Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Gebäudelebenszyklus

Wie können wir in Zukunft ressourcenschonend Bauen? Die Digitalisierung gibt darauf eine Antwort. Der Artikel betrachtet Materialeinsparungen über alle Leistungsphasen hinweg.

Um die ambitionierten Klimaziele des EU Green Deals zu erreichen, müssen alle Branchen umdenken, nicht zuletzt die Bauindustrie, eine der ressourcenintensivsten Branchen. Gebäude und Bauwerke machen 36% des globalen jährlichen Energieverbrauchs und knapp 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen aus[i]. Der Großteil des Energieverbrauchs bezieht sich auf den Betrieb der Bauwerke, aber auch der Bauprozess hinterlässt einen erheblichen ökologischen Fußabdruck. Bei der Diskussion um mehr Umweltverträglichkeit in der Bauindustrie muss es also nicht nur um nachhaltige Gebäude, sondern auch um nachhaltiges Bauen gehen. Hinzu kommt, dass die Baubranche im Vergleich zu anderen Branchen nicht ausreichend effizient und nachhaltig wirtschaftet. 10 Prozent aller Materialien, die im Bau eingesetzt werden, wären nicht nötig oder werden verschwendet, 30 Prozent aller Konstruktionsarbeiten sind Umbauten aufgrund von Fehlern[ii]. Und 90 Prozent aller Bauprojekte[iii] laufen aus dem Ruder, bezüglich Zeit oder Kosten – und benötigen damit zusätzlich Energie.  

Im Bauprozess können Energie, Ressourcen und Materialien eingespart werden und so ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz geleistet werden. Digitale Lösungen spielen hier die entscheidende Rolle. Die zahlreichen Möglichkeiten werden von der Branche bislang zu wenig genutzt, von einer Digitalisierung des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks ist die Branche weit entfernt. Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch sind dabei eng miteinander verknüpft. Ein Gebäude, das zukünftig als nachhaltig gelten soll, setzt die sparsame und effiziente Nutzung aller verfügbaren Ressourcen voraus.

Die BIM Benefits Measurement Methode von Price Waterhouse Coopers[iv] zeigt, dass das digitale Bauen vor dem physischen Bauen und die Verwendung von Modellierung und virtueller Realität hilft, Konflikte und falsche Spezifikationen frühzeitig im Bauprozess zu erkennen. So werden Nachbesserungen vor Ort auf ein Minimum reduziert und der Verbrauch von und Baumaterialien beim tatsächlichen Bau optimiert. In der konkreten Anwendung im Projekt heißt das in der Folge: Über alle Leistungsphasen hinweg gibt es Möglichkeiten, Ressourcen und Energie einzusparen.

Exakte Planung optimiert Prozesse und minimiert Fehler

Mit der digitalen Arbeitsmethode BIM können alle Beteiligten präzise, flexibel und effizient zusammenarbeiten. Bauwerke werden erst virtuell und dann real gebaut. Dadurch können budget- und ressourcenintensive Fehler und Mängel vermieden werden, bevor der eigentliche Bauprozess beginnt. Zahlreiche aktuelle Großprojekte zeigen, wie zeit-, ressourcen- und kostenaufwändig Fehler im Bau sein können. Dafür müssen in Leistungsphase 1 die Informationen über das Bestandsgebäude oder Grundstück digital erfasst werden, die BIM-Qualifikation der weiteren Planungsbeteiligten geprüft und die Anforderungen an den Datenaustausch mit den Behörden abgeklärt werden. In Leistungsphase 2 wird das digitale Modell erstellt.

Das in Leistungsphase 3 verfeinerte Modell kann anhand von spezieller Software frühzeitig in der Planung „durchgecheckt“ und auf Qualität überprüft werden, sodass keine kosten- und materialintensiven Veränderungen während des Bauprozesses nötig sind. Auch konkrete Nachhaltigkeitsanalysen können durchgeführt werden. Kosten und Emissionsfaktoren färben dabei das Modell ein und verwandeln es in eine 3D-Heatmap. Planer und Bauherr erhalten ein genaues Bild, welche Aspekte des Designs unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit überarbeitet werden müssen. Auch in Leistungsphase 4 sparen die Planer Ressourcen ein, wenn Unterlagen soweit möglich digital eingereicht werden dürfen. Aktuell wird intensiv an der Vorbereitung des digitalen, BIM-basierten Bauantrags gearbeitet. So unterstützt die Stadt Dortmund im Rahmen eines von der Forschungsförderung Zukunft Bau geförderten Projekts die Umsetzung eines Prozesses zum volldigitalen Bauantrag, der zukünftig u.a. die Zeitspanne für eine rechtsverbindliche Genehmigung deutlich verringern und zum Beispiel die Menge von physischen Dokumenten (Ordner voller Papierausdrucke) minimiert.

Weniger Material durch genaue Berechnung

Wenn in Leistungsphase 5 die Ausführungs-, Detail- und Konstruktionsplanungen als digitales Modell erfolgen, können, abhängig von der Auswahl des Baumaterials, Ressourcen eingespart werden.

Stahlbau

Digitale Statik-Lösungen optimieren bei der Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten den Materialeinsatz. Es wird zum Beispiel weniger Beton für eine tragende Stützen benötigt oder Bauherren können ein anderes nachhaltigeres Material wie Holz verwenden, wie beispielsweise beim Metsä Holzpavillon in Tokio[v]. Durch optimierte Planung und die Verbesserung der Stahlverbindungen im Projekt sparen die Planer außerdem große Mengen an Verbindungsmaterial ein. Ein medizinisches Versorgungszentrum im Bundesstand Indiana in den USA[vi] kommt beispielsweise mit einem Viertel weniger Schrauben aus.

