„Die Vernetzung der Dis­ziplinen ist der Schlüssel“


Stefanie Hickl und Thomas Quisinsky zum Thema „Ingenieurbauten“

Ohne eine integrale Planung lassen sich komplexe Bauaufgaben nicht lösen. Umso notwendiger, dass schon während des Studiums über den eigenen Tellerrand, sprich die eigene Fachdisziplin, hinaus gedacht wird. Stefanie Hickl und Thomas Quisinsky haben sich für ihre Diplomarbeit ganz bewusst ein multidisziplinäres Thema gesucht und das Venice Hub entworfen, einen Verkehrsknotenpunkt, der  

Venedig mit dem Flughafen und der Stadt Mestre auf dem Festland verbindet.

 

Erläutern Sie bitte das infrastrukturelle Konzept des Venice Hub.

Unsere Arbeit gliedert sich in zwei wesentliche Bereiche: Erstens, ein neu entwickeltes Verkehrssystem, welches die beiden Stadtteile Centro Storico und Mestre besser miteinander verknüpft und in einen weitreichenden städtebaulichen Entwicklungsplan eingebettet ist sowie zweitens, den eigens für dieses Fahrsystem konzipierten zentralen Verkehrsknotenpunkt. Das Kernstück des Systems bildet ein amphibisches Shuttle, welches aufgrund seiner Gestalt in der Lage ist, sich sowohl als Katamaran im Wasser als auch auf einem Fahrbalken ähnlich einer Monorail auf dem Festland fortzubewegen. Die dafür notwendige Energie wird durch Solarfelder erzeugt, die integraler Bestandteil der Fahrwegskonstruktion sind. Mit einer Gesamtfläche von ca. 60 000 m² entsteht so ein sich selbst versorgendes Streckennetz.

Die Shuttleflotte agiert als eine Expressverbindung zwischen den Hauptverkehrspunkten beider Stadtteile. Dabei wird das bestehende Verkehrsnetz nicht verändert, vielmehr kann das Projekt als eine neue Ausbaustufe und Modernisierung verstanden werden. Durch die Neuordnung der Personen- und Warenströme werden im Bereich der Parkinsel Tronchetto große Stadtflächen frei. Diese können für zukünftige städtebauliche Entwicklungen Insel-Venedigs genutzt werden.

 

Wie gestaltet sich das Venice Hub architektonisch-konstruktiv?

Der zentrale Verkehrsknotenpunkt befindet sich am Kopfpunkt der ehemaligen Auto- und Eisenbahnbrücke nach Venedig. Dort werden alle ankommenden Verkehrsströme (Bahn, Busse, PKW, Taxis, Touristenbusse, Fußgänger) gebündelt und auf das Shuttlesystem umge­leitet. Um die zentrale Verteilerfläche, welche sich unterhalb einer transparenten Überdachung befindet, sind verschiedene Nutzungen angeordnet: ein Durchgangsbahnhof, großzügige Parkflächen für PKW und Touristenbusse, ein überregionaler Busbahnhof, Taxistände, Anlegestellen für Schiffe und Boote sowie Retailflächen. PKW-Parkflächen für Touristen sind direkt an der Autobahn angesiedelt und über das Shuttlenetz an das System angeschlossen.

Die Gebäudeform entsteht durch die Verdickung der Fahrwege aus den drei Hauptverkehrsrichtungen (Mestre Nord, Mestre Süd, Venedig), welche im Gebäude gesammelt und sortiert werden. Die daraus entstehenden Brückenbögen definieren den Raum, in dem sich die Bewegungsströme konzentrieren. Jeder der drei ankommenden Fahr­wege wird beim Eintritt in das Gebäude in die jeweils beiden anderen Richtungen aufgesplittet und beim Austritt mit einem in dieselbe Richtung führenden Fahrweg kombiniert. Diese Ordnung ermöglicht, dass an den jeweiligen Einstiegsplattformen beidseitig Shuttles halten, welche in dieselbe Richtung fahren. Dadurch werden eine gute Orientierung sowie eine hohe Benutzerfreundlichkeit gewährleistet.

Um dem Hauptstrom nach Venedig gerecht zu werden, weist die Brückenkonstruktion in diese Richtung doppelt so viele Fahrspuren auf. Kurz vor der Lagunenstadt verlassen die Shuttles über einen Ein- und Ausfädelpunkt den Fahrweg und agieren ab dort als ein wassergebundenes Verkehrsmittel, welches an die besonderen Begebenheiten Venedigs optimal angepasst ist.

Sie haben beim Förderpreis des Deutschen Stahlbaus für Ihre Arbeit einen Sonderpreis erhalten. In der Laudatio wurde u.a. der „Impuls zum interdisziplinären Handeln“ hervorgehoben. Welche Rolle spielte dieser Aspekt bei Ihrem Entwurf und während Ihres Studiums?

An der Fakultät Architektur und Stadtplanung der Universität Stutt­gart wird großer Wert auf integriertes Arbeiten gelegt. Projekte mit Bauingenieuren, Energieplanern und Desig­nern anderer Fakultäten und Hochschulen sind fester Bestandteil des Lehrangebots. Wir haben daher für unsere Diplomarbeit bewusst ein Thema gewählt, welches in besonderer Weise multidisziplinäres Denken und Arbeiten ­erfordert. Transport, Design, Verkehrsplanung, Städtebau, Tragkonstruktion und nachhaltige Energiesysteme spielen eine ebenso große Rolle wie die architektonische Gestaltung. Dabei haben wir uns nicht nur auf unsere eigene Recherche verlassen, sondern uns auch intensiv mit Experten der jeweiligen Disziplinen ausgetauscht.

Worin bestehen die zukünftigen Herausforderungen in der Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren?

Am Beispiel der Bionik lässt sich erkennen, dass Architektur von weitaus mehr Fachbereichen profitieren kann, als auf den ersten Blick erkennbar. Dies setzt allerdings Neugier und Interesse beider Seiten voraus. Dem Architekten kommt dabei seine klassische Rolle als Vermittler zu. Unserer Meinung nach stellt die enge Vernetzung der ­Disziplinen den Schlüssel zur gegenseitigen Bereicherung dar. Wichtig ist, dass das Fachwissen aller Beteiligten von Anfang an in die Planung einfließt. Diese Denkhaltung sollte bereits im Studium eingeübt werden. Unsere positiven Erfahrungen, die wir während des Studiums gesammelt haben – bei der Teamarbeit mit Kommilitonen, bei der Zusammenarbeit mit Studenten anderer Fachdisziplinen, beim Austausch mit Experten verschiedener Fakultäten, beim Studium und Praktikum im Ausland – haben uns bei unserem Berufseinstieg in einem internationalen Architekturbüro sehr geholfen.


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