Die Haltbarkeit unseres Tuns sei uns Antrieb für Neues!
Prof. Dr.-Ing. Lamia
Messari-Becker zum Thema „Nachhaltigkeit“

Setzt man die Dauer eines Menschenlebens zum Maßstab, begleitet uns ein einmal fertiggestelltes Bauwerk eine lange Zeit. Es erfordert viele Ressourcen, es zu bauen, und es lässt sich nachträglich nur mit Aufwand verändern. Unser Baugewerbe ist daher auf natürliche Weise angehalten, auf die Haltbarkeit der gebauten Umwelt zu achten. Im Sinne der Nachhaltigkeit erfordert dies nicht nur, dass Strukturen wie Tragwerk, Technik usw. „halten“ und langlebig sind. Sondern, dass das Bauwerk bei der Erfüllung seiner Aufgabe (Wohnhaus, Schule u. a.) auch seiner identitätsstiftenden Funktion gerecht wird. Die Nutzer müssen es gerne nutzen; etwa seiner anspruchsvollen Ästhetik halber. Die inhärente Langfristigkeit bedingt darüber hinaus, dass dabei sein Betrieb die Umwelt nicht über Gebühr belastet.

In der Baubranche ist längst die Erkenntnis da, dass mit der Nachhaltigkeit nicht nur Energieeffizienz im Betrieb gemeint sein kann. Das zeigen u. a. Fehlentwicklungen dieser Fokussierung: Mineralöl-basierte Produkte, die alle 25 Jahre aufwändig und abfallintensiv zu erneuern sind, sind mitnichten nachhaltig. Mancherorts vorgegebene Energiestandards verschieben den Energieverbrauch nur vom Betrieb in die Produktion. Sie erfordern hohe Investitionen nicht zuletzt aufgrund der Übertechnisierung, die manchmal dann zu einer Begrenzung der Nutzfläche führen. Werden deshalb Kitas nicht oder platzreduziert gebaut, führt man die Sinnhaftigkeit ad absurdum. Und lohnen sich solche Standards für Schulen, die nur ca. 1 000 Stunden im Jahr genutzt werden? Schließlich macht die Ansammlung energieeffizienter Gebäude noch kein nachhaltiges Stadtquartier aus. Ohne Verkehrsinfrastruktur und nahe Versorgung verschieben wir wieder den Energieverbrauch: Vom Gebäude auf die Straße.

Energieplus-Gebäude bringen endlich Betrieb und Herstellung, Energiebedarf und Energieerzeugung zusammen. Sie kosten aber (noch) zu viel und sind daher in der Breite des Bestands, unserer Stadt von Morgen, noch nicht machbar. Das zusammengesehen verdeutlicht, dass wir nicht länger nur auf das einzelne Gebäude schauen sollten: Gebäude-Cluster und Quartiere sowie kommunale Strategien bieten dringend benötigtes Potential.

Ohne einen soziokulturellen Kontext ist kein Bauwerk nachhaltig. Nachhaltig bauen heißt nicht, für die Ewigkeit bauen, sondern für eine vorhersehbare Zukunft. Diese Erkenntnis muss unsere Branche konsequent durchdringen. Der Wunsch nach der Haltbarkeit unseres Tuns sollte uns Antrieb werden, unsere Arbeitsweise, Planungsmethoden und Standards weiterzuentwickeln.

Richtet sich unser Augenmerk auf den Lebenszyklus, drängen sich viele Fragen auf: Wie können wir die Baubranche in eine ressourcen-optimierte Kreislaufwirtschaft bringen? Wie können wir Rückbau, Trennung und Wiederverwendung zum Standard erheben? Und was kann dabei Systembau für den Wohnungsbau leisten?

Ressourcenoptimiertes Bauen beginnt mit kluger Ausrichtung, Form, Nutzungsmischung, Verdichtung und Infrastruktur. Unsere Bebauungspläne sind aber von gestern. Wie sähen die Bebauungspläne der Zukunft aus? Welche Lösungen könnten Städteplaner bieten?

Weil Nachhaltigkeitsaspekte vielfältig sind, können viele Beteiligte positiv beitragen. Die Vielfalt der Nachhaltigkeitsaspekte steigert aber auch die Komplexität des Planens, Bauens und Betreibens weiter. Will man all diese Aspekte berücksichtigen, müssen alle Beteiligte vernetzt planen. Ein isoliertes Nebeneinander darf es nicht länger geben. Eine neue Planungskultur ist gefragt, mit geeigneten Methoden, digital vernetzenden Werkzeugen und Schnittstellen-Management.

Die Haltbarkeit unseres Tuns manifestiert sich nicht nur im Umgang mit Ressourcen, sondern auch durch die soziokulturelle Ein­bindung des Gebauten in die Gesellschaft. Nur so kann eine identitätsstiftende Baukultur entstehen. Gebautes muss gleichzeitig dem gesellschaftlichen Wandel folgen, um lange sinnvoll und gerne genutzt zu werden. So wird diese Wandelbarkeit Teil der Nachhaltigkeit. Für unsere Planungsmethoden und Bauweisen übersetzt, erfordert dies Innovationen auf allen Feldern.

Die Ingenieurin

1973 geboren in Marokko, 1994–2001 Studium des Bauingenieurwesens,
TU Darmstadt. 2005 Aufbaustudium für Management, TH Karlsruhe (heute KIT).

2006 Promotion am FB Bauingenieurwesen und Geodäsie und FB Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, TU Darmstadt. 2001–09 Wissenschaftliche Mitarbeiterin TU Darmstadt, 2009–14 Leiterin Nachhaltigkeit & Bauphysik, Bollinger + Grohmann Ingenieure, 2011–14 dort auch Partnerin. 2009–13 Lehraufträge an der HS Darmstadt und THM Gießen. 2014 Professur für Gebäudetechnologie und Bauphysik, Department Architektur, Universität Siegen. Zahlreiche Publikationen

www.gub.architektur.uni-siegen.de

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