Der Lehmbau schießt gerade durch die Decke!
Golehm ist ein junges WIR-Bündnis von öffentlicher Hand, Wirtschaft und Gesellschaft – am Baustoff Lehm Interessierten. Das Bündnis verfolgt mehrere Ziele parallel: Es geht um die Sanierung von bestehenden Massivlehmbauten (in Deutschland sind es über 200 000); es geht um die Wissensvermittlung im Lehmbau und es geht um den Einsatz in Neubauten. Bisher waren die Projekte noch in der Konzeptphase, doch das könnte sich bald ändern. Wir sprachen mit zwei IngenieurInnen der wirtschaftlichen PartnerInnen: Jasmine Alia Blaschek und Prof. Dr. Christof Ziegert von ZRS Architekten Ingenieure.
Frau Blaschek, Herr Ziegert: Wie kam es zu dieser interdisziplinären Zusammenarbeit?
J. B.: Harald Meller, der Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, und seine Projektmitarbeiterin Franziska Knoll sprachen den Dachverband Lehm und Christof Ziegert als Fachmann und Wirtschaftsfaktor an, um ein Projekt zu initiieren, dass den Lehmbau wesentlich voranbringen sollte. Der enorme Bestand an historischen Lehmbauten in Sachsen-Anhalt und der Wunsch diese Gebäude zu erhalten sowie fachgerecht und zukunftsfähig zu sanieren, war die Treibfeder von Mellers Ansinnen. In der darauf folgenden Konzeptphase wurden die Kernthemen herausgearbeitet, die zur Erreichung dieser Ziele als notwendig erachtet wurden. Dies reichte von Fragen zu den Ressourcen von geeigneten Lehmen über spezielle fachliche Fragen wie Brandschutznachweise bis hin zum Wissenstransfer zu PlanerInnen, Bauausführenden und der Bauherrschaft.
C. Z.: Als wirtschaftlicher Partner sind wir vor allem Wissensträger: Durch unsere Tätigkeit an Hochschulen und an unseren Bauprojekten, an denen wir täglich arbeiten, bis zum direkten Kontakt zu den HerstellerInnen, haben wir einen guten Überblick, was an Defiziten in der Baubranche vorhanden ist, was die Branche bewegt und wo es klemmt. Unter der Regie der Denkmalpflege konnten wir so gemeinsam Vorschläge für Teilprojekte erarbeiten, die in der sogenannten Umsetzungsphase Stück für Stück genehmigt und realisiert werden sollen.
Gibt es für Konzept- und Umsetzungsphase einen Zeitplan?
C. Z.: Die Konzeptphase startete am 01. Januar 2021 und lief über ein halbes Jahr. In anderen Forschungsprojekten muss man die Konzeptfindung und -idee meistens uneigennützig und ungefördert erarbeiten. Diese vom BMBF geförderte Konzeptphase der WIR-Projekte führte dazu, dass wir jetzt eine sehr gute Ausgangslage für die Umsetzungsphase haben und sehr tiefe Ausarbeitungen der einzelnen Projektanträge vorweisen können.
J. B.: Die Umsetzungsphase ist für Anfang nächsten Jahres geplant und soll sechs Jahre dauern. Bei den ersten sogenannten Pilotprojekten der Umsetzungsphase soll es beispielsweise um systematische Brandschutzprüfungen von massiven Lehmbauteilen sowie um das große Potential der Wiederverwendbarkeit von Lehmbaustoffen gehen.
Gibt es andere Initiativen, Verbände, mit denen Sie sich austauschen können?
C. Z.: Der Dachverband Lehm ist der Bundesfachverband des Lehmbaus, in dessen Regie alle Regelwerke für den Lehmbau erstellt werden. Dort bin ich auch im Vorstand und dementsprechend im direkten Austausch, aber wir arbeiten auch mit artverwandten Fachverbänden zusammen, wie zum Beispiel dem Fachverband für Strohballenbau, der eine ganz hervorragende Arbeit macht. Nur durch diese Arbeit ist es möglich, dass wir heute wieder öffentliche Bauvorhaben in Holz, Stroh und Lehm realisieren, wie die DRK Sozialstation in Hohenberg-Krusemark, die wir als Ingenieure mit dem Havelberger Büro Hallmann Architekten realisieren durften. Also wir sind auch außerhalb des Bündnisses stark vernetzt und realisieren gemeinsam mit unseren jeweiligen Schwerpunkten. Auch die klassische Bauwirtschaft hat bereits gemerkt, dass sich bei uns was tut und steht mit uns und unseren KollegInnen in Diskussion über die Baustoffe Holz und Lehm.
