Ein nachhaltiges Gebäude
zu bauen, ist Verhandlung, von A bis Z
Mit der Ernennung des Architekten Amandus Samsøe Sattler zum Nachfolger von Prof. Alexander Rudolphi, der das Präsidentenamt der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB acht Jahre innehatte, wird keine neue Zeit bei der DGNB anbrechen, aber es gibt eine neue Orientierung. Die DGNB wird ab sofort von einem Architekten vertreten sein, der den gesellschaftlichen Wandel als eine Vision für sich in Anspruch nimmt und sich vorgenommen hat, Themen wie Baukultur und Ökologie weiter für die DGNB zu schärfen. Wir nahmen den Positionswechsel im Präsidium zum Anlass, mit dem Neuen sowie mit Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB, über Vergangenheit und Zukunft eines Vereins zu sprechen, der nicht nur deutschlandweit einmalig und von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.
Gratulation zur Wahl, lieber Amandus Sattler. Wie fühlt man sich als Präsident?
Amandus Samsøe Sattler (AS): Präsident klingt gut. Wichtiger ist mir allerdings, dass diese Personalie so gesehen wird, dass nicht ich jetzt Präsident bin, sondern dass jetzt ein Architekt Präsident geworden ist. Das tut der DGNB, ihrem Fokus und ihrem Ziel, noch mehr bei den Architekten anzukommen, ganz gut.
Waren die ArchitektInnen im Vorstand unterrepräsentiert, auf verlorenem Posten unter all den IngenieurInnen?
AS: Nein. Aber ich freue mich immer, wenn ein Architekt mehr im Präsidium auftaucht. Das hilft, Hemmnisse und Probleme, aber auch die Chancen im Planen noch mehr offenzulegen. Da ist es gut, einen intensiven Kontakt zu den Kollegen zu haben, die auch in der Ausrichtung des Vereins eine maßgebliche Rolle spielen. Und – das ist doch das Drama – wir Architekten haben das Thema der Nachhaltigkeit zu lange den Ingenieuren überlassen.
Im Zusammenhang mit Ihrer Wahl haben Sie geäußert, dass „der gesellschaftliche Wandel zur Nachhaltigkeit […] für mich eine Vision [bleibt], weil wirtschaftliche Interessen immer noch Nachhaltigkeit verhindern.“ Wirtschaftliche Interessen?
AS: Es ist eigentlich ganz simpel. Andere Bauweisen, andere Vorgehensweisen sind immer noch die Ausnahme und deswegen teurer. Wenn man nachhaltig bauen möchte, steht dem zuerst der Kostenfaktor entgegen. Den könnte man ausgleichen über die CO2-Einsparung. Wenn also CO2 etwas kosten würde, wäre das nachhaltige Bauen relativ nicht mehr so teuer. Im Moment ist es so, dass die Bauherrn zurückzucken, wenn sie von Mehrkosten hören und reflexartig werden kostentreibende Nachhaltigkeitsanstrengungen im Planungsprozess schrittweise wieder zurückgenommen und damit alle hehren Ziele, die man am Anfang noch vereinbart hatte.
Dann wären wir bei einer indirekten Subventionierung. Muss das so laufen?
AS: Ich glaube, das geht nicht anders. Die gängigen Bauweisen sind zum Teil ungünstig bis mangelhaft für die Umwelt, aber im Kostenvergleich zum nachhaltigen Bauen günstiger. Wenn wir das nicht weiter haben wollen, dann müssen wir sie teurer machen, indem wir die Umweltfolgen mitkalkulieren.
Womit wir beim „echten Preis“ wären. Frau Lemaitre, kann man das so sagen?
