Die andere Seite des Wohnens
Der Fotograf Michael Wolf zeigt uns Hongkong out- und inside

Hongkong, „duftender Hafen“, Perle des Orients. Sagt man, lange her. Doch man könnte die dem Perlen-Bild inneliegende Härte noch steigern: Hongkong, Diamant unter den Weltstädten. Zur Härte, die sich aus hoher Dichte ergibt, ein paar Zahlen: Während in München beispielsweise 4 300 Menschen auf einem km² leben, sind es in der sieben-Millionen-Stadt am Perlstrom 6 500; und 52 123 da selbst im Distrikt Kwun Tong. In Hongkong wird diese Dichte aus der geographischen Lage einer­seits wie der staatlichen Wohnungsversorgung andererseits erzeugt. 2,3 m² reine Wohnfläche je Mensch, dieser Minimalstandard aus den 50er Jahren für so genannte unterentwickelte Län­der dieser Welt, gilt bis in die Gegenwart. Das ist die Fläche für ein hochgestelltes Bett, einen selbstgebastelten Kochplatz, einen Tisch. Habseligkeiten lagern wo noch Platz ist, der Abort ist draußen ein Ort für viele.

100 dieser Wohn- und Lebensräume hat der in Hongkong lebende Fotograf Michael Wolf mit deren Bewohnern dort fotografiert, 100 mal „Hongkong Inside“. Der zweite Band der in einem Schuber zusammengefassten Arbeit zeigt die Wohntürme, in denen sich die rund 11 m² großen Einraumwohnungen heute stapeln, ohne Horizont, maßstabslos im größtmöglichen Ausschnitt; Muster, Horrorbilder. Doch was uns, die wir mittlerweile auf riesigen 40 m² im Durchschnitt leben, erschreckt, ist den meist für Niedrigstlohn Arbeitenden nicht das Schlimmste. Beinahe alle geben in den Kurzportraits an, sie wüssten insbesondere die menschliche Nähe, die Nachbarschaft (in der Wüste?!) zu schätzen.

Aus der Distanz – so auf dem letzten Foto des „Outside“ genannten ersten Bandes zu sehen – wirken die Wohnhochhäuser weniger bedrohlich, der Blick geht in die Weite, in die Hügellandschaft, aufs Wasser hinaus. Aber auch auf neue Baufelder, eng gesetzte Plantagenflächen schnellwachsender Hochstamm­wälder aus Fertigbetonteilen, die irgendwie eingefärbt ihr graues Material übertünchen. Doch in der extremen Dichte ihrer Nachbarschaft kann man jetzt schon ahnen, dass hier wie schon in den umliegenden Turmwäldern allein die zum Rand hin liegenden Fenster Licht bringen; in Räume, in denen zu leben uns ein Horror wäre, an deren Dasein unser fragwürdiges Konsumverhalten allerdings einen nicht geringen Anteil hat. Be. K.

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