Jungs ja vorher schon, also vor allem Thomas. Wir  sind Nachbarn und hatten auch schon mal ein gemeinsames Projekt.

TW: Wir haben in der Vergangenheit oft über Bauten auf dem Mauerstreifen gesprochen. Und in diesem Kontext ging es ganz schnell tiefer in die Geschichte, aber auch in die Befindlichkeiten. Es gibt da Fragen wie „Darf man hier überhaupt wohnen?“ Oder „Muss die Geschichte sichtbar bleiben?“ und so weiter.

Aber noch mal und ganz konkret: Wie habt Ihr euch beworben?

LK: Da ist keine Zauberei dabei. Es gab einen Wettbewerb, wir haben uns und unser Thema vorgestellt, von dessen Relevanz wir überzeugt sind. Der Wettbewerb ist zwei-, fast dreistufig: Zuerst wird das Thema vorgestellt, dann gibt es eine engere Wahl, in welcher die Teams Inhalte, Ausstellungsdesign aber auch die Kostenseite darstellen müssen. Und dann gibt es die Bewerbung vor der Jury und die wählt aus.

Gab es über die lange Projektgeschichte wesentliche Änderungen?

TW: Das Ausstellungsdesign, das häufig einem Änderungsdruck unterliegt, kam projektbedingt recht spät. Mit Blick auf das Ausstellungskonzept kann ich sagen, dass das einem Wandlungsprozess unterlegen war ... Aber: wesentliche Änderungen eher nicht, erkenntnisbezogene Weiterentwicklungen ja.

Wofür stehen die hier in der Ausstellung gezeigten Projekte?

TW: Es geht uns darum, über die Auswahl der Projekte die ganze Bandbreite unterschiedlichster Haltungen zum Thema Geschichte und Bauen mit Geschichte abzubilden. Das ist durchaus repräsentativ gemeint für die Fragestellung: Wie und in welcher gebauten Form ist das Land zusammengewachsen?

Konntet Ihr eine ideale, eine reißfeste Nähtechnik ausmachen?

TW: Die Frage sollte man so nicht stellen. Die Frage sollte eher sein, wie viele Realitäten hält eine Demokratie aus? Das war für uns auch das Spannende in der Beobachtung dieses Raums, dass zunehmend unterschiedliche Haltungen zugelassen wurden.

LK: Das Schöne bei diesen 28 ausgewählten Projekten ist doch, dass sie ein wirklich großes Spektrum aufmachen. Das gesamte Spektrum von so unterschiedlichen Bauaufgaben Potsdamer Platz bis hin zum Mauerpark. Und wenn jemand behauptet, dass er weiß, was das Richtige ist, dann ist er nicht nur auf dem Holzweg. Es bestünde auch die Gefahr, dass Berlin nicht die Stadt der Freiheit geworden wäre, mit der sich sich gerne selbst labelt.

Welche planungsrechtlichen Einschränkungen gab es für das Gebiet?

MB: Das war ja gerade das Besondere: Es gab keine! Was es gab war kreativer, teils auch anarchischer Wildwuchs …

LK: Also es gab keine Masterplanung … Es gab Vorschläge für den Todesstreifen, aber es konnte sich hier keiner in umfassender Weise durchsetzen. Nicht wenige Projekte, ich glaube fast alle, sind zu ganz verschiedenen Zeiten an ganz verschiedenen Orten gekommen. Das war ein Prozess. Am Anfang, das haben wir auch in den Interviews erfahren, die Teil unserer Ausstellung sind, stand meist der Wunsch nach dem Vergessen. Aber noch mal zum Planungsrechtlichen: Der Plan und die Regeln müssen immer interpretiert werden, sonst enden wir im Dogma und das ist dann das Ende für die Stadt.

Schönes Stichwort: Frau Birthler, das Dogma war in der DDR fester Lebensbestandteil. Hat Sie das angetrieben, hier mitzumachen?

MB: Mein Andockpunkt war ja weniger das Gebaute sondern viel allgemeiner die Frage, wie heilt dieses Land? Welche Brüche haben wir zu bewältigen, welche Differenzen gibt es immer noch zwischen Ost und West? Hinzukommt, dass jede Mauer zwei Seiten hat. Und ich habe durch meine Erfahrungen, beispielsweise durch meine Tätigkeit im Beirat der Berliner Mauergedenkstätte, auch die Fragestellung eingebracht: Wie sieht „richtiges“ Erinnern aus?

Schauen Sie anders auf diese Dinge als die jüngeren Kollegen?

MB: Nein, überhaupt nicht. Natürlich gibt es Lernprozesse, die die Jüngeren nicht durchlebt haben, hier habe ich wohl meinen ganz speziellen Part einbringen können. Das geht auch ins Begriffliche, wo ich beispielsweise das Wort „Wende“ nicht benutze, weil mit ihm eine ganz bestimmte politische Konnotation verbunden ist. Diesen Begriff werden Sie hier nicht finden!

LK: Dazu vielleicht noch aus unserer Perspektive: Wir haben auch über das Schloss diskutiert, das nicht Teil der Ausstellung ist. Hier kam von Marianne der Hinweis, dass viele Ostdeutsche den Abriss des Palastes der Republik gar nicht so schmerzhaft empfunden haben, wie ich als Westler immer geglaubt habe, im Gegenteil. Was ich damit sagen will: Schwarz-Weiß-Sichten bringen nichts. Und tatsächlich sind viele Diskussionen heute Ost-Ost, Jung-Alt. All dessen wird man sich aber erst bewußt, wenn man zuhört, miteinander spricht.

Kommt aus dem Ausstellungsprojekt hier in Venedig etwas in die zukünftige Arbeit von GRAFT zurück?

TW: Uns wird immer klarer, dass es die eine Regel, die eine Lösung nicht geben kann. Es muss eine Offenheit da sein, für diese Heterogenität der Ansätze. Das ist das Wichtige!

LK: Unsere Außenpersektive, die wir nach Los Angeles und mit dem Büro in Peking haben, erlaubt uns, Berlin besser verstehen zu können. Innen- und Außenperspektive, die Sicht auf Schwarz und Weiß und viele Farben dazu, das macht uns leistungsstark.

Schafft man die Ausstellung in drei Minuten?

TW: Aber ja, die Ausstellung ist für jede Geschwindigkeit konzipiert.

LK: Uns war die Zugänglichkeit sehr wichtig. Es sollte ein zugänglicher Raum entstehen, der auch emotionalisiert. Geschlossenheit, Offenheit ... Die Ausstellung spricht auf unterschiedlichen Ebenen Fachleute aber auch Schüler italienischer Schulen an, die hier nach diesen Preview-Days scharenweise hindurchlaufen werden.

Zum Schluss: Gibt es eine Empfehlung? Wohin sollte man auch gehen?

LK: Ja, mit der Kuratorin des US-amerikanischen Pavillon, Mimi Zeiger, verbindet uns der Abschlussjahrgang am Southern California Institute of Architecture (SCI-Arc). Die haben eine sehr schöne Ausstellung mit ähnlichen Themen wie wir. Der andere Pavillon, der uns fasziniert und ähnliche Themen behandelt, ist der israelische. Die zeigen sehr anspruchsvolle Projekte, die leider bis heute nicht realisiert werden konnten, weil es keinen Konsens zu ihnen gibt. Diese beiden können wir wirklich empfehlen!

Mit dem Kuratorenteam des deutschen Pavillons unterhielt sich DBZRedakteur Benedikt Kraft am 23. Mai 2018 in den Giardini Venedigs, im deutschen Pavillon. Wolfram Putz konnte erst zum Kuratorenfoto hinzukommen.

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