Das tägliche Brot
Bauen im Bestand, Konservieren, Sanieren, Umbauen, Erweitern, Neues Bauen im historischen Kontext ist das „ tägliche Brot“ des Architekten im Konflikt, die historische Identität der Architektur zu erhalten, sie aber funktional und energetisch heutigen Anforderungen anzupassen. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass sich ein Gebäude seine Nutzung sucht und nicht Nutzungen aufgepfropft werden, die unverträglich mit dem Gebäude sind. Im Zusammenhang mit den Debatten um den Neubau der Schlösser in Braunschweig, Berlin und Potsdam muss auch deren geplante Nutzung als Einkaufszentrum, Museum oder Parlament – um nur einige Beispiele zu nennen – in unfunktionalen, teilweise absurden räumlichen Konstellationen kritisch hinterfragt werden. Von der Politik gewollt und von der Gesellschaft akzeptiert, zeigt dies in erschreckender Weise den unreflektierten Umgang mit Baukultur: ohne Respekt vor dem Originalwert eines Baudenkmales und mit offensichtlichem Zweifel an einer eigenständigen kulturellen Leistung.
Daneben ist ein weiterer „bewusstloser“ Umgang mit Architektur unserer jüngeren Geschichte zu beobachten: Die Bauten der 50er Jahre, die keine Lobby haben, werden immer noch gerne abgerissen. Gerade das Zusammenspiel und die Vielfalt von Alt und Neu, die Dokumentation von Geschichte und Veränderung erhöht die Qualität von Architektur im Sinne einer eigenen Identität und damit auch ihren vermarktbaren Gebäudewert. An dieser Stelle muss auch der romantisierende Umgang mit alter Bausubstanz in Frage gestellt werden: Unbeeindruckt von jeglichen ästhetischen Kategorien wird jedes noch so banale Element inszeniert – allein, wenn es alt erscheint; es wird eine Ästhetik heraufbeschworen, die letztlich Gefahr läuft, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Baukultur kann meiner Meinung nach nur entstehen, wenn – wie Schinkel schon sagte – wir das Historische respektieren und das Neue herbei führen.
Der Erhalt vorhandener Gebäudestruktur ist zunächst im vielfachen Sinn nachhaltig: Die Identität der gebauten Umwelt kann bewahrt und ohne große Brüche weiter entwickelt werden, Müll wird vermieden und der Primärenergieeinsatz reduziert. Leider bleiben dabei vielfach die gestalterischen Anforderungen auf der Strecke. Intelligente Lösungen in diesem Zusammenhang sind ganzheitlich zu sehen. In Zusammenarbeit mit den Fachplanern und unter Einsatz regenerativer Energien muss das optimierte Dämmen eines Gebäudes nicht die einzige Lösung sein. Die vorhandene Gebäudesubstanz muss künftigen Nutzungsanforderungen angepasst werden. Man könnte auch von einem reziproken Entwurfsprozess sprechen: Ein Gebäude sucht sich eine Nutzung und muss in Bezug auf künftige Nutzungsanforderungen sorgfältig analysiert werden. In einigen Fällen begründet sich der Erhalt eines Gebäudes bereits durch den Wegfall wesentlicher Vorteile: Wenn bei einem Neubau zum Beispiel zusätzliche Stellplätze geschaffen werden müssten, die Bebauungsdichte nicht mehr zulässig ist oder Abstandsflächen eingehalten werden müssen. Aber auch ein Baudenkmal kann, wenn sich keine adäquate Nutzung findet und ein Erhalt wirtschaftlich unzumutbar ist, abgebrochen werden. Je nach Gebäudetypologie können Umnutzung und Sanierung wirtschaftlich günstiger als ein Neubau sein oder aber der Erhalt das Vielfache eines Neubaus kosten.
Der Architekt
Prof. Dr. Ing. Architekt BDA Enno Schneider, 1947 geboren, Büroinhaber, Geschäftsführer Enno Schneider Architekten, Studium Architektur und Städtebau an der TH Aachen und an der Universität Stuttgart, 1977 Promotion, 1978 Bürogründung in Holzminden. Vorträge, Lehraufträge an Hochschulen, seit 1988 Professor für Entwerfen, Altbauerneuerung und Denkmalpflege an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, 1993 Büroniederlassung in Detmold, 1995 in Berlin, 2006 bis 2008 Dekan Fachbereich Architektur und Innenarchitektur, Hochschule OWL, zahlreiche Buchveröffentlichungen