Kommen auch KollegInnen auf Sie zu, die Sie noch gar nicht auf dem Schirm hatten?
C. Z.: Verstärkt in den letzten drei Jahren hat in der Bauwirtschaft ein Umdenken stattgefunden, auch bei den KollegInnen, die mit unserem Thema noch nicht in Kontakt waren. Einmal aus dem Grund, dass der Lehmbau seriöser geworden ist mit Hilfe von DIN-Normen und zum anderen durch die öffentliche Diskussion um unser Klima. Da erkennen auch die großen Player der Bauwirtschaft, dass man am Lehmbau nicht vorbeikommt.
J. B.: In der Politik ist angekommen, dass auch die Bauwirtschaft mit ihrem immensen Anteil an der CO2-Bilanz kräftig umsteuern muss. Damit werden Lehmbaustoffe auch von öffentlichen Trägern forciert, beispielsweise für Kindergärten, Mehrfamilienhäuser und Bürogebäude. In Bonn beispielsweise wurde das Alte Abgeordnetenhochhaus, ein Stahlbetonhochhaus von 1953, von RKW und Partner entkernt und mit Lehmbauplatten und nachhaltigen Dämmstoffen ausgekleidet. Das Bewusstsein hierfür ist also nicht nur im privaten Bausektor, sondern mittlerweile auch im öffentlichen Sektor wahrnehmbar.
Wieviel Prozent machen die Projekte aus, die Sie mit Lehmkonstruktionen lösen dürfen?
C. Z.: Wir ziehen als Büro, das für nachhaltiges Bauen steht, Bauherrn an, die wie wir bauen möchten. Darüber hinaus stehen wir aber auch deutschlandweit mit unserer Fachkompetenz für andere Büros zur Verfügung. Das fängt beim Thema Brandschutz an und geht bis zu Schal- und Bewehrungsplänen für Stampflehmbauten. Diese Fachkompetenz wird auch von anderen Büros in Anspruch genommen. Wir versuchen nicht das Wissen für uns zu behalten, sondern möchten das Fachwissen weitergeben. Über 50 % unserer Gebäude werden mit Holz-Lehm-Konstruktionen realisiert, sowohl in der Sanierung, als auch im Neubau. Massive Lehmkonstruktionen sind eher selten. Aber schon mit Lehmplatten und Lehmputz kann man viel für das Innenraumklima und die CO2-Bilanz erreichen.
Gibt es überhaupt noch Bedenken?
J. B.: Oft kommt es auf die Region an: In der Konzeptphase von Golehm durften wir erste orientierende Versuche durchführen und gerade in Regionen mit einer hohen Dichte an Massivlehmbauten trifft man auf Handwerker, die dem Baustoff nicht vertrauen. Das heißt, wenn es etwas zu reparieren oder auszubessern gibt, wird oft die ganze Lehmwand abgetragen und durch Material ersetzt, wodurch weitere Schäden entstehen, die dann fälschlicherweise auf den Lehmbaustoff zurückgeführt werden. Und das nur aufgrund von Vorurteilen und Unwissenheit gegenüber dem Material. Da braucht es noch Überzeugungsarbeit. So entstand auch einer der Schwerpunkte von Golehm – das Thema Wissensvermittlung. Daher wird dies auch eines der Starterprojekte sein: Die Fachkraft Lehmbau DVL Ausbildung als Weiterbildungsmodul für den historischen Massivlehmbau. Diese weiterführende Ausbildung ist genau für Bauausführende konzipiert, die in ihrer Region sehr viel damit zu tun haben. An dieser Stelle sind wir beispielsweise auch mit der Handwerkskammer Halle a. d. Saale im Gespräch, um dieses Projekt in der Region durchführen zu können. Der Bedarf ist eindeutig vorhanden – viele Lehmbauschaffende sind derzeit völlig ausgelastet – hier braucht es mittlerweile fachlich ausgebildeten Nachwuchs.
C. Z.: Es geht darum, das Wissen in die Breite zu tragen. Es gibt die Fachbücher, es gibt die Regelwerke – jetzt soll mit dem Golehm Projekt das Wissen noch besser verfügbar gemacht werden durch Lehrgänge, Merkblätter in der Sanierung, Informationsgremien für die BauherrInnen, u. s. w. … Wir wissen, wie es geht und dass es geht. Jetzt müssen Strukturen geschaffen werden, dass es in die Breite geht. Das ist im Wesentlichen das Ziel des Projektes Golehm.
Ist bei Ihren Projekten auch die Lehre mit einbezogen?
