Daten an die Kette

Die Speicherung von digitalen ­Plänen ist eine Herausforderung – schließlich sind die ­meisten Speichermedien bereits kurz nach ihrer Einführung wieder ein Auslauf­modell. Der Architekturverlag ­Architangle aus Berlin hat sich Gedanken dazu gemacht und präsentiert nun ein dezentrales Speichersystem, das wie Kryptowährung auf der Blockchain basiert und sehr lange funktionieren soll

Herr Steingräber, ArchiTangle ist ja eigentlich ein Architekturbuch-Verlag. Wie kam es zum ArchSafe?

Wie viele andere Verlage haben auch wir uns überlegt, wie die Zukunft des Publizierens aussehen wird. Können wir unsere Publikationen um digitale Inhalte erweitern, die nicht zwischen die Buchdeckel passen – zum Beispiel um umfangreiche Detailpläne oder Videos? Oder einfach nur Updates zum Buch, die angefangene Projekte, Prozesse und Geschichten weitererzählen. Natürlich könnte man solche digitalen Ergänzungen einfach auf der Website speichern und aus dem Buch verlinken, so wie es bisher jeder macht. Das Problem ist nur, dass unsere Website in 50 Jahren entweder aktualisiert wurde oder vielleicht auch gar nicht mehr existiert. So entstand die Idee, unsere digitalen Zusatzinhalte auf der Blockchain abzulegen – also an einem Ort, wo die Dateien auch in 50 Jahren noch unter der gleichen Adresse abrufbar sein werden. Aus der Blockchain-basierten permanenten Datenspeicherung zur Buchergänzung, die wir gemeinsam in Projekten mit Forschungseinrichtungen wie der ETH, Harvard GSD oder auch dem Aga Khan Award for Architecture entwickeln und anwenden, wurde die Idee vom ArchSafe geboren. Dabei ging es zunächst weniger um die Erfüllung gesetzlicher Aufbewahrungsfristen, sondern primär um die Realisierung eines digitalen Nachlasses für die folgenden Generationen. Nach zwei Jahren Forschung und Entwicklung steht nun auch die Einführung des permanenten Datenspeichers für Architekt:innen unmittelbar bevor.

Wie sieht die gesetzliche Aufbewahrungsfrist für Architekt:innen konkret aus?

Dass eine Baugenehmigung im Eigentum der Auftraggeber:in steht, ist offensichtlich. Ebenso verhält es sich aber u. a. auch mit Fachgutachten, Bauverträgen, Kataster- und Lageplänen, sämtlichen im Auftrag der Auftraggeber:in mit Un­ternehmer:innen geführte Schriftwechsel, von Dritten gefertigten statischen Berechnungen, Vertragsurkunden und Leistungsverzeichnissen. All diese Dokumente müssen aufbewahrt werden, bis der gesetzliche Herausgabeanspruch der Auftraggeber:in gegenüber den Architekt:innen bzw. Ingenieur:innen, die die Unterlagen in Verwahrung haben, nach 30 Jahren verjährt.

In den vergangenen 30 Jahren sind zahlreiche Dateiformate und Speichermedien erfunden worden und aus der Mode gekommen – von der Floppydisk über CDs, DVDs bis hin zu ­BlueRays. Geräte, die diese Medien abspielen können, sind teils nicht mehr erhältlich oder lassen sich nicht mehr anschließen.

Wie sollen Architekt:innen hier ihrer Pflicht überhaupt zukunftssicher nachkommen?

