Was ist Kunst im öffentlichen Raum heute? Im Gespräch mit Britta Peters und Marianne Wagner
Nicht mehr lange hin bis zur Eröffnung: Sind Sie noch entspannt?!
Britta Peters (BP): Nein!
Marianne Wagner (MW): Wirklich nicht.
BP: Es sind noch etwa zwei Monate und uns fehlen tatsächlich noch einige Projektstandorte. Die KünstlerInnenliste ist geschlossen, aber es gibt noch ein paar Unsicherheiten, Genehmigungsfragen vor allem. Mit der Präsentation von Arbeiten im öffentlichen Raum geht eine unglaubliche Schwerfälligkeit einher: Für alles und jedes scheint es Gesetze und Vorschriften zu geben. Wir müssen uns mit der Kommune, mit Privatleuten, mit Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt auseinandersetzen und Wege für die Realisierung der Werke finden.
MW: Und flexibel auf alle gestellten Anforderungen zu reagieren, ist kaum möglich. Denn wenn etwas geändert wird, hat das immer weitreichende Folgen für das gesamte Konzept der Ausstellung. Und dann ist ja nicht bloß die Ausstellung an sich zu beachten, wir müssen an den Fahrradverleih denken, an Führungen und die Navigation durch die Stadt sowie an die Koordination von Veranstaltungen und die Arbeit mit den Kooperationspartnern.
Naiv gefragt: Woher der Stress? Sie hatten doch zehn Jahre Zeit!
MW: Die Vorbereitung für die Skulptur Projekte 2017 hat nicht 2007 begonnen, sondern Ende 2014. Selbstverständlich ist die Öffentliche Sammlung mit 36 Werken aus den vorangegangenen Editionen permanent im Stadtraum präsent und es gibt auch zwischen den Ausstellungen Diskussionen über Kunst im öffentlichen Raum: So 2013, als die Tagung „Die Skulptur Projekte und ihr Archiv. Potenziale und Perspektiven“ verschiedene Themenfelder aufgegriffen hat. Erst 2014 hat Kasper König gemeinsam mit der Projektleitung nach einer Kuratorin gesucht – und mit dir, Britta, gefunden! Ich kam 2015 als neue Kuratorin für Zeitgenössische Kunst am Landesmuseum dazu. Ab da wuchs das Team sukzessive auf zurzeit etwa 30 Leute. Zehn Jahre ist der Rhythmus, in dem die Ausstellung stattfindet, die Vorbereitungszeit dafür ist jedoch beschränkt auf etwas mehr als zwei Jahre.
Wird schon aufgebaut?
BP: Ja, wir haben gerade angefangen, für eine Arbeit die Fundamente zu legen. Vielleicht aber noch mal kurz zum Prozedere der KünstlerInnenauswahl: Wir haben ja nicht am Anfang der Projektphase gesagt, die und die KünstlerInnen nehmen teil und jetzt müssen wir das nur noch umsetzen. Einige sind schon 2015 angesprochen worden, andere erst relativ spät. Was gut und was schlecht ist, denn mit jedem einzelnen Projekt verändert sich ja auch das gesamte Gefüge. Späte Einladungen sind zum Beispiel dann erfolgt, wenn wir gesehen haben, dass es künstlerische Positionen gibt, die in das unvorhersehbar Neue ganz besonders gut passen könnten. Insgesamt gibt es nur wenige Fälle, bei denen aus der Einladung kein Projekt resultierte. Und das lag dann häufig daran, dass bestimmte Vorschläge im Stadtraum schlichtweg nicht zu realisieren waren.
35 Arbeiten werden gezeigt: Was ist denen gemeinsam?
MW: Die Ausstellung widmet sich seit 1977 keinem wechselnden Thema, sondern fokussiert Felder wie Raum, Körper, Zeit, Ort oder das Verhältnis von öffentlich und privat. Der öffentliche Raum war 1977 beispielsweise ganz anders definiert als heute. Im Grunde genommen ist der öffentliche Raum heute ja nicht mehr frei für alle verfügbar. Mit dem Neubau des Museums kommt noch die Frage hinzu, welche Öffentlichkeit institutionelle Räume herstellen? Zudem richten wir den Blick auf die Entwicklung von Skulptur und ihre Wahrnehmung. Hinzu kam diesmal auch die Beschäftigung mit digitalen Räumen, in denen Körperlichkeit und Ort eine andere Rolle übernehmen und die die Frage nach Materialität neu stellen. Diese Auseinandersetzung bildet sich in drei Magazinen ab, die im Vorfeld der Ausstellung erschienen sind: Out of Body, Out of Time und jetzt Out of Place.
Wird es eine rein digitale Skulptur geben?
BP: Die Arbeit von Andreas Bunte ist über Plakate im Stadtraum präsent, wird aber in Form von Filmsequenzen auf dem Smartphone abgerufen. Aber auch ohne dass es sich in einer rein digitalen Umsetzung äußert, steht die Ausstellung 2017 unter der Frage nach den Veränderungen durch zunehmende Digitalisierung und Globalisierung. Die Arbeiten entstehen unter den Bedingungen der Gegenwart, digitale Kommunikations- und Informationstechnologien werden ja von den KünstlerInnen genauso genutzt wie von allen anderen auch.
Muss ich jetzt dem hinterher trauern, was ich einmal mit Material und Skulptur verbunden habe?