Christine Lemaitre (CL): Naja, ich würde das Ganze eher auf das Qualitätsthema zurückführen. Wir haben im Grunde zugelassen, dass das Gebaute ein begehbares Anlagevermögen ist, das Investitionsgut Nummer 1. Damit wird vielleicht klar, dass wir kein wirkliches Qualitätsverständnis für Gebäude haben. Beim Thema Mehrkosten bin ich vorsichtig, weil wir immer nach der Benchmark fragen sollten. Darum glaube ich, ist es wichtig, dass wir die Architekten aktivieren. Weil es um gute Architektur, um gebaute Qualität, weil es um unseren Lebensraum geht. Ich übersetze Nachhaltigkeit gern mit Qualität und Zukunftsfähigkeit. Natürlich sind Klima- und Umweltschutz zentrale Themen, aber warum sprechen wir nicht ganz einfach davon, dass alles Bauen am Ende unsere Umgebung ist, die ganze Lebenswelt? Wir müssen raus aus diesem „schnell und günstig“.
Qualität im Bauen ist Klima- und Umweltschutz, alltägliches Bauen folgt dann aber eher den Ansprüchen, dass das „Investitionsgut Nummer 1“, wie Sie sagten, rentabel sein muss für die kommenden zwei bis vier Jahre.
CL: Wir sehen doch, wofür viele Kostenminimierer auch Budgets haben, wenn man in die Ausbauten geht. Kein Mensch rechnet den Return of Investment des letzten Urlaubs aus. Täglich machen wir Dinge, treffen wir Entscheidungen, die nicht auf die achte Nachkommastelle gerechnet sind. Aber beim Bauen ist das zu einer Unkultur geworden. Ich glaube, dass Architekten hier eine ganz fundamentale Rolle spielen können und wirklich gute Architektur durchsetzen könnten.
„Könnten“… da muss jetzt der Architekt etwas zu sagen.
AS: Wir kämpfen um diese Qualität und wir verlieren oft. Keiner schenkt uns das, keiner sagt, ich will etwas Großartiges bauen, hier ist das Geld dafür. Nein, zuerst kommen immer die Kosten.
Wie argumentieren Sie einem Bauherrn gegenüber, der noch zögert, sich Qualität leisten zu wollen? Mit Baukultur wird man ihm ja nicht kommen können, oder?
AS: Mittlerweile lernen wir auch Bauherren kennen, die etwas Nachhaltiges wollen, eine andere, umweltgerechtere Bauweise, die auch gesünder für die Nutzer ist. Sie machen das, weil sie dadurch einen Vermarktungsvorteil haben. Das ist für mich legitim, die sollen ihr Geld damit verdienen, wenn sie gut bauen. Aber auch solche Auftraggeber müssen wir im Projektprozess bei der Stange halten, auch die springen leicht ab.
Die DGNB, das unbekannte Wesen? In vieler Planer Munde aber so recht doch nicht durchschaut: Frau Lemaitre, erzählen Sie, die Sie schon länger dabei sind, doch einmal etwas über diesen Verein, den zwei Gründer bei einem Glas Bier ins Leben riefen. 2007 war das? Und heute ist daraus ein großes Unternehmen geworden. Ist das so?
CL: Es waren ein paar mehr als zwei, von heute gesehen war es eine Reaktion auf viel politisches Ja/Aber. Es gab damals schon ein Umweltbewusstsein, es gab Checklisten, mit deren Hilfe Nachhaltigkeit messbar gemacht wurde. Das kam aus dem Ausland. Die Gründer wollten aber kein Nachhaltigkeitsverständnis, das 15 Jahre hinter unserem hier ist, sie wollten Planungstools, keine Checklisten.
Wie groß ist die DGNB heute?
CL: Heute haben wir mehr als 1 300 Mitglieds-organisationen und sind 50 Mitarbeiter. Und mittlerweile in der dritten Geschäftsstelle, immer noch in Stuttgart. Wir hatten und haben eine sehr dynamische Entwicklung, natürlich auch Rückschläge.
Welcher Art?
