» CO₂-Werte und Ressourcenverbrauch werden zukünftig das Baumaterial bestimmen «

Lehm ist ein Baustoff, der fast überall verfügbar und recycelbar ist. Der Pionier des Lehmbaus, Martin Rauch, engagiert sich seit mehr als 35 Jahren im Bauen mit Stampflehm. In dieser Zeit wurden mehrere hundert Stampflehmbauprojekte in verschiedenen Maßstäben und mit internationalem Umfang realisiert. Doch wie gelingt dem Lehmbau der Sprung in den großen Maßstab?

Herr Rauch, warum erfährt der Lehmbau aktuell eine solche Aufmerksamkeit?

Lehm kann Antworten geben auf viele Fragen unserer Zeit: Der Baustoff ist regional verfügbar und seine Gewinnung und Verarbeitung ist quasi CO₂-frei. Die Vorgaben der EU weisen in Richtung Kreislaufwirtschaft. Für alle Industriematerialien muss zukünftig verstärkt eine Recyclingfähigkeit nachgewiesen werden. Die aufkommende Ressourcenfrage ist zentral, denkt man an das Aushubmaterial, das tonnenweise verfügbar wäre. Wir könnten schon jetzt 65 % des stetig anfallenden Aushubmaterials für Bauvorhaben jeg­licher Art verwenden. Und setzen wir den Lehm ohne Stabilisierung ein, ist er ewig wiederverwendbar. Bei den Diskussionen, wie wir zukünftig bauen werden, nimmt Lehm daher eine wichtige Rolle ein. Man redet, schreibt und publiziert mehr über den Lehmbau.

Beim Alnatura Campus in Darmstadt (DBZ Ausgabe 09/2019) gelang es Ihnen, 12 m hohe Stampflehmwände zu errichten. Wie kann aus solchen Leuchtturmprojekten eine ganze Stadt werden?

Der Alnatura Campus besticht durch seinen innovativen Wandaufbau. Die Herstellung dieser
Wandelemente erfolgte in einer Feldfabrik vor Ort. Hinter der außenliegenden Stampflehmwand liegt eine Dämmschicht aus verdichtetem Schaumglasschotter sowie einer weiteren Schicht Stampflehm mit integrierter geothermischer Wandheizung. Wir konnten zeigen, dass der Grad der Vorfertigung und das Qualitätsniveau von Lehmbaustoffen das von konventionellen Produkten inzwischen erreicht haben. Und der dafür verwendete Lehm stammte aus dem Erdaushub von Stuttgart 21. Was wir brauchen sind mehr Lehmfabriken zur Vorfertigung von Lehmbaustoffen. In der Zukunft könnte es alle 200 km eine solche Lehmfabrik geben, durch die Vorfertigung ließen sich ganze Städte bauen. Parallel dazu braucht es Ausbildung und Wissensvermittlung für Fachkräfte und PlanerInnen. Noch ist der planerische und der Arbeitsaufwand höher als bei standardisierten Lösungen, wie dem Bauen mit Zement. Doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis nicht mehr die Arbeitskraft, sondern CO₂-Werte und Ressourcenverbrauch den Preis bestimmen.

Sie arbeiten derzeit in der kleinen Gemeinde Schlins in Vorarlberg an einem neuen
Pilotprojekt?

In Vorarlberg entsteht derzeit die ERDEN Werkhalle. Die Halle ist Reallabor und Werkstätte in einem. Wir haben verschiedene Holzkonstruktions- und Lehmbautechniken beim Bau angewandt und sehen das Bauwerk als Bibliothek für den Bau mit natürlichen Materialien. Südseitig zur Wohnbebauung errichteten wir eine 60 cm starke, 67 m lange und 8 m hohe Stampflehmwand, auf der die Holzdachkonstruktion aufliegt. Die Stampflehmelemente sind versetzt aneinandergereiht und bilden somit ein 90 cm breites Auflager, einerseits für die Dach Konstruktion und anderseits für die Laufbahn des Hallenkranes. Auf der Eingangsseite ist neben den V-Stützen ein Fachwerk mit Holzhackschnitzel und Lehmschlamm kombiniert. Vor allem in Kombination mit dem leichtgedämmten Holzbau verbessern Lehmbaustoffe Wärmespeicherung, Schallschutz und Raumakustik. Auf dem Dach liegen 30 t Strohdämmung und an den Seitenwänden dient Schafswolle zur Dämmung.

Was wird in der Halle produziert?

Die Halle ist unsere erste stationäre Feldfabrik. Von hier können wir Bauprojekte in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz mit vorgefertigten Elementen beliefern. Entlang der 67 m langen Wand der Halle stampft dafür eine Maschine halbautomatisiert lagenweise einen kompletten bis zu 40 m langen Lehmblock. Diese Maschine kam 2012 bei unserem ersten Großbauprojekt, dem Kräuterzentrum von Ricola, zum Einsatz. Ich taufte sie damals Roberta. Die Verdichtung mittels Maschinen spart bei der Vorfertigung Zeit und Aufwand. Sobald eine Strecke – Lage für Lage –gestampft ist, schneiden die Lehmbauer mit einem Diamantschneider einzelne Blöcke heraus. Was heute so reibungslos funktioniert, war damals eine große Herausforderung.

Der Betonbau hat dem Lehm über 100 Jahre Forschung voraus. Wie kann der Baustoff Lehm verbessert werden?

Es gibt viele Aspekte, die noch nicht ausreichend untersucht wurden. Wie kann das Erdmaterial wasserbeständiger gemacht werden, wie seine Druckfestigkeit erhöht werden? Zusatzstoffe oder Mischungen haben, ähnlich der Betonforschung, einen entscheidenden Einfluss. Wichtig ist, dass der Baustoff durch die gewählten Zusatzstoffe nicht seine positiven Eigenschaften, wie die Recyclefähigkeit, verliert. Wir arbeiten derzeit an zwei Forschungsprojekten. Zum einen sollen Lehmbaustoffe nach dem Eurocode, kurz EC, berechnet werden. Und wir arbeiten derzeit an einem Bauteilkatalog für den Stampflehmbau. In diesem Regelwerk werden die Grundlagen des vorfabrizierten Stampflehmbaus vermittelt. Es beinhaltet jedoch Regeln, keine Normen. Inzwischen erschweren auch genug Normierungen für jegliche Baustoffe die Baupraxis. Durch Normen versuchen wir die Verantwortung abzugeben. Das ist bequem, aber nicht immer der Sache dienlich. Normen sind im Wesentlichen Empfehlungen und beschreiben nur bedingt den aktuellen Stand der Bautechnik.

Lehm.Ton.Erde

www.lehmtonerde.at

Mit dem Baustart der ERDEN Werkhalle im Jahr 2019, einer eigenen Produktionsstätte von vorgefertigten Stampflehmelementen und baldiger Unternehmenshauptsitz, hat sich die Lehm Ton Erde Baukunst GmbH auf die industrielle Vorfertigung von Stampflehmelementen spezialisiert. Neben Fachplanungs- und Ausführungsarbeiten im Stampflehmbau betreibt das Unternehmen Kooperationen mit Universitäten und Hochschulen und leistet dadurch wertvolle Forschungs- sowie Bildungsarbeit und zählt zu einem führenden Kompetenzzentrum im Bereich des Stampflehmbaus.

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