Beton

Wenn Beton zum Einsatz kommt, kann mit digitalen Lösungen für die CAD-Planung von Betonfertigteilen die Fehlerquote erheblich reduziert werden. Kunden von Precast Engineering sprechen beispielsweise von einer 60% geringeren Fehlerquote.

Infrastruktur

Durch die genaue Berechnung und bessere Planung komplexe Strukturen werden benötigte Ressourcen wesentlich exakter kalkuliert. Beim Gotthard Basistunnel, dem neuen und längsten Eisenbahntunnel in Europa, wurden beispielsweise durch die geometrische Optimierung der Tunnelauskleidung in zwei Abschnitten knapp 90.000 Kubikmeter Beton eingespart[vii].

TGA

Mit digitalen Lösungen kann zudem die technische Gebäudeausrüstung exakt dimensioniert werden, d.h. durch normgerechte Heiz- und Kühllastberechnungen oder Lüftungs- und Heizungsauslegungen werden die entsprechenden Anlagen weder zu groß noch zu klein geplant. Zu groß dimensionierte Anlagen würden zu unnötig hohem Energieverbrauch führen. Zu klein dimensionierte Anlagen werden den technischen Anforderungen nicht gerecht und sind gegebenenfalls frühzeitig auszutauschen oder verursachen andere unnötige Energieverluste, wie z.B. durch zusätzliches manuelles Lüften oder die Nutzung von Elektro-Heizlüftern in falsch temperierten Räumen.

In Leistungsphase 6, der Vorbereitung der Vergabe, und Leistungsphase 7, der Mitwirkung bei der Vergabe, trägt die virtuelle Zusammenarbeit zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei, wenn Informationen und Fachwissen digital ausgetauscht werden.

Reduzierter Papierverbrauch auf der Baustelle

Warum in Leistungsphase 8 bei Bauüberwachung und Dokumentation nach wie vor auf Unmengen von Papier für Zeichnungen und Pläne setzen? Der Generalunternehmer Premier Mechanical spart durch den Einsatz von Software auf der Baustelle 10.000 m² Papier im Jahr ein, d.h. 10.000 DIN A0-Plots. Zudem ist der Arbeitsfortschritt in Echtzeit einsehbar, Nacharbeiten oder Fehler werden vermieden. Unternehmen wie Plumco, ein belgisches Installationsunternehmen, geben an, durch den Einsatz von digitalen Lösungen auf der Baustelle 90 Prozent weniger Papier zu benötigen. Der alte Plotterdrucker verstaubt in einer Ecke, während digitale Zeichnungen und Pläne auf Computern und Tablets gemeinsam genutzt und in der Cloud gespeichert werden[viii]. Bluebeam, ein Tochterunternehmen der Nemetschek Group, hat errechnet, dass im Jahr 2019 32 Millionen Blätter Papier durch den Einsatz ihrer digitalen Lösungen eingespart wurden, das entspricht 64.000 Packungen Druckerpapier à 500 Blatt. Dafür hätten ansonsten 3.900 Bäume gefällt werden müssen[ix].
Handschriftliche Stunden- und Gerätezettel, Checklisten, Formulare, Abnahmeprotokolle und Bautagebücher können auch durch digitale Lösungen ersetzt werden. So werden Prozesse optimiert und der Papierverbrauch in der Zukunft auf das notwendige Minimum reduziert.

Gebäudemanagement und Wiederverwertung – mit optimaler Ressourcennutzung

Auch im fertigen Bauwerk gibt es zahlreiche Stellschrauben, an denen Ressourcen im Gebäudebetrieb eingespart werden können, indem die Flächen optimal genutzt und verwaltet werden. Durch Integrated Workplace Management Systeme (IWMS) lassen sich Heizung, Lüftung und Licht optimal steuern. Zudem wird der Bedarf an Büroflächen gemessen; so muss nur der Flächenbedarf geplant werden, der auch wirklich nötig ist. Das sind wichtige Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Der positive Zusatzeffekt: Die Mitarbeiter profitieren von einer positiven Arbeitsumgebung durch die richtige Temperatur und Lüftung.  

Sogar die Wiederverwendung von Rohstoffen aus rückgebauten Bauwerken ist durch den Einsatz von BIM-Lösungen möglich. Durch eine lückenlose Dokumentation kann auch Jahre später genau verortet werden, welches Material wo verbaut wurde. Das Gebäude ist damit zukünftiger Rohstofflieferant in einem geschlossenen Gebäudelebenszyklus.

Ressourcenschutz durch digitale Optimierung und Vermeidung ist längst an vielen Stellen des Bauwesens möglich. Die Akteure müssen sich hierfür vor allem dazu entscheiden, aktiv zum Umweltschutz beitragen zu wollen und ihre Ziele bereits in der Planung gemeinsam definieren.  

Quellen:
[i] Global Status Report 2018, Quelle BMWi
[ii]Engineering-News Record 2017
[iii]Heritage school of governance (2015), 170 projects analyzed, Flyvbjerg et al. (2013) Undersetimating costs in public works projects: Error or Lie?
[iv]PwC BIM Benefits Methodology & Report 2018. https://www.cdbb.cam.ac.uk/news/2018JuneBIMBenefits
[v] Metsä Wood Pavilion in Tokyo
[vi]https://kaiju.sds2.com/sites/default/files/website-images/sds2-case-studies/CaseStudy-Connection-Optimization.pdf
[vii]https://www.allplan.com/fileadmin/user_upload/countries/international/pdfs/references/CaseStudy_Gotthard_Basistunnel_EN_UK.pdf
[viii] https://www.bluebeam.com/uk/solutions/customers/plumco
[ix]https://www.strxur.com/bluebeam-contribution-environmental-sustainability/

 

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