CL: Wir haben uns immer, vor allem natürlich zu Beginn, sehr viel mit internen Prozessen beschäftigen müssen, hatten häufig das Gefühl, darüber wichtige politische Diskussionen zu verpassen. Und da war unser Anspruch an Ganzheitlichkeit. Zu Beginn waren rund 40 % der Mitglieder Architekten, viele namhafte Büros. Die Architektenkammer Baden-Württemberg ist eines der ersten Mitglieder der DGNB, Gründungsmitglied. Aber wir sind schnell gewachsen, es traten viele Bauproduktehersteller, Investoren und andere aus der Branche bei uns ein und auf einmal kam die Frage auf, was ist denn jetzt mit den Architekten? Unser Anspruch damals war ja unter anderem, ein Planungstool zu machen, das die Architekten dabei unterstützt, dass die Dinge gegenüber und mit den Bauherren durchgehalten werden. Aber vermutlich werden wir immer in der Balance-Findung sein. Das gelingt uns manchmal besser, manchmal schlechter. Wie mit den Themen, die wir adressieren.
Besteht die Perspektive, dass die DGNB einmal ein bauweltumspannendes Unternehmen wird?
CL: Also ein Unternehmen wollen wir nicht werden.
Ein internationales Netzwerk?
CL: Netzwerk auf jeden Fall. Wir sind große Verfechter des Themas Zusammenarbeit und voneinander lernen. Wir haben einen sehr kooperativen Ansatz, auch mit anderen Organisationen, sei es in Dänemark, in Spanien oder Österreich. Auch international arbeiten wir mit Organisationen zusammen. Uns geht es immer darum, dass Wissen vergrößert und verbreitert wird. Was wir aus unseren Zertifizierungsprozessen lernen, geben wir weiter.
Zertifikate sind das zentrale Werkzeug, Nachhaltigkeit im Bauen voranzutreiben. Wie entwickelt sich so etwas? Mit wem arbeitet man zusammen?
CL: Ja, das ist ein großer Teil dessen, was uns Kraft kostet, aus dessen Anwendung wir aber auch wertvolles Wissen aus der Praxis ziehen. Hier verfahren wir nach dem Prinzip „Verändern, Lernen, Anpassen“. Wir verstehen die Zertifizierung auch als ein Markttransformationstool. Wir sind in einem permanenten Dialog mit den Auditoren, also Experten, die wir für das DGNB-System schulen, die die Projekte beraten, die Dokumentation machen. Dabei verfolgen wir in einem stetigen Überarbeitungsprozess ein stetiges Schärfen der Anforderungen. Wir wollen Ambitionen wecken, motivieren, wobei das System auf der freiwilligen Übererfüllung basiert. Aber Vorsicht, wir dürfen es nicht überdrehen, dann werden wir wieder einmal die hören, die sagen, die DGNB spinnt doch, die ist viel zu radikal. Wir müssen in der Balance bleiben und uns dabei kontinuierlich über die Jahre weiterentwickeln. Wir haben im Augenblick einen Zwei- bis Dreijahreszyklus, in welchem eine neue Systemversion kommt. Dabei verbreitern wir die Palette ganz bewusst nicht, sondern bleiben ganzheitlich. Wir sehen dieses Trend-Gerenne, was wir mittlerweile rundherum sehen, sehr kritisch an. Jetzt ist irgendwie alles smart und digital und morgen kommt der nächste Trend. Wir haben eher das Ziel, Themen als Standard in die Branche zu bringen und auch zu sagen, wir nehmen Themen auch wieder heraus, verschlanken. Punktuell gibt es Neues, Biodiversität zum Beispiel. Oder Bonuspunkte zum Thema Klimaschutz, Klimaneutralität. Also da sind wir in einem permanenten Prozess.
Ich habe, angesichts der ganzen Zertifikate, mit denen Neubauten in den letzten Jahren gelabelt wurden, manchmal das Gefühl, dass es für die Umwelt und uns alle sinnvoller gewesen wäre, man hätte das Platin-Haus erst gar nicht gebaut. Ich weiß nicht, was nach „Diamant“ kommen könnte, aber das wäre dann dem Bau zu verleihen, den zu realisieren ein fundierter Abwägungsprozess verhindert hätte. Wäre das nicht die Perspektive?
