Dynamiken provoziertHörsaalgebäude,
Osnabrück
Osnabrück
Das neue Hörsaalgebäude auf dem Campus gehorcht einem Dualismus, der auf verschiedenen Ebenen arbeitet: der funktionalen, der konstruktiven und der gestalterischen. Hier das massive Gehäuse mit strengen Lehrräumen, dort die schwebende Lernlandschaft
in leichter Stahlbauweise. Geht es noch dynamischer?
Lernen in der Campuslandschaft
„Campus“, das umschreibt vornehm heute meist, die Not innerstädtischen Raumes mit der Tugend randstädtischer Weite zu beantworten. Campus-Universitäten sind heute nicht mehr die elitären Lernschulen in elysischer Parklandschaft à la Princeton University, jedenfalls nicht in Deutschland. Hier wurden, insbesondere seit den Siebziger Jahren, Campus-Universitäten als Bildungseinrichtungskluster interpretiert, die möglichst sämtliche hochschulischen Einrichtungen auf der grünen Wiese konzentrieren. Das sollte durchaus vordergründig dem interdisziplinären Austausch dienen, war ebenfalls aber auch dem mangelhaften Immobilienmanagement der Gemeinden geschuldet, das eine innerstädtische Konzentration verstreut liegender Hochschuleinrichtungen auf eigenem Grund, im eigenen Bestand verhinderte.
In Osnabrück liegt der neue Campus Westerberg auf einem Konversionsgelände inmitten des bestehenden baulichen Hochschulgeflechts aus Fachhochschule und Universität mit unterschiedlichen Fachbereichen, Mensa, Bibliothek und Botanischem Garten. Hier hatte 2009 die pbr Planungsbüro Rohling AG, Osnabrück, in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten Lützow 7, Berlin, eine Masterplanung abgeliefert. Die schrieb im Wesentlichen einen Campusplatz und ein Forum fest: öffentlicher Raum, gebildet von Hörsaal, Mensa und Bibliothek sowie zwei Sonderbauten (Rechenzentren?).
Städtebau generiert Lernfläche
Die Festschreibung der genannten Volumina ergab für den Realisierungswettbewerb 2010 einerseits einen Quader, andererseits die Notwendigkeit größtmöglicher Durchlässigkeit zwischen Campusplatz und Forum. Der erstplatzierte Entwurf von harris + kurrle architekten bda, Stuttgart, unterscheidet sich als abstrakter Baukörper nicht wesentlich vom realisierten Zweiten im Wettbewerb, Benthem Crouwel GmbH, Aachen. Allerdings hatten beide Schwächen, die das Aachener Büro im Verhandlungsverfahren souverän überarbeiten und damit überzeugen konnte.
Im Gegensatz zum Wettbewerbsgewinner zogen Benthem Crouwel das Volumen am Engpass nicht bloß auf Erdgeschosshöhe ein, sie zogen es vom Boden in die Höhe. Und erzeugten nicht einfach eine negative Keilform, sie erweiterten den Raum unterhalb des Quaderkopfs vom Campusplatz dynamisch ansteigend zum Forum hin mit einer hier gut 42 m weiten Auskragung. Damit erzeugten sie einen Raum, der für die vorgegebene Nutzung „Hörsäle und Seminarräume“ eigentlich nicht geeignet war.
Offene Lernlandschaft
Man darf sie ruhig wörtlich nehmen, die „Landschaft“. Als eine Lernlandschaft versteht sie sich, als gestaltetes Raumangebot, das das Miteinander fördern, freies Arbeiten anregen und Inspirationen stimulieren soll. Dazu bietet sie Zonen an, die das Lernen mit Abschweifung und Konzentration, mit Ruhe und chaotischem Zusammenwirken direkt und indirekt unterstützt. Konkreter heißt das, dass die Lernlandschaft im Hörsaalgebäude mit ihrer übersichtlichen wie zugleich dezenten Zonierung offene Gruppenbildung und Rückzug zugleich ermöglichen muss. Das erreichen die Planer durch die Terrassierung der doppelt geneigten Rampe über breite „Schollen“ mit einem Parkettboden aus geräucherter Eiche. Sie erreichen die Zonierung durch den offenen Übergang vom Foyer auf die unterschiedlichen Lernlandschaftsebenen, durch die generelleund spezielle (über den Tischen) Ausleuchtung des Raumes durch Tages- und Kunstlicht und nicht zuletzt durch zahllose Steckdosen in den selbst entworfenen Tischmöbeln. WLAN ist selbstverständlich. Der Bau ist behindertengerecht mit Einschränkung, aber in Absprache mit dem städtischen Behindertenforum realisiert. Die Möblierung, die in der Lernlandschaft aus Architektenhand kommt und sich aus den engen Budgetvorgaben entwickeln musste, ist, abgesehen von den gefalte-ten Tischblättern, weitestgehend mobil und verwirklicht damit den Anspruch der Planer, hier „selbst konfigurierbare Bereiche“ schaffen zu können (Sitzsack, Hocker etc.).