Ich kenne tatsächlich viele Architekt:innen, die seit den 1980er- oder 1990er-Jahren bis heute ein Papierarchiv führen. Sie haben ihre Aufbewahrungspflicht erfolgreich erfüllt – zumindest für die Projekte von vor über 30 Jahren. Wie können aber digital erstellte Projekte über die nächsten drei Jahrzehnte archiviert werden? Auf jeden Fall digital – allerdings ist das leichter gesagt als getan. Handelsübliche Speichermedien – egal, ob optisch, magnetisch oder elektronisch – weisen in der Praxis nur selten eine Lebensdauer jenseits eines Jahrzehnts auf. Lokale Serversysteme, wie wir sie heute in vielen Architektur- oder Inge­nieurbüros sehen, können die Zuverlässigkeit der Langzeitspeicherung steigern, jedoch erfordert dies eine regelmäßige Wartung und periodische Erneuerung der Systeme, was mit hohen laufenden Kosten verbunden ist. Diese sind sicher auch einer der Gründe dafür, dass die Büros zunehmend auf Cloud-Dienste umsteigen – der Betrieb ist günstiger, wartungsfrei und darüber ­hinaus unempfindlich gegen höhere Gewalt wie Wasser oder Feuer im Büro. Jedoch garantiert der Einsatz einer Cloud-basierten Lösung noch lange nicht, dass die Aufbewahrungsfristen dadurch tatsächlich erfüllt werden.

Das heißt, Architekt:innen müssen im digitalen Zeitalter generell fürchten, dass sie bei späteren Problemen am Bau rechtlich in Anspruch genommen werden, weil sie ursprüngliche Planungen nicht mehr vorlegen können?

Relevante Unterlagen innerhalb der Verjährungsfrist zu verlieren, kann sich immer nachteilig für Sie auswirken – egal, ob die Gefahr von Gegenansprüchen, etwa zu Gewährleistung oder Schadensersatz, besteht oder Sie möglicherweise noch eigene Ansprüche, wie z. B. eine Honorarforderung, geltend machen müssen. Darüber hinaus drohen bei Nichteinhaltung von Aufbewahrungsfristen empfindliche Strafen durch die Gesetzgeber:in.

Ist die Nutzung von Cloud-Speichern eine ­Alternative? Zum Beispiel auch in Fragen der Haftung, wenn Daten verloren gehen?

Der marktführende Datenspeicherdienst Dropbox beschränkt seine Haftung für Datenverlust auf 20 US-Dollar Entschädigung pro Kunde. Sie wissen ja, man muss bei der Anmeldung die Nutzungsbedingungen bzw. AGB akzeptieren … da steht es schwarz auf weiß: Sie erhalten 20 Dollar Kompensation für Ihren persönlichen Datengau – oder den Ihres Unternehmens.

Sie bieten nun eine neue Lösung an. Was kann sie, was andere nicht können?

Beim ArchSafe handelt es sich um eine Archivierungslösung für Architekt:innen, die auf den ers­ten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Dropbox aufweist - zumindest was die Bedienung betrifft: Man legt Hauptordner bzw. Archive für seine Projekte an und füllt diese dann mit den passenden Unterordnern und Dateien. Das Ganze läuft im Browser. Allerdings werden die Daten nicht auf dem Cloud-Speicher eines zentralisierten Diensteanbieters abgespeichert, sondern komplett auf der Blockchain. Daraus ergeben sich im Vergleich mit lokalen Servern oder Online-Datenspeicherdiensten einige entscheidende Vorteile: Zunächst einmal, das liegt in der Natur der Blockchain-Architektur, sind die archivierten Dateien unveränderlich, sodass eine Manipulation oder das Hacken der Daten, zum Beispiel durch Ransomware, unmöglich ist – ihre Authentizität ist also für die gesamte Lebensdauer des Archivs gewährleistet. Womit wir zum eigentlichen Trumpf des Systems kommen – seiner Langlebigkeit. Im ArchSafe kann für jeden Hauptordner eingestellt werden, wie lange die zugehörigen Daten archiviert werden sollen. Im Falle eines Bauvorhabens in Deutschland werden dies meist 30 Jahre sein, um der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist zu genügen. Nach Fristablauf werden die Archiv-daten vom System automatisch vernichtet, um der Löschpflicht der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu entsprechen. Man kann die Haltbarkeit der Daten aber auch auf unbegrenzt setzen. Dies ist dann eine ideale Lösung für Nachlässe oder Sammlungen oder kann auch der Dokumentation des künstlerischen Schaffens eines Architekten oder einer Architektin dienen, das den Folgegenerationen erhalten bleiben soll. Das alles ist auch im Kontext des Urheberrechts relevant, das in Deutschland 70 Jahre über den Tod der Urheber:in hinaus besteht.