AS: Überhaupt nicht. Also da muss ich mich einschalten. Zunächst einmal werden ja nicht viele Projekte zertifiziert – im Verhältnis dazu, was gebaut wird. Seit 2009 etwa 7 000 Bauten, das ist, gemessen an dem, was jeden Tag hochgezogen wird, verschwindend gering. Also, wer bauen will, der lässt sich nicht von einem Zertifikat lenken. Wir wollen, dass wenn jemand baut, besser baut.
CL: Das sehe ich auch so. So wie wir schon keine Kultur für Qualität im Bauen haben, haben wir auch keine Kultur für Wissen. Die Themen sind zu wichtig, als dass wir sie nicht dokumentieren und messen. Umweltorganisationen, so höre ich regelmäßig, seien wir nicht radikal genug. Den Lobby-verbänden sind wir oft viel zu radikal. Wir, die DGNB, müssen diesen Spagat darüber schaffen. Auf der anderen Seite ist jedes DGNB-zertifizierte Objekt, auch wenn es eine schlecht gestaltete Architektur ist und man sich über seine Nutzung streiten kann, eine Qualitätssicherung in einer Art und Weise, die ein anderes, nicht zertifiziertes Gebäude, nicht durchlaufen hat.
Sehr viele Mängel finden kein Echo in der Gesetzgebung, wir haben da keinen Vollzug. Außer beim Brandschutz. Noch aber schaut niemand darauf, welche Baumaterialien wie eingesetzt wurden. Denn tatsächlich haben wir eine Unkultur der Intransparenz. Was auch dazu führt, dass wir keine Fehlerkultur haben. Stichwort Klimaschutzziele: Fakt ist doch, dass wir von keinen Gebäuden den Energieverbrauch kennen. In der Regel – von der es Ausnahmen gibt – weiß kein Architekt, wie die energische Performance seines Gebäudes ist. Um Planung, Ausführungsplanung und Baustoffe, Bauteile in eine Dokumentation zu bringen, diese für weitere Projekte vorzuhalten und auszuwerten, dafür ist das DGNB-System da. Also, ich finde das ganz arg wichtig, dass wir endlich auch mal über Transparenz im Bauen sprechen, dass wir die Dinge messen und beim Namen nennen, damit wir am Ende die Stellschrauben haben, die darüber entscheiden, ob wir zukünftigen Sondermüll produzieren oder ein umfassend nachhaltiges Haus abliefern.
Aktuell gibt es ein weiteres DGNB-Label, das bezieht sich auf den Rückbau. Warum kommt das so spät? Wir reden schon so lange über graue Energie.
AS: Jetzt geht es darum, dass man weiß, was vorhanden ist und wie es am besten rückgebaut werden kann. Wir können nicht alles recyceln, es gibt zu viele Gifte im Haus. Wir wollen eigentlich eine Qualifizierung des Rückbaus. Und seien wir ehrlich, wenn da ein Haus steht und der Bauherr will an dessen Stelle neu bauen, wird er das alte einfach abreißen. Dann bestellen wir einen Abbruch-unternehmer. Uns geht es jetzt darum, dass wir einen Abriss auch planen könnten und sollten. Und das wollen wir über eine Zertifikatvergabe qualifizieren.
CL: Worum es uns bei dem Rückbauthema geht, ist, dass wir uns auch mit der bestehenden Bausubstanz beschäftigen müssen. Wir belohnen Bestandsschutz, indem wir dazu motivieren, dass man einen Rückbau vernünftig plant. Heute kommt das Abbruchunternehmen, schaut kurz was verwertbar wäre, sortiert das aus und der Rest kommt einfach weg. Wenn dieses Unternehmen mehr Zeit bekommen würde, könnte es zum Thema Weiter- und Wiederverwendung der Baumaterialien oder überhaupt Bauteilen ganz anders aufgestellt sein. Wir reduzieren damit Abfallmengen. Und wir schaffen es damit auch, dass wir nicht immer wieder neue Materialien brauchen.