BP: Dann haben Sie möglicherweise in den letzten Ausstellungen nicht genau hingeschaut, denn schon immer ging es in Münster um einen erweiterten Skulpturbegriff. Denken Sie nur an Michael Asher, der seinen Caravan in den Ausstellungen seit 1977 immer wieder im Stadtraum verschoben hat und damit die traditionelle Vorstellung von Skulptur (auf festem Sockel) bereits früh in Frage gestellt hat. Es gab auch immer schon Performances, die auch in diesem Jahr eine große Rolle spielen werden. Es wird Filme geben, Videos ...
MW: Eine Arbeit, die das Verhältnis von analog und digital verhandelt, ist die von Alexandra Pirici. Sie wird im Friedenssaal, also an einem wichtigen historischen Ort von Münster, eine Performance inszenieren, in der sie sich mit der Beziehung von Mensch – Skulptur – Stadtraum, aber auch mit Bezügen zur Geschichte der Nationenbildung und Formen der Grenzziehung befasst. Diese Arbeit, die Pirici als „ongoing action“ beschreibt, generiert sich durch die Performance von Körpern, ihrer Beziehung zum Raum und zur Zeit. Insofern hat sie enorm viel mit Material und der vorhandenen Materie zu tun.
Der liebe Raum ... Geht es um Wahrnehmungsschärfung, -veränderung? Oder geht es vordergründig um die Kunst im Raum, aber nicht mehr um den Raum, in dem Kunst ist?
BP: Ich würde sagen, es geht um beides, virtueller und physischer Raum fallen in eins, das kann man nicht mehr voneinander trennen. Es gibt aber auch bildhauerische Projekte, etwa die Skulptur von PELES EMPIRE (Katharina Stöver und Barbara Wolff), eine Art Architektur-Collage, die durch verschiedene Kopier- und Abstraktionsverfahren entstanden ist und auf dem Parkplatz des Oberlandesgerichts steht. Sie basiert auf Bildmaterial vom Schloss Peles in den rumänischen Karpaten und stellt gleichzeitig eine enge Beziehung zu dem nach historischem Vorbild wiederaufgebauten Münsteraner Prinzipalmarkt her.
MW: Mit Blick auf die Geschichte der Ausstellung sollte man erwähnen, dass es 1977 einen pädagogischen Anspruch seitens des Ausstellungsmachers Klaus Bußmann gab. Er wollte eine Diskussion über moderne Skulptur anstoßen, die über Rodin hinauswies. In einem „Projektebereich“, der von Kasper König kuratiert wurde, wollte man Kunst bewusst aus dem Museum herausholen – heute ist es eine Herausforderung, Kunst auch im Schutzraum des Museums als Teil einer Ausstellung über Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen, denn zwischenzeitlich ist dieser Ort ein höchst repräsentativer. Es geht also nach wie vor sowohl um die Kunst als auch um die Frage nach dem räumlichen Kontext, in dem sie stattfindet.
Keine Skandale mehr möglich? Sind die Skulptur Projekte institutionalisiert? Langweilig womöglich?
BP: Das sind vielleicht die Mechanismen einer internationalen Großausstellung, die hier institutionell wirken, das kann man auch gar nicht abschütteln. Wir vertrauen aber darauf, dass wir mit unserem Konzept langanhaltende Erfahrungen anbieten, deren Bedeutung sich für jeden subjektiv und vielleicht auch erst in fünf oder zehn Jahren offenbart. Ich traue den BesucherInnen zu, dass sie die Marketing-Komponente – großes Kunstevent – ausblenden und sich auf die einzelnen Arbeiten einlassen können, so dass eine Auseinandersetzung auf einem anderen Niveau möglich ist. Aber klar, die Politik hätte gerne einen Aufreger, der die Presseaufmerksamkeit ankurbelt.
MW: So mancher Eklat kommt ja auch erst im Laufe der Ausstellung. Wenn sich ein gesellschaftlicher Rahmen oder eine politische Situation verändert, können Arbeiten mit einem Mal eine ganz neue Aussage und eine vorher ungeahnte Schärfe entfalten.
Gibt es einen Ankaufetat?
MW: Nein. Die Ausstellung ist temporär angelegt. Sollte sich jedoch im Laufe der Ausstellung ein Engagement und ein großes Interesse an bestimmten Werken zeigen, dann gibt es bei einigen Arbeiten die Möglichkeit, sich für deren Erhalt stark zu machen. 2007 hat sich beispielsweise der Freundeskreis des Museums für den Verbleib einer Arbeit von Martha Rosler eingesetzt und die Stadt Münster für eine Arbeit von Silke Wagner. 1987 war das Engagement von WissenschaftlerInnen des Chemischen Instituts die Initialzündung für den Verbleib der Arbeit von Matt Mullican. Wichtig ist hierbei, dass diese Form der Unterstützung ihre Wurzeln in der Bevölkerung hat, sich also als Teil der Rezeption nach Beginn der Ausstellung entwickelt und nicht den Produktionsprozess oder die Ausstellungsentwicklung bestimmt.
Freuen Sie sich auf eine Arbeit besonders?
BP: Nein, ich freue mich auf alle Arbeiten. Man wird sich alles anschauen müssen, unbedingt!
MW: Aufs Fahrrad setzen und in die Stadt
fahren. Sich vielleicht auch mal verirren und bei einigen Arbeiten länger aufhalten als vorher geplant.
Mit den Kuratorinnen der Skulptur Projekte 2017, Britta Peters und Marianne Wagner, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 29. März 2017 im dem Skulpturen-Team überlassenen Dachgeschoss des Altbaus des LWL-
Museums für Kunst und Kultur Münster