Warum sollte eine Blockchain eine so lange Verfügbarkeit der Daten gewährleisten. Wie genau setzen Sie das technisch um?

Anders als bei den zentralisierten Anbietern des Web 2.0 gibt es bei auf der Blockchain keine „Gatekeeper“, die Ihnen den Zugang zu Ihren Daten verwehren könnten. Das passiert durchaus häufig, z. B. weil Sie Ihre monatliche Abogebühr nicht bezahlt haben, weil der Service eingestellt wird oder der Provider im schlimmsten Fall nicht mehr existiert. Zentralisierung und Permanenz schließen sich aus. Bei der ArchSafe-Eigentümer:in ist es aber so, dass sie selbst die Benutzer:in in einem dezentralen Netzwerk aus Blockchain-basiertem Datenspeicher ist – hier gibt es keinen Gatekeeper mehr. Niemand kann Ihnen jemals den Zugang sperren, niemand kann jemals Ihre Daten sehen – und niemand kann jemals Ihre Daten wiederherstellen, wenn Sie Ihre eigenen Zugangscodes verlieren. Mit der absoluten Datenhoheit geht also auch ein gewisses Maß an Verantwortung auf Sie über; es gibt keinen Button „Passwort vergessen“. Unter der Haube wird die Permanenz des Netzwerks – technisch und wirtschaftlich – über sogenannte Inzentivierungsverfahren gewährleis­tet – ähnlich wie bei der Bitcoin-Blockchain, die ja nunmehr seit 2009 ohne Unterbrechung läuft. Was die Langlebigkeit betrifft, behaupten wir natürlich nicht, dass Ihre Daten für immer und ewig gespeichert werden. Die Lebensdauer unserer Blockchain liegt nach unseren Modellen bei mindestens 200 Jahren – Ihre Archivdaten werden also viele Generationen überleben.

Und auf Kundinnenseite: Welche technischen ­Voraussetzungen müssen sie erfüllen, um ­diesen Dienst nutzen zu können?

Es gibt keine besonderen technischen Voraussetzungen für den Einsatz des ArchSafes. Kund:innen erhalten ein kleines Gerät, das sie in ihr lokales Netz hängen. Wir bezeichnen es als ChainGate, also als Brücke zwischen den lokalen Dateien und der Blockchain. In einem kleinen Büro oder im Homeoffice wird das Gerät einfach an den Router, z. B. die FritzBox gesteckt, in einem größeren Büro integriert der Admin die ChainGate im Firmen-LAN. Das ist Plug & Play. Danach kann jede/r Benutzer:in mit entsprechender Freigabe lokal mit dem Browser auf die Archivierungsoberfläche zugreifen.

Dreißig Jahre sind ein langer Zeitraum. Wie sieht es da mit den Kosten aus?

Heutige Cloudspeicher erfordern üblicherweise ein Abonnement, also die periodische Zahlung einer Servicegebühr, damit die Speicherung fortgesetzt und der Zugang aufrechterhalten wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass man z. B. eine monatliche Kreditkartenzahlung über 30 Jahre hinbekommt, ist wohl eher gering – falls der Dienst oder sein Anbieter überhaupt so lange existieren. Hinsichtlich Langzeitarchivierung funktionieren die herkömmlichen Konzepte einfach nicht. Beim ArchSafe hingegen zahlt man nur einmal für den Upload ins Archiv, wobei nach Datenverbrauch abgerechnet wird. Nachfolgende Zugriffe und Downloads sind dauerhaft kostenlos, also nach dem Prinzip „Pay once, archive forever“.