Solche und vergleichbare Impulse haben wir über das neue Rückbauzertifikat jetzt formuliert, um dieses bewusste Handeln in die heutige Rückbaupraxis hineinzubekommen. Wir haben heute schon Unternehmen, die Rückbau machen. Mit denen zu sprechen, war in der Ausarbeitungsphase ein tolles Learning. Wenn man da beispielsweise mit dem Gemeinplatz „geschraubt ist besser als geklebt“ ankommt, wird man irritiert angeschaut und gefragt, ob man denn schon einmal versucht habe, eine Schraube aufzudrehen, die 30 Jahre unter Volllast war?! Ich sage: Nein und der Unternehmer sagt: Ich auch nicht. Da wird man mit der Realität konfrontiert. Dinge transparent machen, Informationen sammeln und das alles wieder transformieren und in den Planungsprozess einpassen, sich Themen stellen wie der Frage, mit welcher Konstruktion sollte ich arbeiten, wenn ich eine Mono-Materialität wünsche etc., das ist unsere Aufgabe.
Welche größere Perspektive hat die DGNB für die nächsten zwei Jahre, was will sie unbedingt machen?
AS: Wir haben ja gerade zwei große Themen. Das eine ist das große Thema der Initiative „Phase Nachhaltigkeit“. Das ist für Architekten ein eher niederschwelliges Angebot, das kostet nichts, außer dem Engagement von jedem. Das andere ist die Initiative „Klimaneutrale Städte und Gemeinden“. Die Städte haben 2050 im Blick und wissen nicht, welchen Weg sie einschlagen sollten. Hier geben wir Unterstützung.
Wie sieht das konkret aus?
AS: Das Thema „Phase Nachhaltigkeit“ ist in einer Deklaration fixiert, da haben sich bisher 140 Büros versammelt, die mitmachen wollen.
Deutsche Büros? International?
AS: Vornehmlich deutsche Büros. In der Deklaration verpflichten sich die Unterzeichner, dass sie in allen Vorgesprächen mit ihrem Bauherrn die wichtigsten sechs Themen der Nachhaltigkeit ansprechen. Die sechs Themen passen auf den vielzitierten Deckel. Mit diesem sehr einfachen Tool können wir ein Projektziel definieren, dessen Erreichbarkeit wir von einer Leistungsphase zur nächsten überprüfen. Das ist ein Angebot, das die Kollegen sehr positiv aufnehmen. Man muss ja nicht stur Punkt für Punkt kontrollieren. Hier geht es um Abwägung, Gewichtung der einzelnen Themen, die insgesamt genommen zu einem guten Ergebnis führen. Ich vergleiche das gerne mit einem Mischpult, an dem ich die Regler so verschiebe, dass der Bauherr zustimmen kann. Am Ende ist das nichts anderes als ein Verhandeln, Austarieren. Ein nachhaltiges Gebäude zu bauen, ist Verhandlung, von A bis Z. Bis hin zur Baustelle, wo ich dann sehe, dass der falsche Farbeimer dort steht.
Das Thema Klimaneutrale Städte ist nicht weniger wichtig, hier geht ja nicht nur darum, dass man mal in aller Kürze auf die Mobilität schaut und noch mehr Fahrradwege macht. Es geht doch auch darum, dass wir immer noch zu viel bauen, zu viele neue Stadtviertel. Innenverdichtung und Stadtgrün sind gute Themen. Es gibt ja auch bereits das Zertifikat für Quartiere. Wir müssen hier noch besser und schneller werden, die nächsten neun Jahre – neun sind es jetzt nur noch! – sind sehr entscheidend für die ganze Entwicklung.