C. Z.: Ja richtig, das passiert zum Teil bereits: Jasmine ist damals in unser Büro gekommen und hat als Erstes das Aufgabenmodul für die Weiterbildung der Bauhaus Universität Weimar entwickelt.
J. B.: Wir sind endlich in den Zeiten angekommen, dass wir gar nicht mehr Werbung für nachhaltiges Bauen machen müssen. Neben dem E-Learning Lehrgang an der Bauhaus Universität in Weimar wurde dieser Lehrgang nun auch in das Regelstudium mitaufgenommen. Das ist etwas, was die Studierenden eingefordert und jetzt auch bekommen haben. Gerade in Deutschland, wo so viel historische Bausubstanz steht, ist es eine sinnvolle Sache, sich diesen klimatisch gut angepassten Gebäuden wieder anzunähern und materialgerecht zu sanieren, damit es nicht heißt „Der Lehm kann nichts“, denn das stimmt nicht. Lehm ist innen, wie außen eine nachhaltige Lösung. Der aktive Einsatz dieses Materials wird jetzt von der nächsten Generation eingefordert.
Woran forschen Sie aktuell, wenn es um den Baustoff Lehm geht?
C. Z.: Aktuell erforschen wir in unserem eigenen Prüflabor, in dem wir gemeinsam mit Herstellern zusammenarbeiten, alte und neue Eigenschaften im Lehmbau: Wie wirkt sich beispielsweise eine künstliche Stabilisierung auf die positiven Eigenschaften von Lehmbaustoffen aus? Gemäß aller Regelwerke zum Lehmbau ist eine künstliche Stabilisierung mit Kalk, Zement u.s.w. ausgeschlossen. Der Einsatz von künstlicher Stabilisierung wirkt sich negativ auf die raumklimatischen Eigenschaften aus, sie verhindert die Wiederverwendbarkeit und verschlechtert die Klimabilanz. Dies nachzuweisen war gerade jetzt wichtig, wo viele klassische Player versuchen, in das Thema einzusteigen.
Was geben Sie KollegInnen mit, die sich wie Sie, nachhaltig aktiv einsetzen möchten?
C. Z.: Zum Glück gibt es bereits viele KollegInnen, die sich auf einen vergleichbaren Weg gemacht haben. Man sieht es ganz gut an unserem Büro – wir haben kein Nachwuchsproblem. Die jungen PlanerInnen rennen uns quasi die Tür ein! Und wenn jemand in einem Büro sitzt, das sich diesen Themen nicht öffnen möchte, macht es doch einfach selbst. Gerade jetzt ist die beste Zeit, um im nachhaltigen Bauen selbstständig auf eigenen Beinen zu stehen. So habe ich es übrigens auch gemacht: Ich war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin, hatte mich dort auf den Lehmbau spezialisiert und war zunächst ein „Fachidiot“. Andere Büros hätten mich nicht mehr genommen. Natürlich wollte ich meine Qualifikation und meine Leidenschaft ausleben und da haben wir uns zu dritt, Uwe Seiler, Eike Roswag-Klinge und ich zusammengetan und 2003 unser Büro gegründet mit dem Ziel uns auf das Bauen mit nachhaltigen Baustoffen zu fokusieren.
J. B.: Für die Akzeptanz des Lehmbaus waren und sind Leuchtturmprojekte Einzelner ein guter Motor, um nachhaltigem Bauen mit Lehmbaustoffen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Nun ist es umso wichtiger, auch in die Breite zu gehen, mit all dem Wissen, über das wir schon verfügen. Wir von ZRSI haben im Rahmen des Golehm Forschungsprojektes eine Mailingliste ins Leben gerufen, die dem Austausch von Lehmbau- und Architekturschaffenden über Bauherrn und Lehmbaustoffherstellern bis hin zu Interessierten dienen soll. Hier können Hilfestellungen, Tipps und Fragen besprochen werden, auch wenn diese Liste keine Fachberatungen ersetzen soll. Es geht darum, schnelle Anknüpfungsmöglichkeiten zu bieten und aufzuzeigen, dass Bauen und Sanieren mit Lehm umsetzbar und ein notwendiger Beitrag für materialgerechtes und ressourcenschonendes Bauen ist.
Vielen Dank für den Einblick in das WIR-Bündnis. Ich bin mir sicher, mit diesen Zeilen bringen wir das Thema weiter in die Breite der Baubranche.
Mit Jasmine Alia Blaschek und Christof Ziegert unterhielt sich DBZ-Redakteurin Mariella Schlüter via Zoom am 9. September 2021 vom Homeoffice aus. Das WIR-Bündnis Golehm ist eine Initiative für Lehmbau und nachhaltige Kreislaufwirtschaft, online unter: www.golehm.de