Nun kann es aber auch sein, dass Ihr Geschäftsmodell nicht so erfolgreich wird, wie Sie gedacht haben. Wie sieht es mit der Verfügbarkeit der Daten aus, wenn es Ihr Unternehmen einmal nicht mehr geben wird?

Das ist eine sehr berechtigte und fundamentale Frage! Permanenz kann nicht funktionieren, wenn der Datenzugriff bei Ausfall einer Komponente oder der Betreiber:in gesperrt wird – so wie wir es bisher leider hinnehmen mussten. Im Web 3.0 kontrollieren allein Sie selbst – und nicht wie bisher ein Dritter – den Zugriff auf Ihre Daten. Das bedeutet auch, dass Sie beständig Zugriff auf die Daten in Ihrem Archiv haben werden und alle bereits gespeicherten Daten auslesen bzw. herunterladen können. Und das funktioniert ganz unabhängig davon, ob es unser Unternehmen noch gibt oder auch nicht.

Und wenn der Ernstfall eintritt und ein Architekturbüro nach, sagen wir, 29 Jahren wieder an seine Projektdaten möchte – wie erhält es sie zurück? Betriebsysteme von heute sind dann sicherlich überholt oder das ChainGate defekt ...

Im Jahr 2050 wird es völlig andere Betriebssys-teme, viel fortschrittlichere Hardware und ganz neue Dateiformate und -standards geben. Das stellt uns vor zwei Herausforderungen: Den Zugriff auf das Archiv und die Lesbarkeit der Daten. Was den Zugriff betrifft, koppeln wir uns mit dem ChainGate komplett von zukünftigen Weiterentwicklungen und Veränderungen der Technik ab. Es spielt also keine Rolle, ob Windows, MacOS etc. noch existieren, weil wir für den Zugriff auf die Daten nicht auf die Installation einer Archivierungssoftware angewiesen sind. Und wenn das ChainGate einmal ausfallen sollte, wird es von uns ersetzt. Alternativ kann man sich ein öffentliches Disk-Image von der Blockchain herunterladen, um einen beliebigen Computer auf x64-Architektur in ein ChainGate zu verwandeln. Dadurch werden die Kund:innen, selbst wenn wir eines Tages als Dienstanbieter nicht mehr existieren sollten, immer in der Lage sein, Zugriff auf ihre Archive zu erlangen. Dies war stets der treibende Aspekt bei der Entwicklung des ArchSafe, die Haltbarkeit sowie den Zugriff auf die archivierten Daten tatsächlich bis weit in die Zukunft zu ermöglichen.

Wenn aktuelle Dateiformate dann noch eine Rolle spielen ...

Bezüglich der Lesbarkeit der Daten empfehlen wir den Kund:innen als Faustregel, bei komplexen Dateiformaten immer eine alternative simple Variante der Information mitzuarchivieren, den kleinsten gemeinsamen Nenner sozusagen. Bei Excel-Dateien könnte das ein CSV-Export sein, also technisch betrachtet eine reine Textdatei. Diese wird man sicher immer öffnen können. Gleiches ist für andere generische Dateiformate, die heute als Standard gelten und buchstäblich billio­nenfach existieren … z. B. PDF oder JPG. Ein Export in diese Formate, zur Not durch einen Scan, ist ja immer möglich. Dadurch bleibt das archivierte Wissen sicher auch über 2050 hinaus nachvollziehbar. Dass Archivdaten nach Jahrzehnten zum Zweck der aktiven Weiterverarbeitung, z. B. im CAD-Programm, gehoben werden, halte ich weder für sehr wahrscheinlich noch für technisch machbar. Aber klar, einen DXF-Export kann man sicherheitshalber immer dazulegen.

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