Warum die nächsten neun Jahre?
AS: Bis 2030. Wenn wir bis 2030 nichts geschafft haben, wenn wir einfach so weitermachen wie gerade, dann haben wir eigentlich verloren. Dann ist 2050 auch weg. Und deswegen wird jetzt an ganz vielen Stellen an diesem Thema gearbeitet, so beispielsweise aktuell mit dem Green-Deal, der von der EU-Kommissarin, Frau von der Leyen, auf EU-Ebene angestoßen wurde. Wir finden das sehr interessant, denn jetzt ist es ausgesprochen, jetzt kann man loslegen. Überraschenderweise wurde auch die Baukultur adressiert. Frau von der Leyen hatte ja gefordert, dass wir der Nachhaltigkeit ein Gesicht geben müssen. Ein ganz wichtiges Thema, denn wir sollten die Häuser nicht alle so aussehen lassen, wie sie ausschauen und im Keller versteckt ist dann Nachhaltigkeit drin. Da sollten wir aus den Startlöchern kommen, Perspektive Bundestagswahlkampf. Wir müssen mit den Parteien sprechen, wir müssen Einfluss nehmen auf deren Programme. Mit den Grünen haben wir schon Kontakt.
Das sind für mich gerade die Top-Themen, aber es gibt natürlich noch 50 andere. Momentan erleben wir einen regelrechten Nachfrageboom, der angeheizt wird offenbar auch durch die Videoschalten, die wir alle gerade praktizieren.
CL: Uns schmerzt es sehr – gerade auch in dieser sehr dichten Zeit –, wenn irgendjemand glaubt, er müsse das Rad schon wieder neu erfinden. Diese Arbeit würden wir uns gerne schenken. Von daher sind die genannten zwei Initiativen eine Herzenssache für uns. Und das Politische? Klar, wir werden uns da natürlich auch zu Wort melden. Vielleicht nicht wirklich politisch korrekt, wie man das heute immer macht, aber das, worum es uns geht, ist, wirklich an Projekten zu arbeiten. Also nicht die Verantwortung allein auf die Politik zu schieben oder auf den Nachbarn.
Da würde es sich anbieten, auch einen Lobbyisten nach Berlin zu schicken?!
CL: Nein.
Nein? Ist das nicht sinnvoll?
CL: Das weiß ich nicht. Ja, das GEG ist ein Armutszeugnis, ganz ehrlich. Hätte ein hochbezahlter Lobbyist da wirken können? Wir alle können doch heute schon gute Häuser bauen, wir brauchen gar nicht so zu tun, als ob das Zukunftsmusik sei. Wir können heute Gebäude bauen, die sind klimaneutral im Betrieb. Wir zeichnen solche Gebäude mittlerweile mit der Klimapositivauszeichnung aus. Das ist doch der Sinn und Zweck der Initiativen, dass wir die Architekten und auch die Kommunen dabei unterstützen, selbstständig mit jedem Projekt diesen positiven Beitrag zu leisten. Ja, in Berlin kann man sich prima beschäftigen lassen, aber was bringt das unterm Strich?! Wir sollten doch einfach auch mal die Planer machen lassen, die wissen doch, was sie tun. Im Gegensatz oft zu den Politikern, die keine Ahnung haben vom Bauen. Und so lange sich Politik lobbyieren lässt, kann ich vieles davon nicht so richtig ernst nehmen.
AS: Ganz klar: Da machen wir nicht mit. Da wollen wir auch nicht dabei sein. Unsere Wirklichkeit besteht aus vielen Aspekten; wie eine Stadt gebaut wird und warum der Investor was macht. Aber wir müssen hier dran bleiben und ständig weiterbohren. Das ist das, was wir vorhaben. Und da nerven wir auch.
Das würde ich als Schlusswort sehen.
CL: Ja gerne.
Mit Christine Lemaitre und Amandus Samsøe Sattler unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 25. November im NEXT Studio in Frankfurt a. M.