Ein starkes RaumerlebnisCasa dos Cubos in Tomar/P
Von außen ganz unscheinbar birgt das Projekt des jungen Lissabonner Architektenteams Embaixada eine beeindruckende Raumskulptur in sich, die der portugiesischen Kleinstadt für kulturelle Veranstaltungen und als Verwaltung dient.
Mit 20 000 Einwohnern ist Tomar, ca. 100 km nordöstlich von Lissabon gelegen, keine große Stadt. Und doch spielt sie eine bedeutende Rolle in der Geschichte Portugals. Seit 1983 ist sie Sitz eines UNESCO-Weltkulturerbes, des über der Stadt thronenden Christusklosters aus dem 12. Jahrhundert. Das größte Kloster Portugals war Hauptquartier des Templerordens und im 15. Jahrhundert Zentrum der Expansion nach Übersee unter Heinrich dem Seefahrer. Heute lockt es zahlreiche Touristen in die Stadt. Für das Kloster diente das unscheinbare Haus am Flussufer des Nabão einst als Getreidespeicher, wurde später als Fabrik genutzt, bis es schließlich jahrelang leer stand und zu verfallen drohte. Im Jahr 2003 lobte die Stadt einen Architektenwettbewerb aus mit dem Titel „Environmental Monitoring and Interpretation Offices“ (EMIO), den das junge Lissabonner Team Embaixada (Jahrgang 1975 und jünger) für sich entscheiden konnte.
Gesucht wurden Konzepte für eine noch nicht näher definierte kulturelle Nutzung in dem leer stehenden Gebäude. Man finanzierte den Wettbewerb u. a. mit EU-Fördermitteln zur Revitalisierung von historischen Innenstädten.
Skulptur im Speicher
Die Architekten gingen radikal vor und ließen nichts mehr stehen, bis auf die Gebäudehülle. In diese implantierten sie eine neue dreidimensionale Struktur, in deren Inneren die „privateren“ Nutzungen wie Büros und Appartements für Künstler liegen. Der Raum, der übrig bleibt, also der Luftraum und die Zonen zwischen der Gebäudehülle und der eingestellten Skulptur, beherbergt alle „öffentlichen“ Nutzungen wie Ausstellungsflächen, eine kleine Bar, ein Internetcafé und Seminarbereiche für die Volkshochschule. Ein klares und markantes Konzept.
Im Volksmund wird das Gebäude „Casa dos Cubos“ – Haus der Kuben – genannt. Das trifft es nicht ganz. Denn in Wirklichkeit handelt es sich um eine sehr differenziert und geschickt gestaltete Abfolge von verschiedenen Körpern, die sich von dem einen Gebäudeende bis zum anderen von unten nach oben durchs Gebäude ziehen. Mal erreicht diese Skulptur die Dachschrägen, mal zieht sie sich längs wie ein Gang. Dann wiederum faltet sie sich nach unten auf den Boden. Man mag es kaum glauben, dass man diese Räume nutzen kann. Und doch ist das Haus stark frequentiert. Viele Bürger oder auch Touristen durchqueren es auf ihrem Weg zur Stadt. Ursprünglich sollten in den „privaten“ Räumen in der oberen Ebene Künstler wohnen, so genannte „artists in residence“. Deshalb gibt es dort jeweils eine Schlafebene und eine kleine Nasszelle. Doch der Stadtverwaltung gefielen diese Räume so sehr, dass das Kulturreferat sie jetzt selbst als Büros nutzt.
Konstruktion, Farben und Materialien
Auf den ersten Blick erscheint alles ganz klar und einfach. Doch die Konstruktion dieses Raumgefüges ist abenteuerlich. Eine solche Skulptur kann man nicht nach einem bestimmten Prinzip konstruieren. Sie ist eine Mischung aus Stahlträgern, die in Mauerwerks- und teilweise Stahlbetonwänden verschwinden. Mal hängen die Stahlträger von den Dachträgern ab, mal stehen sie auf den neu gegründeten Fundamenten. Ein Träger, der alles aussteift, reicht schräg durch den Raum vom Boden bis zum Dach. Doch das alles bleibt dem Betrachter im Verborgenen. Es verschwindet hinter den verputzten Wandflächen. Konservative Konstrukteure mögen meinen, dass eine solche Herangehensweise sich nicht ziemt. Man kann es aber auch als mutig bezeichnen, wie die Absolventen der Lissabonner Kunst- und Architekturschule Lusiada mit Materialien experimentieren, um ihre architektonische Vision zu realisieren. Ihnen ist die Behandlung der sichtbaren Oberflächen wichtiger. So wählten sie als Kontrast zu den weiß verputzten Wandflächen der Gebäudehülle einen fast schwarzen Putzanstrich (Finish aus Acrylharz gemischt mit anthrazitfarbenen Pigmenten und reflektierenden Glaskristallen), der relativ ruppig aufgetragen ist und das Ganze zu einer monolithischen Struktur zusammenfasst. Die Oberflächen im Inneren der Raumskulptur sind wiederum gleißend hell – Wandflächen aus weißem Hochglanzlack und glänzend weißer Epoxidharzboden.
Kunstlicht spielt im sonnenverwöhnten Portugal eher eine untergeordnete Rolle, vielmehr fasziniert hier das Wechselspiel aus Licht und Schatten. Dazu trägt die geschickte Komposition von kleinen Fenstern in den geschlossenen Flächen wesentlich bei. Gratulation zu dem mutigen Erstlingswerk.
Susanne Kreykenbohm, Hannover