Drei Versuchshäuser, Bad Aibling

Manchmal braucht es einfach die Frustration. Um daraus zu ganz neuen Dingen zu gelangen. Das, was bisher für gut und gültig angesehen wurde, ja, was bisher auch eine konsensuale Anerkennung fand in allen Gremien und Laudatorengruppen, das zu überwinden und einmal das zu machen, was man immer schon machen wollte. Das Komplizierte sein zu lassen, nicht jeder Norm folgen, nicht aller Routine die Referenz zu erweisen. Einmal dem gesunden Menschenverstand folgen, der auf nichts weniger beruht als auf einer hunderte Jahren alten Erfahrung.

Nun, ganz so einfach ist das Einfache nicht. Wir fragten im vergangenen Heft den Hochschullehrer, Forscher und Architekten Florian Nagler dazu und seine Antwort lautete, dass das Einfache ganz schön kompliziert sein könne! (DBZ 10|2020,
S. 14f.) Der Architekt, der mit dem vielfach ausgezeichneten Schmuttertal-Gymnasium in Diedorf an die Grenzen des für den Bauherrn Zumutbaren gestoßen war, wie er selbst sagt, wollte das nicht mehr: Noch mehr Technik, mehr Schaltkreise, mehr Agieren und Reagieren. Er wollte nur noch über ein Haus nachdenken, das Wände hat, ein Dach, Fenster und Türen. Keine Zwangslüftung, keine Stellmotoren, Monitore und Sensoren, die, wenn nur ein Teil ausfällt und die Redundanzen überfordert sind, das Haus im Regen stehen lassen. Wer kann die Anlagen bedienen? Und: Wer kann sie in Stand und auch auf dem Stand halten? Woher kommen die Rohstoffe, wohin gehen sie? Das Schema der Technikinfrastruktur des Gymnasiums, dem BIM Modell entnommen und im Rahmen eines Symposiums an der RWTH gezeigt, offenbart das Dilemma des Komplizierten: Theoretisch ist alles möglich, praktisch aber ist das Theoretische gar nicht nötig.

Also drei Varianten: Holz, Ziegel und Leichtbeton. Wände, Dach, Decken. Die Treppen Betonfertigteile, die Bäder Module. Einschaligkeit, keine Folien. Teerpappe auf dem Dach, die Leitungen hinter den Fußleisten. Und davor: Simulationen von 2 600 Raumvarianten. Grundrisse, Fensteröffnungen, Raumhöhen. Sisalteppich, nackter Leichtbeton (noch zu teuer) oder Gipskarton. Die Simulationen eines irgendwie nach Außen geöffneten Volumens ergaben optimale Größen bezogen auf das Volumen und die Flächen, die Positionierung der Fenster. Die wurden rund im Sturz, das Monolithische im Beton sollte nicht durch Fertigteile gestört werden. Beim Ziegelmauerwerk durfte kein Beton oder Eisen zum Einsatz kommen, beim Holz: rechteckige Fenster. In allen drei Bauten sind sie so gesetzt, dass sie vergleichbar sitzen: Position und Fläche. Denn nach Fertigstellung und in der Nutzungsphase werden alle drei Bauten bezüglich ihrer Verbrauchswerte evaluiert. Um das optimale Material zu finden: Holz oder Leichtbeton oder Ziegel (ungedämmt, versteht sich).

Es wurde untersucht, mit welchem Energieaufwand welches Material bereitgestellt werden muss. Mit welchem es in die Wiederverwertung gelangt. Es wurden maximale/minimale Dimensionierungen simuliert, Verbräuche gegen Gewinne gerechnet, so beispielsweise der Energieaufwand bei der Herstellung höher dämmender Wände gegen den des geringeren Heizaufwands. Lebenszyklusanalysen wurden erstellt und dann kommt in dem 350 Seiten umfassenden ersten Forschungsbericht dieser Satz: „Es wird von einem intelligenten Nutzer ausgegangen.“ (S. 145) Also doch am Ende wir Menschen?

„300 Seiten Forschungsbericht liest kein Mensch“ ist das Gespräch mit Florian Nagler getitelt. Ja, das liest vermutlich keiner. Zu wenig Zeit. Es gibt aber drei Häuser, die fertig dastehen und deren Mieter man befragen kann in Bad Aibling, nahe Rosenheim. Da stehen die drei jetzt, teilbezogen der Leichtbetonbau, die beiden anderen vor dem Erstbezug. Auf dem weiten Gelände sollen weitere Experimente folgen, iniitiert von einem Immobilienunternehmer. Der Mann – Dr. Ernst Böhm – hat bereits mit dem Holzbau Erfahrungen gesammelt und mit Florian Nagler gearbeitet.

Wohin das alles führt? Die MitarbeiterInnen bei Florian Nagler wünschten sich das einfache Machen von Häusern zurück, wobei sie das einfache Machen als das verstehen, was auf Normung beruht (Maße, Produkte, Eigenschaften etc.). Dass das einfache Bauen so kompliziert ist, mag überraschen, blendet man die Nachweisproblematiken aus. Denn „einfach“ heisst heute meist: gegen die Norm. Und gegen die Norm heisst auch, ohne Gewähr. Es sei denn, man vertraut ganz einfach dem gesunden Menschenverstand, der auf nichts weniger beruht als auf einer Hunderte Jahre alten Erfahrung, wie man ein Wohnhaus zum Beispiel machen kann. Be. K.

www.einfach-bauen.net, www.nagler-architekten.de
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