Die Revolution findet nicht stattWas wir auf der Architekturbiennale in Venedig sehen
Eigentlich ist Venedig, La Serenissima Repubblica di San Marco, viel zu schön. Trotz aller vagabundierender oder strenggeführter Touristengruppen in den noch schmalsten Gassen. Zu schön ist diese magische, in einen Dornröschenwachschlaf versinkende Stadt, um hier kostbare Zeit in schlechtbeleuchteten und noch schlechter klimatisierten Pavillons zu verbringen. Oder in endlos langen Ausstellungskorridoren, die vollgestopft wurden mit kunststoffglänzendem Mobiliar, dessen Zweck nur ihren Schöpfern bekannt ist. Deren Zukunftsbestimmung so vage bleibt, wie die rudimentären Botschaften, die auf allgegenwärtigen Monitoren jeden Schritt und Tritt der im Bilder- und Skulpturenwald Vorwärtstastenden zu kommentieren scheinen.
Es ist Architekturbiennalezeit, Ausnahmezeit. Nicht für die alles schon erduldende Stadt, nicht für die Gastronomen, Gondolieri oder Hoteliers. Für die Architekten aus aller Welt. Für die, die prestigeanhäufend teilnehmen mit eigenen Statements, für die, die diese Statements goutieren. Oder zulassen. Nach Venedig muss man natürlich nur, wenn es die Zeit erlaubt. Die knappe Zeit. Am besten wird man eingeladen für die ersten Tage, an denen man die Stars von ganz nahe sehen kann, Jean Nouvel im schwarzen Anzug, Jacques Herzog im T-Shirt, lachsfarben. Jörn Utzon konnte nicht kommen, die schöne Werkschau im Palazzo Franchetti musste ohne den publikumsscheuen Mann auskommen. Le Corbusier, der mit seinem l‘ospedale di Venezia immer noch einen Koffer in Venedig hat, war im Geiste anwesend, Frank Gehry kam, um seinen Löwen abzuholen, den man ihm für sein Lebenswerk verliehen hat. Daniel Libeskind wurde ebenso gesehen wie Zaha Hadid, auch Herr Foster gab sich die Ehre. Minister waren da, den deutschen, Herrn Tiefensee, hätte man auf seinem Rundgang durch die Nationenpavillons in den Gardini begleiten können. Wenn es nicht so sehr aus allen Wolken heruntergebrochen wäre, das Himmelsnass aus dem von Blitzen zerzuckten pechschwarzen Himmel. Gerade war der Bundesbauminister noch Teilnehmer einer durchaus kontroversen BDA-Podiumsdiskussion, deren Titel „Vor der Sintflut“ nicht trefflicher das Nachher im Gelände hätte ankündigen können.
Tatsächlich wagten nicht viele, sich über das Diktum des Mottos hinwegzusetzen, in den meisten Pavillons fand man, was gesucht werden wollte: Vernunft. Die Franzosen nahmen das dabei allerdings in typischer Grand manier und behaupteten, ihre hier gezeigten und realisierten Projekte seien eben mehr als die Architektur sonstwo. Die anderen, Großbritannien, versuchten seriös dagegen zu halten und zeigten ebenfalls Projekte, aber eben vorbildliche. Wieder andere, Russland, versuchten sich in einer Art peinlichem Showdown, in der Gegenüberstellung von eigenem und ausländischem Schaffen auf die eigenen, also nachhaltigen Wurzeln zu berufen. Der als bester Nationen-Beitrag ausgezeichnete polnische Pavillon („Hotel Polonia“) setzte die gebaute Realität mit ihrer Zukunft in grellen Kontrast, Übergänge inklusive. Diese bilderstarke, ästhetisch überzeugende Darstellung wird bei den benachbarten Serben mit „wohnlich“ gleichsam fortgesetzt, auch hier laden Betten zum entspannten Nachsinnen über Realitäten und ihre Zukunft ein.
Im deutschen Pavillon ist man glücklicherweise von der Strategie der Best-Practice-Schau abgewichen, erstmals steht hier nicht ökologisch einwandfreie, ästhetisch anspruchsvolle, technologisch ausgereifte Exportware zur Ansicht, die Kuratoren haben schlicht 100 Beispiele aus Architektur, Design oder Forschung gesammelt, die die bundesrepublikanische Gesellschaft, Wirtschaft, Politik etc. zum Nachdenken anregen soll: „Updating Germany“ haben die Generalkommissare Friedrich von Borries und Matthias Böttger ihre Arbeit genannt, die nicht zur Revolution aufruft, sondern zum Nachdenken freundlich einlädt. Der kleine Schocker im Nebenraum, das „Technical Paradis“ des Künstlers Ton Matton, das uns kleine Ostbäume am Tropf und unter Wärmelampen zeigt, ist allenfalls ein netter Versuch. Die Produktionsbedingungen von Gemüse in den Niederlanden bieten hier seit Jahrzehnten wesentlich drastischere Szenarien.
Überhaupt das Drastische. Überhaupt Revolution. Es gab nichts dergleichen. Es gab keine Verweigerer, es gab keine Saboteure, alle haben sie brav mitgemacht; weil wir allein im steten Voranschreiten in der Erkenntnis die Welt verändern können? Die löwengepriesenen „Toy furniture“ von Greg Lynn FORM sind allenfalls als ein spätes Ergebnis der Computerrevolution anzusehen, wiederverwendeter, grellbunter Kunststoffschrott in vielfältig interpretierbare Raumformen spritzgegossen. Revolutionäres auch nicht bei den Experimentellen der Show, die sich im Italienischen Pavillon um Aufmerksamkeit drängeln. Hier mutet die den größten Raum zart füllende Skulptur der Basler Herzog & de Meuron mit Ai Weiwei wie das Echo eines Dankeschöns an, das die Architekten jemandem schulden, der ihnen eine große Tür nach Olympia aufgestoßen hat.
Dann, ganz am Rande doch: Im Pavillon von Venezuela versucht man sich an der Verweigerung. Gleich zu Beginn des Ausstellungsflyertextes kann man lesen: „Die Biennale ist gesättig mit außergewöhnlichen Projekten, die alle dem Gusto eines Marktes folgen wie dem des Show-Buisness.“ Und Venezuela wirft mit Zahlenmaterial um sich und klebt es an die Wände. Und zeigt im Raum gegenüber Kinder, die, sämtlich hochbegabt, musizieren, dass es eine Freude schöner Götterfunken ist. Architektur? Eine reine Notwendigkeit, Musik auch bei Regen und Wind machen zu können, nicht mehr.
Das „Beyond Architecture“ hat uns viel, aber auch nichts versprochen. Hinter der Architektur ist nichts, oder wiederum: Architektur. Was nehmen wir dann aus Venedig mit in den Alltag? Fingerzeige, die aktuelle Ikonografie von Luxus, eine Ahnung von vorsintflutlicher Gegenwart und die Gewissheit, dass auch 2010 wieder keine Revolution stattfindet; in Venedig jedenfalls.
Weitere Informationen unter www.labiennale.org