„Ein Schritt aus der
Energieproblematik“

Martin Dietsche zum Thema „Industriebau“

In Zeiten steigender Energiekosten wird es nicht nur im Wohnungsbau zunehmend interessanter, gänzlich ohne Heizung zu planen. Auch für Industriegebäude kann sich der Verzicht auf die konventionelle Beheizung finanziell lohnen. Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre es allemal. Martin Dietsche überprüft in seiner Diplomarbeit am Beispiel des Produktionsgebäudes des Motorsägenherstellers Andreas Stihl, ob und wann sich ein solches Nullwärmekonzept lohnt. Er wurde dafür mit dem 1. Platz beim AGI- Förderpreis (Arbeitsgemeinschaft Industriebau) ausgezeichnet.

 

Sie haben ein Nullwärmekonzept für ein Industriegebäude entwickelt. Welche Maßnahmen spielen dabei eine Rolle?

Es stellt sich für Industrieunternehmen die grundsätzliche Frage: „Ist es möglich, Abfallwärme aus dem Produktionsprozess so zu nutzen, dass darüber hinaus keine zusätzliche Energie für die Beheizung der Gebäude benötigt wird?“ Eine Frage, deren Bejahung ein wichtiger Schritt aus der Energieproblematik sein könnte.

Die Grundüberlegung für dieses Nullwärmekonzept setzt zunächst eine genaue Analyse der zu erwartenden Wärmequellen (Wärmegewinne) und Wärmesenken (Wärmeverluste) in einem Industrieunternehmen voraus. Aufgrund der vielfältigen Gebiete, in der Industrieunternehmen tätig sind, können keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden und beziehen sich allein auf das Unternehmen Andreas Stihl AG & Co. KG.

Basierend auf dieser Analyse galt es die Wärmequellen hinsichtlich ihres Temperaturniveaus und zeitlichen Verfügbarkeit zu bewerten. So ist zum Beispiel die Wärmerückgewinnung einer Druckluftanlage bei einem Temperaturniveau von 60 bis 70° C von höherer Wertigkeit als 25 bis 30 ° C Abluft aus einem Produktionsprozess, auch wenn diese vom Energiegehalt höher ausfällt. In Leistungs- und Energiebilanzen mit unterschiedlichen Optimierungsmaßnah­men wurden fünf Varianten dargestellt.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Anhand konkreter Berechnungen mit festgelegten und variablen Randbedingungen an einem Gebäudemodell wird deutlich, dass ein neu zu errichtendes Industriegebäude durchaus ohne eine konventionelle Wärmeenergieerzeugung auskommen kann. Das Gebäudemodell basiert dabei auf einem bereits realisierten Industriegebäude, das bei einer weiteren Expansion des Unternehmens als Vorlage dienen kann. Wichtig ist, dass ein Nullwärmekonzept nur unter bestimmten Randbedingungen, wie hoher Wärmedämmstandard und Dreischichtbetrieb möglich ist. Eine Nutzung von Wärmerückgewinnung bei Lüftungs- und Drucklufterzeugungsanlagen mit hohen Wirkungsgraden, der Wärmeauskopplung bei Kältemaschinen und von internen Lasten sind Grundvoraussetzung für einen Erfolg dieses Konzeptes. Wirtschaftlichkeitsberechnungen, unter Berücksichtigung von einmaligen und laufenden Zahlungen, zu den untersuchten Varianten sprechen klar für dieses Konzept.

 

Denken Sie, dass die Einsparung konventioneller Wärmeenergieerzeuger beim Bau zukünftiger Industriebauten an Bedeutung gewinnen wird?

Eine Frage die ich mit einem klaren „JA“ beantworten kann! Hohe Energiekosten machen die Versorgung von Gebäuden und Liegenschaften mit thermischer Energie für einen wirtschaftlichen Betrieb zu einem zentralen Thema. Für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Unternehmenspolitik werden die Energiekosten mehr und mehr in den Fokus der Verantwortlichen rücken und zukünftig ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Standortwahl von Unternehmen sein. Dies ist also Verpflichtung und Chance zugleich!

Weiterhin ist der Umweltaspekt zunehmend ein immer wichtiger werdender Imageaspekt bei mittleren und großen Unternehmen. Eventuell ist eine Variante mit Spitzenlastkessel die geeignete Lösung. Dies ist zum einen von den Randbedingungen (Dreischichtbetrieb, Auslastung etc.) und zum anderen von der Bereitschaft des Unternehmens ohne Wärmeerzeugung auszukommen, abhängig.

 

Wie können Ästhetik und Funktionalität bei Industriebauten in Einklang gebracht werden?

Grundsätzlich sehe ich in diesen beiden Anforderungen keinen Widerspruch. In dem hier vorgeschlagenen Konzept wird die gesamte Technik inklusive Wärme- und Kälteverteilung auf einer Technikbühne untergebracht und die einzelnen Zonen von oben erschlossen. Daher sind den gestalterischen Fähigkeiten hinsichtlich Architektur und Ästhetik nahezu keine Grenzen gesetzt. Sicherlich bedarf dies einer konsequenten und anspruchsvollen Planung sowie einer frühen und guten Kommunikation unter allen Projektbeteiligten. Jedoch bin ich der Meinung, dass dies Ansporn und Verpflichtung eines jedes Ingenieurs bzw. Planers sein sollte.  

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