Offene Lernlandschaft vs. Kastenräume
Doch wahrscheinlich würde der offene, vielgestaltige Raum am öst lichen Ende des Quaders nicht so attraktiv im wahren Sinne des Wortes sein, wäre im gegenüberliegenden Teil nicht die Welt der Rechteckräume untergebracht. Man kann fast sagen: gestapelt. Wer hier Hörsäle mit aufsteigendem Rang erwartet, wird enttäuscht, oder anders: Er wird eines Besseren belehrt. Die sehr nüchterne Atmosphäre ist wie das Fehlen des aufsteigenden Ranges die Konsequenz strickt knapper Budgetierung. Sicht ist dennoch von jedem Platz aus möglich, moderne Präsentationstechniken gleichen Sichteinschränkungen aus.
Den Geländeabfall von rund 1,5 m (von Ost nach West) nutzen die Architekten für höhere Räume (Hörsäle) im EG und 1. OG im westlichen Quaderabschluss. Die 24 Seminarräume mit unterschiedlicher Größe sind im Grunde genommen nichts anderes als verkleinerte Hörsäle.
Die Konzentration teils sehr kompakter, geschlossener (Seminar)Räume auf allen Ebenen ergibt, da sie alle über Flure an die Lernlandschaft angebunden sind, eine Spannung, die deutlich gerichtet ist: aus den kühlen, sehr hellen, fast schon aseptisch anmutenden Lernräumen mit streng gebauter Sitzordnung hin zum informellen, loungeähnlichen Großraum Lernlandschaft.
Brandschutz / Akustik
Dem Brandschutz wurde Genüge getan über Rauchschürzen im Übergang Foyer / Seminar räume. Die RWA-Anlagen im Foyerglasdach, Nachzug über sich öffnende Fassadenelemente in der Glashaut und natürlich die vollständige Einkleidung des Stahlfachwerks in der Lernlandschaft mit Mineralplatten (F90) erfüllen die Anforderungen. Um Nachhallzeiten gerade in der offenen Lernlandschaft gering zu halten, wurde die sichtbare Deckenkonstruktion der TT-StB-Platten ergänzt durch Akustikbaffeln aus weißbeschichteten Mineralfaserplatten mit hoher Schallabsorption. Die maximale Bestückung der Deckenflächen mit linear angeordneten Absorbern ergibt gute akustische Werte. Dass die Planer Langfeldleuchten und Strahler in die Baffeln integriert haben, erweist sich als gestalterischer Glücksgriff: Akustik und differenzierte Lichtstimmungen erzeugen eben zusammen den Raumeindruck.
Fazit
Die auch außen ablesbare innere Spannung des funktionalen Gebäudes, die sich aus dem Gegenüber von Lernräumen und Lernlandschaft ergibt, ist nichts weniger als die kluge Reaktion auf den städtebaulichen Kniff der Anhebung des Quaderendes für mehr Durchlässigkeit zwischen den öffentlichen Plätzen mit ihren jeweiligen Verteilaufgaben. Die Nutzung der für konventionelle Lernräume nicht geeigneten Schrägen für eine offene Lernlandschaft, hat den Druck erhöht, die geforderten Seminar- und Hörsäle möglichst kompakt im gegenüberliegenden Volumen unterzubringen. Damit haben die Architekten in dem einen Volumen zwei Zentren realisiert, die sich sowohl ergänzen wie sie auch konträre Haltungen zu Lernräumen widerspiegeln. Das zu verklammern und innere Dynamiken zu provozieren, ist in Osnabrück gelungen. Be. K.
Fachhochschule und Universität
Osnabrück
Daniel Vlasfeld, Markus Sporer,
Sascha Rullkötter, Cornelius Wens
Kempen Krause Ingenieure GmbH, Aachen, www.kempenkrause.de
Lützow 7, Berlin, www.luetzow7.de
Enakon Wolfenbüttel GmbH, Hannover