Trends in der Baubranche: Klimaschutz und Nachhaltigkeit schaffen den Durchbruch

Daria Saharova ist Managing Director des Risikokapitalfonds Vito ONE und eine der bekanntesten Startup-Investorinnen mit Fokus auf Bau- und Immobilienbranche. Für die DBZ hat sie aufgeschrieben, welche Trends die Entwicklung unserer Branche in den kommenden Monaten und Jahre bestimmen werden.

#1 Nachhaltigkeit wird DAS PropTech-Investitionsthema
Für die Immobilienbranche, als einem der größten CO2-Verursacher, ist Nachhaltigkeit DAS Thema schlechthin. Wenn die Corona-bedingte Investitionsflaute hoffentlich bald zu Ende ist, gehe ich davon aus, dass Startups mit klimafreundlichen PropTech-Lösungen wieder gute Chancen haben, auf das Interesse der Investoren zu stoßen. Denn das wichtigste Problem, vor dem wir als Menschheit zurzeit stehen und in den kommenden Jahren stehen werden, ist den Klimawandel zu bremsen – wer hier einen Beitrag leistet, hat gute Karten.
 
#2 Baustellen werden grüner
Konkret wird es bei den Investitionen zum Beispiel um Lösungen für nachhaltigere Baustellen gehen. Allein die Herstellung von Zement ist weltweit für bis zu acht Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Das Startup Alcemy zum Beispiel optimiert dank Künstlicher Intelligenz in der Zementproduktion die benötigte Energiemenge und reduziert so den CO2-Fußabdruck. Criaterra entwickelt eine Alternative zum Zement und bietet heute schon einen neuen 100 Prozent recycelbaren Baustoff an. Dabei ist der Baustoff genauso belastbar wie Zement.
 
#3 CO2-Problem lösen
Ein wichtiges Thema ist auch die Reduktion des Kohlendioxid-Gehalts in der Atmosphäre. Neben der Vermeidung von CO2-Ausstoß werden auch neue Möglichkeiten gesucht, der Luft CO2 zu entziehen und es zu binden. Das Startup Positerra beispielsweise wird dies in Zukunft durch den Aufbau von Humusflächen erreichen. Unternehmen wie Climeworks und Carbon Engineering haben Technologien entwickelt, die dazu fähig sind, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen. In den letzten zwei Jahren haben allein diese beiden Startups über 100 Millionen US-Dollar an Kapital bekommen. Die Machbarkeit ihres Ansatzes wurde in mehreren Pilotanlagen erfolgreich demonstriert. Aktuell wird vor allem an der sicheren Lagerung des gesammelten CO2 gearbeitet und nach kommerziellen Anwendungen gesucht. Es kann zu Steinen verpresst oder als Dünger verwendet werden.
 
#4 Smart Home
Eine Technologie, deren Durchbruch seit Jahren angekündigt wurde, ist das Thema Smart Home. Ich könnte mir vorstellen, dass es in den kommenden Monaten einen deutlichen Schritt nach vorne geht. Denn seit dem Corona-Ausbruch und der langen Zeit zu Hause beobachtet man verstärkte Investitionen in „die eigenen vier Wände“. In neue Küchen zum Beispiel, aber auch in Home-Energy-Management-Systeme (HEMS). Startups wie gridX oder tado könnten dadurch ihren kommerziellen Durchbruch erleben. So ein HEMS sorgt dafür, dass die elektrische Energie im Haus sicher verteilt und der Verbrauch flexibel gemanagt wird. Das senkt den Stromverbrauch und schützt damit das Klima.
 
#5 Space, smart gemanaged
Die “Space as a Service”-Anbieter haben es in den Corona- und Home-Office-Zeiten nicht einfach. Das Problem bleibt dennoch: Wie optimiere ich die Nutzung von Räumen und gestalte diese effizienter? Hier können Smart-Building-Lösungen wie z. B. von dem schweizer Startup Locatee ein spannender Weg zum Ziel sein.
 
Auch für weitere Anwendungsfälle macht eine intelligente Vernetzung des Gebäudes Sinn. In der Corona-Hochzeit war im Fall von Intensivbetten in Krankenhäusern sowohl die Anzahl der verfügbaren Betten wichtig als auch deren Steuerung. Das Berliner Startup Simplinic bietet eine IoT-basierte End-to-End-Infrastruktur speziell für Krankenhäuser an. Mit Hilfe von Sensoren wird jedes einzelne Bett vernetzt und somit eine effiziente Belegung und Transparenz hinsichtlich der Kapazitäten ermöglicht. Es zeigt, wie smarte Gebäudenutzung dazu beitragen kann, Leben zu retten.
 
#6 Baustellen-Roboter
Roboter haben in Pilotprojekten schon mehrfach ganze Häuser gefertigt. Zuletzt das DFAB House in Zürich, das durch additive Fertigungsverfahren bzw. 3D-Druck mithilfe von Robotern 60 Prozent weniger Zement benötigte. Keine andere Bautechnologie kann den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes so radikal reduzieren und dazu noch zu neuen Rekorden bei der Bauzeit führen. Die größte Hürde für den Sprung in die Praxis bleibt die Integration in den Bauprozess. Erste Startups versuchen, Teile des Bauprozesses mit Robotern abzubilden. Beispiel sind Rebartek, PrintStone, aeditive oder Cybe. Langfristig wird sich aber der ganze Bauprozess signifikant verändern und an die neuen technologischen Möglichkeiten anpassen. 2020 werden wir weitere Lösungen für additive Fertigungsverfahren und Roboter sehen – und signifikante Finanzierungsrunden.
 
Und sonst noch?
In den kommenden Jahren werden wir Fortschritte in weiteren Technologieanwendungen in der Baubranche sehen. So ist etwa das Building Information Modeling (BIM) 2020 verpflichtend für öffentliche Bauprojekte geworden. Das kann Startups wie imerso oder disperse helfen. Und auch AR/VR, Künstliche Intelligenz und Blockchain werden sich kommerziell weiterentwickeln. Aufgrund der Coronakrise steht uns ein spannendes „Neues Normal“ in der Baubranche bevor.

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